Ukraine: EU setzt Sanktionen gegen Russland in Gang
Es war richtig mühsam. Eigentlich hatten die Staats- und Regierungschefs der EU in drei Stunden beim Mittagessen in Brüssel ihre Antwort auf Russlands Militäraktion in der Ukraine beschließen sollen. Dann wurden es gut sechs Stunden. Denn die 28 Staatenlenker erschienen zerstritten zu dem Sondergipfel. Von Einigkeit über mögliche Sanktionen gegen Moskau konnte keine Rede sein.
Am Ende einigten sie sich schließlich auf einen Drei-Stufen-Plan. "Ich würde sagen, dass wir gemeinsam mehr getan haben, als wir noch vor einigen Stunden erwarten konnten", stellte der polnische Regierungschef Donald Tusk überrascht fest. In einem ersten, leichteren Schritt wurden Verhandlungen über Visaliberalisierungen und ein neues Rahmenabkommen ausgesetzt. Falls Russland nicht "in den nächsten Tagen" zu Verhandlungen mit der Ukraine bereit ist, folgen Einreiseverbote, Kontensperrungen und die Absage des EU-Russland-Gipfels. Und bei weiterer Fortsetzung der bisherigen Moskauer Politik drohte die EU große Wirtschaftssanktionen an.
Diesem Stufenplan konnten schließlich alle zustimmen, die zuvor noch mit völlig unterschiedlichen Positionen angereist waren. Das Meinungsspektrum reichte vom entspannten griechischen Regierungschef Antonis Samaras ("Wir haben eine Krise zu entschärfen, und Europa muss seine mäßigende Rolle unter Beweis stellen") bis hin zur litauischen Präsidentin Dalia Grybauskaite, die massive Sanktionen gegen Russland forderte. "Europa versteht immer noch nicht, was passiert. Wir müssen verstehen, dass Russland gefährlich ist." Zwischen diesen beiden Polen lag ein buntes Spektrum von unterschiedlichen Härte- und Weichheitsgraden der Politik.
EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy hatte zunächst versucht, angesichts des dräuenden Streits überhaupt keine Gipfelerklärung beschließen zu lassen - doch so einfach wollten sich die Staats- und Regierungschefs doch nicht voneinander verabschieden.
Ein tiefer Graben teilte die Europäische Union unübersehbar. Neben Litauen kritisierten auch Lettland, Polen, Ungarn, Dänemark und Estland die zu "weiche" Sprache gegenüber Russland. Schmerzliche Erfahrungen der Ungarn und Polen sowie blanke Angst trieben einstige Ostblock- und baltische Staaten um: Dort sorgten Putins Erklärungen für Aufregung, man schütze in der Ukraine doch nur die Rechte russischer Bürger. Denn in Lettlands Hauptstadt Riga ist jeder zweite Bürger Russe, in Vilnius (Litauen) sind es 14 Prozent und in Estlands Hauptstadt Tallinn spricht fast jeder Zweite Russisch als Muttersprache.
Andere Gipfelteilnehmer hingegen waren von solchen Sorgen weit entfernt. "Wir sollten nicht handeln, bevor wir nicht versucht haben, Lösungen zu finden", sagte Luxemburgs Premierminister Xavier Bettel gelassen. Zudem erinnerte sich mancher noch daran, dass 2008 nach dem russischen Einmarsch in Georgien die Versuche, Russland in seinen Beziehungen zur EU und vor allem zur NATO zu isolieren, nicht sehr erfolgreich waren. Schon damals hatte man die Verhandlungen über das Rahmenabkommen eingefroren - ohne Wirkung.
Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel gehörte zu jenen, die so lange wie möglich darauf hofften, dass durch irgendeine politische Bewegung Russlands, die als Deeskalation gedeutet werden könnte, Sanktionen abgewendet werden könnten. Dieser Wunsch blieb freilich unerfüllt, weil das prorussische Regionalparlament gerade ein Referendum über den Anschluss an Russland beschlossen hatte.
Mit dem ukrainischen Übergangsregierungschef Arseni Jazenjuk sei sich die Gipfelrunde schnell einig gewesen, dass das Krim-Referendum keinerlei rechtliche Bedeutung habe, sagten Diplomaten. Doch mit dieser Entwicklung hatte sich der Druck der baltischen Staaten verstärkt, nun erst recht ein kraftvolles Zeichen gegen Russland zu setzen. Am Stufenplan führte angesichts der Lage auf der Krim mit jeder Stunde immer weniger vorbei. So wurde man sich schließlich einig. Jazenjuk selbst, so wurde berichtet, habe deutlich gemacht, dass die Sanktionsdebatte der EU ihn nicht wirklich berühre: Für ihn sei vor allem wichtig, mit Russland ins Gespräch zu kommen.
(APA/Red.)