Wer ist der Faschist, den Rumäniens Wahlsieger Georgescu verehrt?
Die Umfragen hätten nicht falscher liegen können. Der Unabhängige Călin Georgescu gewann am Sonntag den ersten Durchgang der rumänischen Präsidentschaftswahl. Die Umfrageinstitute hatten vorher noch ein bescheidenes Ergebnis von unter zehn Prozent für den Ultranationalisten prophezeit. Auf fast 23 Prozent der Wahlstimmen kam er schließlich, in Österreich hat ihn sogar fast jeder zweite hier lebende Rumäne gewählt. Am 8. Dezember entscheidet sich in einer Stichwahl, ob Georgescu wirklich Präsident wird.
„Held“
Georgescu führte mit demagogischen Reden auf TikTok, in denen er dem von hoher Inflation geplagten Rumänien eine wirtschaftliche Renaissance versprach, eine Außenseiter-Kampagne. Doch hinter Georgescus Fassade aus Wirtschaftsversprechen und Nationalstolz steckt Nostalgie für Rumäniens faschistische Vergangenheit.
Es war ein Facebook-Video, das 2022 einen „Riesenskandal“, wie es rumänische Medien nannten, auslöste. Darin bezeichnete Georgescu zwei Männer als Helden: den rumänischen Diktator und Hitler-Verbündeten Ion Antonescu und auch den Faschistenführer Corneliu Codreanu. „Durch sie sprach die Geschichte, anders als die Lakaien der globalistischen Mächte, die heute Rumänien regieren“, sagte Georgescu. Außerhalb von Rumänien kennt Codreanu kaum jemand. Wer war er?
Antisemit
Es ist eine kleine Ansammlung von halbstarken Jugendlichen, die sich 1919 in einem rumänischen Wald nahe der sowjetischen Grenze versammelt. Sie träumen vom Krieg gegen die Sowjets und horten Waffen. Schon damals ist für den 19-jährigen Corneliu Codreanu das Feindbild klar: „Die Juden“. Geboren in der Ortschaft Huși als Sohn eines drittrangigen, aber gut vernetzten Lokalpolitikers aus dem ultranationalistischen Lager wurde Codreanu früh der Antisemitismus eingeimpft. „Er kam aus einer extrem nationalistisch aktiven Familie“, erzählt der Historiker Oliver Jens Schmitt von der Uni Wien, der 2016 im Verlag Zsolnay eine Biografie über den Faschistenführer geschrieben hat (Capitan Codreanu – Aufstieg und Fall des rumänischen Faschistenführers). „Das war ein Familienunternehmen: Codreanus Geschwister agitierten und dachten genau wie er.“ Aber erst mehrere Jahre Militärinternat zementierten sein rechtes Weltbild.
In den Zwanzigern versuchte sich Codreanu als Studentenaktivist in der westmoldauischen Universitätsstadt Iași. Sein Antisemitismus riss auch hier nicht ab: Für den rabiaten Antikommunisten steckten „die Juden“ hinter Marxismus und der Sowjetunion. „Jeder Jude wirkt als ein Agent der kommunistischen, gegen das rumänische Volk gerichtete, Ideen“, schrieb der Codreanu nach seinen Studentenjahren in seinen Memoiren. Immer mehr ging er zu offener Gewalt über: Die Clique rund um den Studentenführer störte Theatervorführungen, hinderte Juden und russischsprachige Studierende in den Universitätsmensen zu essen und verprügelte linke Studenten, wobei Codreanu gerne die Gewaltakte persönlich durchführte. „Er war ein militanter Antisemit“, zieht Schmitt als Fazit. „Sein gewaltbereiter Aktivismus machte ihn in den Augen vieler zum Märchenprinzen der Rechten.“
Rumänien in der Zwischenkriegszeit
Nach dem ersten Weltkrieg 1918 wurde Rumänien zu „Großrumänien“: Das Schwarzmeerland annektierte großteils rumänisch besiedelte Regionen, wie Siebenbürgen, Bessarabien (Moldawien) und die Bukowina. Mit den Annexionen wird Rumänien zum Vielvölkerstaat: Mehrere hunderttausende Ungarn, Deutsche und Juden lebten in dem neuen Staat. Ganze 30 Prozent der „Großrumänen“ waren Minderheiten. Verschiedene nationalistische Parteien buhlten um die Gunst des Königs, der über autoritäre Vollmachten verfügte: „Großrumänien“ wurde zunehmend instabil. König Carol II. lobte zwischen 1930 und 1940 über 25 Regierungen an.
Codreanu, mittlerweile in der National-Christlichen Verteidigungsliga (LANC) aktiv, die sich mit einem Hakenkreuz auf rumänischer Flagge schmückte, versuchte vermehrt Bauern für seinen Kreuzzug gegen Rumäniens Juden zu gewinnen. Trachten, Alpenhörner und orthodoxe Messen gehörten zum Bild von Codreanus ländlichen Aufmärschen. „Die Juden wollen eure Wälder abholzen“, donnerte er auf einer Kundgebung.
