Queen Elizabeth II.: „Ein strahlendes Licht in der Geschichte“
Der Aushang am Buckingham Palace war an schlichter Eleganz nicht zu überbieten. Auf einem schwarz umrandeten Papier im A4-Format stand zu lesen, was die gesamte Nation die letzten Stunden befürchtet hatte: „Die Königin starb heute Nachmittag in ihrer Residenz Balmoral friedvoll. Der König und die Königin (Queen consort) werden heute in Balmoral bleiben und morgen nach London zurückkehren.“ Wer die Queen in ihren letzten Stunden tatsächlich noch begleiten konnte, steht zum gegebenen Zeitpunkt nicht fest. In jedem Fall waren der neue König von England, Charles III., seine Gemahlin Camilla, die Prinzen William und Harry, und ihre Söhne Edward und Andrew, nach Schottland unterwegs. Harry soll sich noch in der Luft befunden haben, als die Todesnachricht seiner Großmutter bereits offiziell geworden war.
Die Flagge auf dem Buckingham Palace wurde um halb sieben Uhr Ortszeit auf Halbmast gesenkt, als bereits hunderte Trauernde sich vor dessen Toren, oft auch weinend, versammelten. Reminiszenzen an die kollektive Trauer nach dem Unfalltod von Diana, der sich Ende August zum 25. Mal jährte, steigen auf. Und just eine halbe Stunde vor der offiziellen Verlautbarung der Todesnachricht war ein doppelter Regenbogen auf dem Himmel über dem Palast und dem Denkmal von Königin Victoria zu sehen, der sich nach heftigen Regenstürzen seinen Weg durch die Wolken gebahnt hatte. Ein poetisches Signal der Natur für ein Leben, das wohl einzigartig in der Geschichte bleiben wird: Voller Hingabe und Pflichtbewusstsein, bis zum letzten Atemzug, hatte die 96-jährige Queen, die nach dem Tod ihres geliebten Ehemanns Prince Philip im April vergangenen Jahres gesundheitlich sukzessive die Kräfte verloren hatte, ihrem Land gedient. „Er war mein Felsen“, hatte die sonst emotional eher verhaltene Königin über ihren Mann gesagt, und mit dem Fehlen dieser Stütze und dieses Partners schien auch ihr Lebenswille stellenweise gebrochen.
Noch am vergangenen Dienstag hatte sie die neue Premierministerin Liz Truss (ihre 15. Amtsangelobung seit Winston Churchill) damit beauftragt, eine neue Regierung zu bilden: In ihrer 70-jährigen Amtszeit insofern ein Novum, als dass Truss ihre Audienz nicht wie üblich im Buckingham Palace absolvierte, sondern nach Schottland, auf Schloss Balmoral gebeten wurde, wo sie die Königin höflich lächelnd, gestützt auf einen Spazierstock und erstaunlich leger gekleidet, in grauer Strickjacke und einem karierten Faltenrock, empfangen hatte. Fast scheint es so, als ob Elizabeth II., die innerhalb der Familie „Lilibeth“ genannt wurde, sich erst erlaubte, diese Welt zu verlassen, nachdem sie diesen Termin wahrgenommen hatte. Das Pflichtbewusstsein hat sie von ihrer Mutter, der früheren Queen Mary, schon vor ihrer unvorhergesehen Thronübernahme am 6. Februar 1952, übernommen. Deren Credo lautete: „Wir sind Mitglieder der britischen Königsfamilie. Wir sind niemals müde und wir alle lieben Krankenhäuser.“
Elizabeth war 25, bereits zweifache Mutter, als ihr Vater, George VI., seinem Krebsleiden erlag, und ihr auf einer Reise nach Kenia die Nachricht überbracht wurde, dass sich ihr Leben von nun an um 180 Grad wenden würde. Auf den Job war sie nie vorbereitet worden, hatte sich doch ihr Onkel, Edward VIII., 1936 aus dem Königsein abgemeldet, um die bereits geschiedene Amerikanerin Wallis Simpson zu heiraten. Doch damit nicht genug, er fand auch die Nazis nicht unsympathisch und veranstaltete später Geburtstagsparties für seine Möpse.
