Alexander Nikolajewitsch Tkatschow vor einer orthodoxen Kirche
Kaukasus

Wie russische Oligarchen die Region Abchasien aufkaufen wollen

Ein Investment-Deal zwischen Russland und der international nicht anerkannten Separatistenrepublik Abchasien soll russischen Oligarchen freie Hand lassen, Grundstücke aufzukaufen. Doch die Bevölkerung wehrt sich.

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Der Verkehr in Abchasiens Hauptstadt Suchum steht eine ganze Nacht still: Autos stauen sich auf den Straßen. Russische Touristen, die die für ihre Strände berühmte Schwarzmeerregion besuchen, fluchen. Protestierende halten Dienstagnacht Suchums Verkehrsadern besetzt: Sie blockieren mehrere Brücken, die in die Hafenstadt führen. „Die Leute waren zu allem bereit“, erzählt der Abchase Tosik, der bei der Besetzung der Gumista-Brücke beteiligt war.

Autos stauen sich hinter einem Ortsschild mit der Aufschrift "Gumista"

Der Auslöser für die plötzlichen Massenproteste: Videos zeigten, wie der abchasische Staatssicherheitsdienst fünf Oppositionspolitiker auf den Boden drückt und in schwarze Vans zerrt. Offiziell wurden sie wegen „Rowdytum“ und „obszöner Sprache“ verhaftet. „Unsere Kollegen und Patrioten werden wie Kriminelle verhaftet“, so Oppositionschef Adgur Ardzinba von der „Abchasischen Volksbewegung“. Die Regierung knickt schließlich ein und lässt die fünf Häftlinge wieder frei. „Sie haben den Volkszorn unterschätzt“, sagtTosik.

Unfriendly takeover

Der Beweggrund für den Unmut ist ein kontroverser Investment-Deal mit Russland, den die Opposition zu verhindern versucht. „Kein einziger Punkt in diesem Abkommen vertritt tatsächlich abchasische Interessen“, erzählt der bekannte abchasische Journalist Inal Khashig im Gespräch mit profil. Der Investment-Deal sieht vor, dass für russische Investment-Projekte die ersten acht Jahre keine Grundsteuer gezahlt werden muss. Hinzu kommen Erleichterungen bei der Mehrwertsteuer und bei Zöllen.

Gerade die in Abchasien wichtige Tourismusbranche wäre der neuen Konkurrenz schutzlos ausgeliefert, erzählt Khashig: „Das wird dazu führen, dass Tourismusunternehmen und Hotels in Abchasien bankrottgehen werden. Ein großer Investor, der in ein kleines Land kommt, wird die Konkurrenz vernichten.“

Abchasien erklärt

Georgien wird 1991 von der Sowjetunion unabhängig, doch der erste Präsident des Kaukasuslandes, der Nationalist Swiad Gamsachurdia, will Minderheiten, wie den im Nordwesten lebenden Abchasen, ihre Autonomierechte entziehen. Abchasien strebt daraufhin nach Unabhängigkeit. Die georgische Armee marschiert schließlich 1992 ein, um die Region wieder unter ihre Kontrolle zu bringen. Mit militärischer Unterstützung von tschetschenischen und anderen Separatisten aus dem russischen Nordkaukasus gewinnt Abchasien den brutal geführten Bürgerkrieg. Abchasien wird jedoch international nicht als Staat akzeptiert: Nur Russland und dessen enge Verbündete, wie Syrien und Venezuela, erkennen Abchasien an. Die De-Facto-Republik rutscht in eine Abhängigkeit zu ihrem Nachbarn Russland.

Für viele Abchasen ist entscheidend, dass das Abkommen mit Russland es überhaupt erst ermöglichen würde, Grundstücke an Ausländer zu verkaufen. Der Immobilenverkauf an Nicht-Abchasen ist bis heute verboten. „Wir haben Angst, dass wir uns im Zustrom an Neuankömmlingen aus Russland verlieren werden“, erzählt Abchase Tosik. Man sei besorgt Sprache, Kultur und Identität zu verlieren und bloß ein weiterer Teil von Russland zu werden, sagt er. 

