Rechtspopulismus: Der rechte Vormarsch in Europa
Niederösterreich ist keine Insel. Geografisch war das blau-güldene Binnenland ohnehin nie eine, jetzt ist auch mit dem politischen Inseldasein Schluss. Was sich bei der Landtagswahl ereignet hat - das jeweils schlechteste Abschneiden der beiden Volksparteien ÖVP und SPÖ sowie der Aufstieg der FPÖ- ist in Wahrheit genau das, was seit Jahren fast überall am Kontinent passiert. Große christdemokratische und sozialdemokratische Parteien, die seit Ende des Zweiten Weltkrieges über bequeme Mehrheiten verfügten, kommen ins Trudeln oder stürzen komplett ab. In der Rolle der Drachentöter: Rechtspopulistische Parteien, meist eher jung, selten so alt wie die FPÖ.
Ein paar aktuelle Beispiele:
-In Italien regiert seit vergangenem Herbst ein Bündnis unter Führung der postfaschistischen Partei Fratelli d'Italia, die mit Giorgia Meloni auch die Ministerpräsidentin stellt.
-In Frankreich verfügt das Rassemblement National, die Partei der weit rechts stehenden Politikerin Marine Le Pen, seit den Parlamentswahlen im vergangenen Juni über 89 Sitze-bis dahin hatte sie nie mehr als 15 errungen-und ist damit stärkste Oppositionspartei.
-In Schweden wurden im vergangenen September die rechtspopulistischen Schwedendemokraten zweitstärkste Partei.
-In den Niederlanden, wo allerdings voraussichtlich erst in zwei Jahren gewählt wird, steigt in Umfragen die Partei für die Freiheit des Rechtspopulisten Geert Wilders und liegt mittlerweile auf Platz zwei.
-In Belgien, wo mehr als ein Dutzend Parteien im Parlament vertreten sind, stellt der Vlaams Belang, eine separatistische, rechtspopulistische Kraft, die drittmeisten Abgeordneten. In aktuellen Umfragen liegt der Vlaams Belang im flämischen Teil des Landes mit 25 Prozent auf Platz eins.
Diese Liste könnte man fortsetzen, doch es finden sich auch Gegenbeispiele. In Deutschland etwa liegt die Alternative für Deutschland seit Jahren unter 15 Prozent. In Großbritannien ist die UK Independance Party (UKIP) in der Bedeutungslosigkeit versunken, und auch die Reform Party des Brexit-Propagandisten Nigel Farage kommt über fünf Prozent nicht hinaus.
Was lernen wir aus alldem?
Der Rechtspopulismus hat sich in den vergangenen Jahrzehnten als wesentliche politische Kraft etabliert. Die einzelnen Parteien sind mal erfolgreicher, mal stürzen sie auch ab, und regionale und historische Faktoren spielen eine große Rolle-insgesamt jedoch haben die rechten Populisten derzeit Aufwind.
Dafür gibt es mehrere Gründe. Der offensichtlichste ist der Anstieg der illegalen Migration. Aggressiv gegen jede Form der Zuwanderung aufzutreten, ist allen rechtspopulistischen Parteien gemein. Allerdings beschränken sie sich längst nicht darauf. Ein anschauliches Beispiel für ihre Themenvielfalt ist etwa das französische Rassemblement National von Marine Le Pen. Zur Eindämmung der Inflation fordert Le Pen, ähnlich wie hierzulande die SPÖ, ein Aussetzen der Mehrwertsteuer auf Produkte des täglichen Bedarfs. Und aktuell bekämpft das Rassemblement National das Vorhaben der Regierung, das Pensionsantrittsalter von 62 auf 64 Jahre anzuheben-und befindet sich damit auf einer Linie mit den Gewerkschaften und der linkspopulistischen Oppositionspartei La France Insoumise von Jean-Luc Mélenchon.
Die Verbreiterung des Themenangebots macht rechtspopulistische Parteien für viele wählbar, die mit deren Anti-Ausländer-Politik und der Ablehnung der Europäischen Union wenig anfangen können. Das schlägt sich in Umfragedaten nieder: 52 Prozent der Befragten geben an, dass das Rassemblement National "die Probleme der Franzosen versteht".Gleichzeitig sinkt der Prozentsatz an Leuten, die Le Pen und ihre Partei als "Gefahr für die Demokratie" ansehen auf 46 Prozent-um zwölf Prozentpunkte weniger als vor fünf Jahren.
Sind Rechtspopulisten regierungsfähig? Nein, sagen ihre Gegner, doch dieses Urteil ist jedenfalls zu wenig differenziert. Viktor Orbán ist seit 2010 ohne Unterbrechung Ministerpräsident Ungarns, und in Polen regiert seit 2015 die rechtspopulistische Partei Recht und Gerechtigkeit. Wahr ist jedoch auch, dass solche Regierungen gern mal in Skandalen versinken (Codewort "Ibiza")oder, wie die genannten in Polen und Ungarn, wegen Verstößen gegen europäische Grundwerte in erhebliche Probleme geraten.
Vielleicht taugt Giorgia Meloni dafür als Gegenbeispiel. Sie ist erst seit Oktober im Amt, doch die bisherigen Rezensionen ihrer Performance fallen erstaunlich gut aus. EU-Ratspräsident Charles Michel lobte bei einem Besuch in Rom ihr "Verantwortungsbewusstsein", in Kommentaren zu ihren ersten 100 Tagen im Amt findet sich oft der Begriff "pragmatisch".
Parteien bewegen sich, mal in Richtung eines politischen Extrems, mal in Richtung Mitte. Das gilt auch für die Rechtspopulisten. Und egal ob man sie nun für gefährlich oder nützlich hält, in ihrem Lager herrscht derzeit Dynamik. In Italien, Frankreich, Schweden und Niederösterreich.