Rezept zum Abbau globaler Ungleicheit
Ich will mich ja nicht drücken vor der Verantwortung, aber für meinen Geburtsort Wels in Oberösterreich konnte ich beim besten Willen nichts. Selbstverständlich war ich als Heranwachsende damit auch nicht restlos zufrieden.
Heute weiß ich, dass ich ein Glückskind bin. In der Lotterie des Lebens ist mir eine Staatsbürgerschaft zugefallen, die im Quality of Nationality Index auf Platz sechs liegt, während meine Altersgenossen, die ich kürzlich bei einer Reportage in Uganda kennengelernt habe, einen Pass in Händen halten, der im Mittelfeld rangiert (Platz 134) – und das auch nur, weil sie damit in Afrika halbwegs herumkommen, aber nicht darüber hinaus. Meine Reisepapiere sind wertvoll, ihre weniger; und weder ich noch sie haben das in einem irdischen Gerechtigkeitssinn „verdient“.
Das könnte man mit schicksalsergebenem Achselzucken abtun, wären die Auswirkungen nicht enorm. Mehr noch als die soziale Klasse bestimmt der Geburtsort über Lebenschancen, wie der Weltbank-Ökonom Branko Milanovic aufgezeigt hat. Sein Befund läuft darauf hinaus, dass ein armer Mensch in einem reichen Land, das eine tadellose Infrastruktur und soziale Sicherheit bietet, immer noch besser dran ist als ein reicher Mensch in einem armen Land.
Entsprechend hoch werden die Staatsbürgerschaften der bevorzugten Destinationen gehandelt. Österreich gehört zu den Preistreibern. Wer hier regulär eingebürgert wird, darf in der Regel keinen zweiten Pass besitzen. Dieser Umstand ist symbolisch so stark aufgeladen, dass es dem Außenminister angesichts demonstrierender Türken in Wien schon einmal einfallen kann, das Verbot von Doppelstaatsbürgerschaften zu fordern, das es ohnedies schon gibt. Auch die finanziellen Hürden sind beträchtlich. Zwei von drei heimischen Arbeiterinnen würden an den Einkommensgrenzen scheitern.
Vergleichsweise leicht bekommen den rot-weiß-roten Pass Menschen, die etwas zu bieten haben, wobei der zugrunde liegende Handel undurchsichtig abläuft. Das zuständige Innenministerium weigert sich, öffentlich zu machen, wer neben der Opernsängerin Anna Netrebko und einigen Spitzensportlern sonst noch auf dem kurzen Weg eingebürgert wurde. Umso größer ist die Aufregung, wenn Länder wie Malta, Zypern oder neuerdings Ungarn Staatsbürgerschaften oder auch nur Visa, die Zutritt zum Schengenraum geben, veräußern.
Man könnte es als ein Stück ausgleichender Gerechtigkeit betrachten, dass sich die Oberschichten der armen Länder als Bürger in die reichen Länder einkaufen. Wo aber bleiben die weniger Begüterten?
Malta rekrutiert inzwischen einen erklecklichen Teil der öffentlichen Gelder aus dem Verkauf von Reisepässen. Ungarn will Nicht-EU-Bürger, die um 300.000 Euro staatliche Anleihen zeichnen, mit einem Aufenthaltstitel beglücken. Dabei geht es um nationale Identität, um Grenzen, um Zugehörigkeit. Doch unter den Vorzeichen des Kapitalismus gefriert der fahnenschwingende Furor zu schnöder Käuflichkeit. Auf dem Markt sind selbst Niederlassungsfreiheiten, die den Glückskindern dieser Erde in die Wiege gelegt werden.
Ist das fair? Ja und nein. Man könnte es als ein Stück ausgleichender Gerechtigkeit betrachten, dass sich die Oberschichten der armen Länder als Bürger in die reichen Länder einkaufen. Wo aber bleiben die weniger Begüterten? Und wer kassiert hier? Staaten wie Ungarn lukrieren Geld dafür, dass sie Nicht-EU-Bürgern den Weg nach Europa freimachen, das seinerseits davon nichts hat. Kanzleien wie Henley & Partner streifen Provisionen für die Vermittlung von Staatsbürgerschaften ein. Begehrt sind jene, wo es sich in den dazugehörigen Ländern gut lebt, weil – das ist der springende Punkt – die öffentliche Hand hier die Straßen, Schulen, Spitäler und Pensionisten nicht verkommen lässt.
Warum das Geld nicht in sinnvollere Kanäle lenken? Diese Frage stellt der Migrationsforscher Bernhard Perchinig in einem Papier, das er bei einem Fachjournal zur Veröffentlichung eingereicht hat. Darin macht er den originellen Vorschlag, sich zu diesem Geschäft nicht nur offen zu bekennen, statt es in Ministerzimmern diskret und mitunter schmierig abzuwickeln, sondern es außerdem zu verstaatlichen und – drittens – in europäische Hände zu legen. Das hätte ein paar Vorteile. Einheitliche Kriterien für den Erwerb der luxuriösen Zweitpässe verhindern, dass Politiker dabei die Hand aufhalten. Außerdem fallen Erlöse an, die eingesetzt werden könnten, um eines der brennendsten Probleme der Gegenwart zu bewältigen, nämlich die Wanderung von Arbeitskräften, die beim Wettbieten nicht mithalten können und darauf angewiesen sind, auf lebensgefährlichen Wegen nach Europa zu gelangen.
Perchinig denkt an zeitlich befristete Arbeitsgenehmigungen oder Ausbildungsprogramme für Einwanderer, die in ihre Länder zurückkehren. Damit Reiche mit dem Pass nicht auch demokratische Rechte mitkaufen, könnte das Wahlrecht an einen dauerhaften Aufenthalt gebunden werden, so der Migrationsforscher. Europa hätte wenig zu verlieren, sieht man von der Illusion ab, dass Staatsbürgerschaften etwas Heiliges sind. Zu gewinnen gäbe es viel: nicht nur Mittel, um die globale Ungleichheit zu verringern, sondern auch Kontrolle über einen Teil der Einwanderung.