Die Queen, die in ihren Hochzeiten 530 Termine jährlich absolvierte und nie ohne Handschuhe ihre jeweilige Residenz verließ, sowie Konversationen gerne über den aktuellen Wetterstatus der Region eröffnete, stand unverwüstlich und unkorrumpierbar wie ein Fels in der Brandung, selbst wenn ihre Kinder, Schwiegerkinder und Enkel die Boulevardpresse beständig mit neuen Fettnapf-Auftritten, Ehebrüchen und Skandalen fütterten. Dass die Kinder und Enkelkinder das Image der Königfamilie mit großer Verlässlichkeit ramponierten, wenn nicht zertrümmerten, nahm sie nach außen hin mit Fassung. Wie es in ihrem Inneren aussah, wusste niemand. Die amerikanische Autorin Tina Brown konstatiert in ihrem im letzten April erschienenen Enthüllungsbuch „The Palace Papers“: „Wenn Kinder eine Mutter durch ihr Benehmen umbringen könnten, wären das definitiv die der Queen. Wir sehen hier diese unglaublich bemerkenswerte Frau, die all ihre Kräfte sammelt, um irgendwie durch das „Platinum Jubilee“ zu segeln, während dieser Kübel von Schmutz über ihre Familie geschüttet wird.“ Wobei man hinzufügen muss: Die Familie kübelte auch mit.
Denn nach dem Megxit, also Harrys und Meghans Emigration in die USA, verlangte ihr das Schicksal einen noch größeren Härtetest ab, als ihr Lieblingssohn Andrew, der Herzog von York, im Verdacht stand, ein damals minderjähriges Mädchen aus Jeffrey Epsteins Menschenhandels-Ring missbraucht zu haben. Die Königin zahlte 14 Millionen Euro aus ihrer Privatkasse für eine außergerichtliche Einigung und erschien bei einem Memorialservice zu Ehren von Prinz Philip demonstrativ von Andrew gestützt in der Kirche. Ungeachtet dessen, dass sich Andrews davor gegebenes Rechtfertigungsinterview im Fernsehen zu einem PR-Supergau entwickelt hatte.
Dass die Queen durchaus auch Humor und Bodenständigkeit besaß, beschreibt die langjährige „Vanity Fair“-Chefredakteurin Tina Brown in ihren kürzlich erschienen „Palace Papers“ immer wieder. Als sie hörte, dass der Rockstar Ozzy Osbourne beim inzwischen legendären Konzert „Party At The Palace“ anlässlich des goldenen Thronjubiläums auftreten wolle, ließ sie ihren Staff wissen: „Das geht schon in Ordnung, solang er keiner Fledermaus den Kopf abbeißt.“
Der Anblick von Michael Fawcett, Charles' Ex-Kammerdiener, entlockte ihr ein kaum hörbares „Um Himmels willen, ist der fett geworden!“ in Richtung Philip. Dass sie mit Gefühlen schlecht umgehen konnte, erzählte Brown ein iranischer Chirurg, der der Queen vom Leid seiner Patienten berichtete, bis ihm die Tränen kamen. Die Queen quittierte den Gefühlsausbruch, indem sie im Aufstehen sagte: „Ich denke, jetzt ist ein guter Zeitpunkt, dass die Hunde gefüttert werden.“ Dieses Defizit bescherte ihr ein einziges Mal die Missgunst ihrer Untertanen, als sie sich nach Dianas Tod in Schweigen hüllte und an der nationalen Trauer keinen Anteil nahm. Doch daran wird in den kommenden Wochen und den Tagen, wo ihr Sarg in der Westminster Hall aufgebahrt sein wird, niemand mehr denken.
„Sie war ein strahlendes Licht in der Geschichte“ ließen die Erzbischöfe von England und Wales verkünden, und kein noch so republikanischer Brite wird ihnen dieser Tage widersprechen. Sie lebte das, was die Dianas und Meghans nie begriffen haben: Die Monarchie ist kein roter Teppich, sondern ein Job. Eine Promi arbeitet für sich selbst, eine Königin für ihr Land. Und verzieht dabei keine Miene. Allerhöchstens entkam der Queen, wenn sie tatsächlich irritiert war, ein unaufgeregtes „Soweit hat es jetzt auch noch kommen müssen!“ Das Land wird sich den Worten von Charles III. anschließen, der auf seiner Homepage notieren ließ: „Die Trauer meiner Familie und mir wird leichter zu ertragen sein, weil wir getröstet sind durch den Respekt und die Zuneigung, die meine geliebte Mutter, unsere Majestät, die Königin, weltweit erfährt.“