Pushbacks von Deutschland nach Österreich?
Von Siobhán Geets
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Hamzas (Name von der Redaktion geändert) Flucht endet kurz nach Kufstein. Im Mai fährt der Syrer, der von Libyen über Italien nach Österreich gelangt war, mit dem Zug von Tirol Richtung Deutschland. Dort hat er Freunde und Familie. Kurz nach der Grenze greift die Polizei den 23-Jährigen auf und bringt ihn in den bayerischen Grenzort Rosenheim. Er habe seine Fingerabdrücke abgeben und einen Asylantrag stellen wollen, sagt Hamza, doch die Beamten hätten ihn nach Kufstein zurückgebracht und ein Einreiseverbot verhängt.
profil liegen Dokumente vor, die Hamzas Aussagen unterstützen, restlos überprüfen lassen sie sich nicht. Glaubwürdig ist die Geschichte aber allemal.
NGOs, darunter der Bayerische Flüchtlingsrat, haben zahlreiche sogenannte Pushbacks von Deutschland nach Österreich registriert und sprechen von einer „systematischen Praxis“. Bekannt geworden sind die illegalen Zurückweisungen über Ländergrenzen in Zusammenhang mit dem Aussetzen von Flüchtlingen durch die griechische Küstenwache im Mittelmeer. Auch auf der Balkanroute werden Menschen brutal zurückgedrängt, etwa von Kroatien nach Bosnien und Herzegowina.
In Italien haben sie uns zur Bushaltestelle gebracht, jeweils fünf Euro gegeben und gesagt: Geht, wohin ihr wollt.
Weil Deutschland offenbar keine Gewalt anwendet, bleiben die Pushbacks nach Österreich unter dem Radar, illegal wären sie dennoch. Laut dem Dublin-Abkommen ist zwar jenes EU-Land für Asylverfahren zuständig, das Schutzsuchende zuerst betreten haben. Doch die Polizei darf Menschen, die Asyl beantragen wollen, nicht ohne Weiteres nach Tirol zurückbringen. Für Rücküberstellungen von Deutschland nach Österreich ist laut Dublin-Verfahren das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in Nürnberg zuständig.
Hamzas Geschichte steht exemplarisch dafür, was in der EU schiefläuft. Der Syrer war einer von rund 244.000 Menschen, die heuer über das Mittelmeer nach Europa gelangten. Auf dem italienischen Festland seien seine Personalien aufgenommen worden, man habe ihn gefragt, ob er einen Asylantrag stellen oder durchreisen wolle. Hamza wollte nach Deutschland. „Sie haben uns zur Bushaltestelle gebracht, jeweils fünf Euro gegeben und gesagt: Geht, wohin ihr wollt“, sagt Hamza im Videocall mit profil.
Rund 153.000 Menschen sind heuer bereits von Nordafrika nach Italien gelangt. Das Land an der EU-Außengrenze ist mit den Schutzsuchenden heillos überfordert und lässt sie weiter in den Norden ziehen.
Laut Stephan Dünnwald vom Bayerischen Flüchtlingsrat handle es sich bei den meisten von Bayern nach Österreich illegal Zurückgedrängten um Afghanen, Syrer, Iraker und Iraner – Staatsangehörige, deren Chancen auf Asyl in Deutschland eigentlich besonders hoch seien. Sollte die deutsche Grenzpolizei Asylanträge, wie von ihm angenommen, überhören, sind sie formal keine Asylwerber oder Flüchtlinge mehr, sondern illegal eingereiste Migranten. Und die kann Deutschland an der Grenze abweisen. „In Österreich werden die Menschen der Polizei übergeben, wo sie einen Asylantrag stellen dürfen. Dann sind sie plötzlich wieder Flüchtlinge“, sagt Dünnwald. Wie viele andere versteht auch Dünnwald nicht, wieso Österreich bei der deutschen Praxis mitmacht. Aus dem Innenministerium in Wien kam dazu auf profil-Anfrage bis Redaktionsschluss keine Antwort.
Hamza versucht es nach dem ersten gescheiterten Versuch noch zwei weitere Male. Einmal schafft er es zu Fuß fast bis nach Rosenheim, bevor ihn die bayerische Polizei erwischt und erneut nach Kufstein bringt. Bei seinem letzten Versuch greift ihn schließlich die österreichische Polizei auf. Sie bringt Hamza ins sogenannte Rückkehrzentrum Bürglkopf. In das Flüchtlingslager bei Fieberbrunn im Bezirk Kitzbühel kommen Schutzsuchende mit negativem Asylbescheid, die nicht inhaftiert werden dürfen. Zwei bis drei Stunden sind es von hier zu Fuß bis ins Dorf, öffentlichen Verkehr gibt es keinen. Das lange Warten auf dem von der Außenwelt abgeschotteten Gelände eines stillgelegten Tagebaus soll die Menschen zur freiwilligen Rückkehr in ihr Herkunftsland bewegen.
Doch Hamza bleibt. Seit einem halben Jahr wartet er am Bürglkopf auf den Start seines Asylverfahrens in Österreich. In Kürze dürfte es so weit sein.
Siobhán Geets
ist seit 2020 im Außenpolitik-Ressort.