„Sie wollen Abchasien aufkaufen“

Hinter dem von Moskau lancierten Deal sollen russische Oligarchen stecken. „Sie wollen Abchasien aufkaufen“, sagt Journalist Khashig. Besonders der ehemalige Landwirtschaftsminister Alexander Tkatschow, der als Gründer der Firma Tkatschow Agrocomplex mehrere Milliarden im Landwirtschaftssektor verdiente, soll für den Deal lobbyieren. „Tkatschow besitzt offiziell mehr Land als das doppelte Territorium Abchasiens. Wenn Tkatschow mit solchen Steuerprivilegien Geld investiert, verlieren wir die Kontrolle“, so Khashig weiter.

Alexander Nikolajewitsch Tkatschow vor einer orthodoxen Kirche

Alexander Tkatschow

Oligarch Tkatschow machte Karriere in der russischen Politik: Als Politiker der Regierungspartei "Einiges Russland" war er Landwirtschaftsminister, Sonderbeauftragten des russischen Präsidenten für Abchasien und Gouverneur der Region Krasnodar. Er gilt als Vertrauter Vladimir Putins.

Moskau hat dieses Jahr die Daumenschrauben enger gezogen. Der russische Ölkonzern Rosneft bekam am Anfang des Jahres das Monopol dafür, Erdöl und Gas nach Abchasien zu exportieren, was den abchasischen Erdölmarkt kurzzeitig einbrechen ließ. Im September kürzte Russland seine Finanzhilfen an Abchasien.

Opposition stürmt Parlament

Für Abchasiens Präsidenten Aslan Bschania, der auf abchasischer Seite hinter dem Investment-Deal steckt, geht es um sein politisches Überleben: Im Februar stehen in der kleinen Schwarzmeerrepublik Präsidentschaftswahlen an. Doch Bschania gilt als enorm unbeliebt: Der ehemalige KGB-Agent brach sein Wahlkampfversprechen einer Verfassungsreform, Korruption grassiert, Abchasien Energiesektor gilt als marode.

Abchasiens Präsident Aslan Bschania in Anzug

Aslan Bschania

Der Geheimdienstler Bschania leitete mehrere Jahre Abchasiens Staatsicherheitsdienst. Sein Einstieg in die Politik kostete ihn fast das Leben: Als er 2019 in Umfragen als Favorit für den Posten als Präsident galt, wurde er vergiftet. Das mutmaßliche Attentat löste eine Staatskrise aus, die ihn schließlich in das Präsidentenamt hievte.

„Bschania will sich jetzt als einziger Freund Russlands präsentieren und hofft auch auf eine Geldspritze von russischen Oligarchen, um doch noch die Wahl irgendwie zu gewinnen“, sagt Khashig, der darauf hinweist, dass es aber auch unter Regierungsgegnern „keine anti-russischen Gefühle“ gebe. Moskau sei als Handelspartner und Sicherheitsgarant gegenüber Georgien, das die Region gerne wieder in den georgischen Staat eingliedern würde, zu wichtig.

Um den Status als „Freund Russlands“ zu zementieren, muss Bschania an diesem Freitag den Investment-Deal noch durch Abchasiens Parlament bringen. Doch das könnte sich schwierig gestalten, erklärt Khashig. „Am Land herrscht die Meinung, dass ihre Repräsentanten so stimmen sollen, wie ihre Wähler es wollen. Die Gegner des Investment-Deals riefen ihre Vertreter an und versuchten sie zu drängen, sich gegen das Abkommen zu stellen.“

Der Druck aus der Bevölkerung scheint vorerst erfolgreich gewesen sein: Die Parlamentssitzung wurde kurzfristig abgesagt. Doch oppositionelle Demonstrierende vor dem Parlament geben sich damit noch nicht zufrieden. Sie wollen das Investmentabkommen annulliert sehen. Unter ihnen: Der Abchase Tosik, der von einer aufgeheizten Stimmung berichtet: "Die Sitzung zu verschieben war für uns nicht genug. Schon am Beginn sah man Personen mit Rauchbomben." Ein Truck prallt am Vormittag in das Portal zum Parlamentsgeländes, das krachend nachgibt. Demonstrierende stürmen den Platz.

Raphael  Bossniak

Raphael Bossniak

seit November 2024 Volontär im Digitalteam und im Ausland-Ressort.