Asselborn kritisiert Österreichs EU-Kurs

Provocation-Control: Beinahe-Krise zwischen Österreich und Luxemburg

Bei seinem Besuch in Wien hat Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn einmal mehr die österreichische Regierung kritisiert. Die wollte offenbar zurückschlagen. Das Protokoll einer diplomatischen Beinahe-Krise.

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Es kommt selten – oder eher gar nicht – vor, dass sich in der Botschaft des Großherzogtums Luxemburg in Wien die Beschwerden aufgebrachter Österreicher häufen. Am Dienstagabend vergangener Woche war aber genau das der Fall. Nachdem Jean Asselborn ein Interview in der ZiB2 gegeben hatte, liefen in der diplomatischen Vertretung des Landes in Währing die Telefone heiß. Zahlreiche Menschen riefen an, um sich über den Außenminister Luxemburgs zu beklagen. Einmal mehr hatte es Asselborn gewagt, die Europapolitik der österreichischen Bundesregierung zu kritisieren. Wie er es wagen könne, nach Wien zu kommen, um die Migrationspolitik des Bundeskanzlers anzuprangern? Was es ihn angehe, dass Österreich den Migrationspakt nicht unterschieben habe? Die Anrufer sind empört.

Zwar ist Luxemburg alles andere als eine Großmacht. Doch das Gründungsmitglied der Europäischen Union hat durchaus etwas zu sagen. In Europa wird Jean Asselborn gehört. Als Außenminister des Großherzogtums entscheidet er den Weg in der EU mit.

Ob es um die Aufnahme von Kindern aus den Flüchtlingslagern in Griechenland geht, der Israel-Politik von Kanzler Kurz oder dessen Opposition bei den Verhandlungen über die Corona-Hilfen für besonders schwer betroffene Länder in der EU: Asselborn hat die Politik Österreichs immer wieder als uneuropäisch kritisiert – allerdings immer von außen, etwa von Luxemburg oder Brüssel. Doch diesmal tat er es hier: in Wien, im Hauptabendprogramm des ORF, in Interviews mit den großen Tageszeitungen, beim „Falter“-Podcast mit Alt-Bundeskanzler Heinz Fischer und im Ö1-Abendjournal.

Buchpräsentation in Wien

Dabei war Asselborn eigentlich privat in Wien. Die ehemalige „Kurier“-Journalistin Margaretha Kopeinig hatte ein Buch über den dienstältesten Außenminister Europas geschrieben. „Merde alors!“ ist soeben erschienen, Asselborn kam, um an der Buchpräsentation am Mittwoch im Presseclub Concordia teilzunehmen. Ganz so privat war die Reise dann doch nicht. Immerhin wurde er von Wiens Bürgermeister Michael Ludwig empfangen, traf europäische Diplomaten – und die Journalisten standen Schlange, um ein Interview mit dem umtriebigen Chefdiplomaten zu führen.

In Europa gilt Asselborn als einer, der immer gute Sager parat hat. Brüssel-Korrespondenten wissen: Es zahlt sich aus, ihn nach den Ministertreffen abzufangen. Der begeisterte Radrennfahrer wird etwas zu sagen haben. Und es wird nicht einstudiert sein. Message-Control ist nicht sein Ding.

Doch für die österreichische Regierung schien Luxemburgs Außenminister ein ungebetener Gast. Von offizieller Seite wurde er nicht empfangen – an sich nichts Ungewöhnliches bei einem privaten Besuch. Versuche von Medien sowie von der EU-Kommission, Asselborn mit österreichischen Regierungsvertretern zusammenzubringen, gab es allemal. Doch: Keine Zeit, keine Zeit, keine Zeit. Wollten die türkisen Minister einer offenen Konfrontation mit Asselborn aus dem Weg gehen?

Vielleicht hatte die österreichische Regierung Besseres zu tun, als sich mit dem Außenminister des zweitkleinsten Landes der EU zu befassen, könnte man jetzt sagen. Vielleicht juckt sie die Kritik Asselborns nicht.

Schallenbergs Sinneswandel

Nur: Am Donnerstag bot sich Außenminister Alexander Schallenberg über sein Büro den beiden großen Tageszeitungen des Großherzogtums („Luxemburger Wort“ und „Tageblatt“) als Interviewpartner an. Begründung: Er wolle zu Asselborns Aussagen Stellung nehmen.
Und das ist durchaus ungewöhnlich. Eine Antwort auf Asselborns Kritik, in den Medien von dessen Heimatland? Sollte es eine Retourkutsche werden? Was Schallenberg sagen wollte, werden wir wohl nicht erfahren. Der Chefredakteur des „Wort“ war an dem Interview nicht interessiert. Und noch bevor das „Tageblatt“ seine Absage schicken konnte, zog Schallenbergs Büro das Angebot kurzerhand wieder zurück. Aus seinem Team heißt es, man habe das Gespräch wegen Termingründen lediglich auf einen anderen Zeitpunkt verschoben. Verwunderlich bleibt der plötzliche Sinneswandel allemal.

Sicher ist: Die Beziehungen zwischen Asselborn und Österreichs Regierung sind mit seinem Besuch in Wien nicht besser geworden. Asselborns Kritik mag übergriffig wirken. Dabei sind seine Positionen deckungsgleich mit jenen Brüssels. So will etwa die EU-Kommission 750 Milliarden Euro, 500 davon als nicht rückzahlbare Zuschüsse, an schwer von der Corona-Krise betroffene Staaten auszahlen. Nur vier Staaten sind dagegen, darunter Österreich. Und den Brief der EU an Israel mit der höflichen Bitte, internationales Recht einzuhalten und von den Annexionsplänen abzusehen, hat Österreich neben Ungarn als einziges Land nicht unterschrieben.

Der Streit zwischen Asselborn und der Bundesregierung wirft ein Licht auf eine größere Auseinandersetzung – und die Frage, welche Rolle Österreich künftig in der EU spielen will.