Apostel
Codreanus Fußsoldaten halfen auf dem Land aus, die LANC war auch abseits der Wahlkämpfe in den Dörfern sichtbar. „Er ist geschickt in eine Glaubwürdigkeitslücke hineingestoßen“, sagt Codreanu-Biograf Schmitt. Hinzu kam sein für die religiöse Landbevölkerung attraktiver, tief orthodox-christlicher Glauben. „Immer wieder zog er sich in Klöster in Ost-Rumänien zurück. Von Mönchen und Nonnen dort wurde er als einer der ihren akzeptiert“, sagt Schmitt. Verehrer Codreanus liefen auf seinen Aufmärschen später mit Ikonen des messianischen Redners mit. Für sie war er ein Halbgott. „Er und seine engsten Anhänger haben sich fast wie ein Ritterorden inszeniert: Zur Schau gestellte Armut, keine teure Kleidung, kaum Alkohol“, erzählt Schmitt.
Ein Ruf, der bis heute nachhallt. „Rumänien ist zutiefst zerfressen von Korruption. Über 20 Prozent der arbeitsfähigen Rumänen sind ausgewandert. Codreanu war und ist eine Anti-Figur zum System“, sagt Schmitt. Trotz einer stabilen Wirtschaft fühlen sich viele Rumänen nicht repräsentiert. Die erst 2019 gegründete „Allianz für die Vereinigung der Rumänen“ (AUR), die als geistige Erbin Codreanus gilt, kam 2020 bereits überraschend auf neun Prozent der Stimmen. Der Sieger des ersten Wahlduchgangs Călin Georgescu, der früher Mitglied der AUR war, versucht gezielt, Codreanu zu imitieren. „Georgescu versucht wie Codreanu zu sprechen“, sagt Schmitt. Durchaus mit Erfolg: „Wenn man Straßenumfragen in den Arbeitervierteln Bukarests ansieht, sagen die Leute zu Georgescu, dass er der ‚neue Codreanu‘ sei.“
Căpitanul
Spätestens seitdem Polizisten Anschlagspläne Codreanus auf führende nationalliberale Politiker und Rabbiner aufgedeckt hatten, stand der Rechtsextreme im Fokus der Justiz. Um ihn einzuschüchtern, verhaftet ihn die Gendarmerie und lässt den Demagogen in einer Gefängniszelle zusammenschlagen. Die Botschaft: Er soll die Straßengewalt stoppen. Codreanu reagiert brutal: Im Herbst 1924 trifft den verantwortlichen Polizeipräfekten hinterrücks eine Kugel. Den Abzug hat Codreanu abgezogen. Mit der faschistischen LANC sympathisierende Geschworene lassen den Mörder schließlich laufen.
Codreanu will seine zunehmende Bekanntheit in politisches Kapital ummünzen. Doch es gibt ein Problem: Selbst für den alteingesessen LANC-Präsidenen A. C. Cuza war Codreanu zu radikal. Als die LANC sich aufgrund von Grabenkämpfen innerhalb der Partei spaltete, stellte Codreanu eine eigene Partei auf die Beine: Die „Legion des Erzengels Michael“, von dem Codreanu behauptete, eine Vision empfangen zu haben. Trotz Morden an konkurrierenden Politkern und Aussteigern und einem Versuch, die Legionärsbewegung, wie sie meist genannt wurde, zu verbieten, legt die neue Partei einen Höhenflug hin: 1937 wird sie drittstärkste Partei in Rumänien. Codreanu bekommt den Namen „Căpitanul" (Kapitän), ein rumänisches Pendant zum deutschen „Führer" Adolf Hitler.
Doch Codreanu fliegt zu nahe an der Sonne: König Carol II., der rhetorisch der Legionärsbewegung nacheiferte, errichtet eine Königsdiktatur. Der Konkurrent Codreanu muss weg. Er wird schließlich verhaftet, erdrosselt, erschossen, vergraben und dann wieder exhumiert, damit die Leiche endgültig entsorgt werden kann. „Dass man Codreanus Leichnam in Säure auflöste, zeigt, wie sehr man einen Märtyrerkult um ihn fürchtete“, erzählt Schmitt. Der Kult ist dennoch nicht zu verhindern: Der General Ion Antonescu putschte 1940 mit der Legionärsbewegung im Rücken. Rumäniens neuer Militärdiktator Antonescu und Codreanus Nachfolger, Horia Sima, posierten bei Paraden vor dem Konterfei des „Märtyrers“. Doch der Codreanu-Todeskult sollte nicht lange andauern: 1944 standen sowjetische Panzer vor den Stadttoren Bukarests.
Märtyrer
Auf Distanz zu Codreanu wollte der aktuelle Sieger bei Rumäniens Präsidentschaftswahl Călin Georgescu nicht gehen. Codreanu, den er als „Märtyrer“ und „authentischen Anführer“ bezeichnete, hätte „auch Gutes“ getan, sagte Georgescu 2022 im rumänischen TV: „Codreanu kämpfte für die Moral des Menschen.“ Die rumänische Generalstaatsanwaltschaft erstattete Anzeige. Ein Gesetz verbietet in Rumänien die Verherrlichung von „Völkermördern und Kriegsverbrechern“.
Dass auch Codreanu außerhalb rechtsextremer und radikal-christlicher Kreise verklärt wird, liege auch daran, dass die rumänische Justiz nie gegen den Kult um den Faschistenführer vorgegangen ist, weiß Schmitt: „Auch eine Aufarbeitung hat es nie wirklich gegeben. An den Schulen spielt die Figur Codreanu keine Rolle.“
Laut Infos der Tageszeitung „Adevărul“ wurde die Klage aus 2020 gegen Georgescu mittlerweile wieder fallen gelassen. Grund scheint eine Gesetzeslücke zu sein: Das Gesetz deckt nur die Verherrlichung von Personen ab, die amtlich für Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt wurden.