Russischen Touristen die Einreise verbieten? Ja, sagt Benjamin Tallis
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Gastbeitrag von Benjamin Tallis
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Das vorgeschlagene Schengen-Visumverbot für russische Touristen wird besonders von jenen europäischen Staaten unterstützt, die Russlands brutalen Krieg gegen die Ukraine am entschiedensten ablehnen. Die anderen EU-Länder sollten sich ihnen anschließen. Das gilt auch für Österreich, das – wie Viktor Orbáns Ungarn – einer der wenigen EU-Staaten ist, der keine Waffen an die Ukraine liefert. Ein moralisch und politisch korrekter Kurs würde auch dazu beitragen, die Bedenken der Partner zu zerstreuen, auf die Österreich in Sicherheitsfragen angewiesen ist.
Vor allem aber wäre das Visumverbot ein deutliches Zeichen für die Entschlossenheit Europas, die Ukraine zu unterstützen und sich gegen den bösartigen Revanchismus Russlands zu stellen. Es ist ein Schritt, um den die ukrainische Führung gebeten hat, der in unserer Macht steht und mit dem wir unser Engagement für ihre Sache zeigen würden. Der Kreml rechnet mit einer Aushöhlung unserer Solidarität. Dies zu verhindern, bildet eine der „Fronten“ des Krieges, an der alle Europäer zum Sieg der Ukraine beitragen können.
BENJAMIN TALLIS, 42,
Tallis ist Analyst mit Schwerpunkt auf europäischer Sicherheitspolitik. In Kürze erscheint sein Buch „Security, Mobility and Crisis in the Enlarged EU and Its Eastern Neighbourhood“. Der Brite, der an der Universität Manchester in Internationalen Beziehungen promoviert hat, arbeitete zuvor bei der Hertie School, am Institute of International Relations in Prag sowie für die EU in der Ukraine und auf dem Balkan.
Österreich muss diese Rolle stärker als die meisten anderen EU-Staaten einnehmen, die die Ukraine in ihrem Kampf um unser aller Schutz bewaffnet haben. Der Beitritt Finnlands und Schwedens zur NATO hat Österreichs geschätzte Neutralität auf den Prüfstand gestellt. Der Verdacht des sicherheitspolitischen „Trittbrettfahrens“, die Nachsicht mit dem Putin-Regime in der Vergangenheit und das Zögern, die EU-Bestrebungen der Ukraine zu unterstützen, machen Österreich anfällig für den Vorwurf, in einer moralisch eindeutigen Situation zweideutige Signale zu senden – oder Schlimmeres. Um nicht in eine Schublade mit Ungarn gesteckt zu werden und um Bereitschaft zu zeigen, für die Demokratie einzustehen, wenn es darauf ankommt, sollte Österreich das Verbot unterstützen.
Ein Visastopp mag mit Kosten verbunden sein, diese können aber durchaus als Investition in unsere Sicherheit und Widerstandsfähigkeit gelten. Ein Visastopp würde den Zugang für russische Spitzel erschweren. „Unpolitische“ oder den Kreml unterstützende Touristen würden gehindert, die Vorteile der freien Gesellschaften zu genießen, die ihre Propagandisten so offen verhöhnen und verachten. Auf diese Weise können wir verhindern, dass ihre Heuchelei bei den EU-Bürgern, die den moralischen und materiellen Preis für die Demokratie zahlen, zu Unmut führt.
Eine Abwanderung von Fachkräften aus Russland liegt in unserem Interesse, und wir sollten die humanitären Einreise- und vor allem die Auswanderungskanäle für jene erweitern, die das Putin-Regime ablehnen.
Kritiker des Verbots behaupten, es sei unangemessen, wenn Menschen in der EU, denen bei abweichenden Meinungen kaum staatliche Gewalt droht, von Russen Widerstand einfordern. Václav Havel argumentierte während seiner Zeit als Dissident in der Tschechoslowakei in den 1970er-Jahren, dass individuelle Entscheidungen, keinen Widerstand zu leisten, zwar verständlich seien, jedoch ermöglichten es diese in ihrer Gesamtheit dem repressiven Staat, seine Macht auszuüben – und somit zu bestehen.
Der Hauptzweck des Visumverbots besteht darin, den Sieg der Ukraine zu beschleunigen und unsere eigenen Demokratien zu stärken – auch indem wir Bereitschaft zeigen, die uns zur Verfügung stehenden Mittel zu nutzen, anstatt uns selbst die Hände zu binden, wie es in der Vergangenheit allzu oft der Fall war.
Kritiker eines Visastopps argumentieren vorschnell (und fälschlicherweise), dass es gegen EU-Recht verstoßen würde. Das veranschaulicht die Tendenz einer selbstzerstörerischen Fixierung auf die Einhaltung liberaler Regeln und Verfahren, anstatt liberale Ergebnisse anzustreben. Die Kritiker ignorieren auch die politischen und sicherheitspolitischen Erfordernisse, die in den Schengen-Rechtsvorschriften vorgesehen sind, weil sie Russland immer noch nicht als das sehen, was es ist: ein gefährlicher Feind, der als solcher behandelt werden muss – aber auch einer, den die Ukraine mit unserer Unterstützung besiegen kann.
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Anders als Benjamin Tallis sieht es der Politologe Gerhard Mangott. Seinen Beitrag können Sie hier lesen:
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