Russland wählt 2018 Präsidenten: Ergebnis steht wohl schon fest
Der Schock über ihre "Nominierung“ saß bei Elena Rykovtseva tief. Die russische Journalistin des vom US-Kongress finanzierten Rundfunksenders Radio Liberty postete am 12. September um 11.21 Uhr auf ihrer Facebooksite: "Liebe alle. Mein Gesicht ist in so einem Projekt von Michail Khodorkovsky aufgetaucht, bei dem über Kandidaten für die russischen Präsidentschaftswahlen 2018 online abgestimmt werden kann.“ Exiloligarch und Putin-Feind Khodorkovsky hatte in der Tat auf seiner oppositionellen Plattform Open Russia zur Vorauswahl möglicher Kandidaten aufgerufen. Leider hatte er offenbar verabsäumt, dies vorher mit den Auserwählten abzusprechen. "Ich bitte die Autoren dieses Spielzeugs, mich von ihrer Liste zu entfernen“, schreibt Rykovtseva mit spürbarer Dringlichkeit.
Kreml-Kandidaten per Internet nominieren? Da sei Putin vor! Seit 17 Jahren regiert Wladimir Wladimirowitsch, wie er in Russland mit Vaternamen heißt, die Russische Föderation mit autoritärer Hand. Mit der Konsequenz des effizienten KGB-Offiziers, der er einst war, hat Putin als Präsident erst die Medien, dann die Gerichte und schließlich das Parlament als demokratische Institutionen entmachtet. Hier und da toleriert der Kremlherr kritische Stimmen, das ist die persönliche Note des Putinismus. Deshalb treten bei Parlamentswahlen wie am 18. September oder bei den nächsten Präsidentenwahlen im März 2018 zwar Gegenkandidaten an. Bei den Duma-Wahlen werden sie aber nur vereinzelt gewinnen, sodass sie im Parlament kein ernstzunehmendes Gewicht haben.
Pseudo-demokratische Kosmetik
Geht es um den mächtigen Posten des Präsidenten, wird der Wahlgang zu pseudo-demokratischer Kosmetik. In Russland bekommt der Begriff "Elefantenrunde“ zudem eine ganz neue Bedeutung. Es ist mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass ein paar sehr alte Bekannte antreten werden - allen voran jener Mann, der die Zügel bisher fest in der Hand hält: Wladimir Putin. Der heute 63-jährige Präsident hat die Verfassung eigenhändig geändert, um noch möglichst lange im Sattel bleiben zu können. Tritt er noch einmal an und gewinnt, kann er bis 2024 Kremlherr bleiben. Putin wäre dann ein Vierteljahrhundert an der Macht.
Gegen ihn will, wie üblich, Gennadi Sjuganow antreten. Der 72-jährige Altkommunist ist seit 1993 Chef der Kommunisten. Er und seine Partei gelten seit Jahren als treue Vasallen des Putinismus. Dasselbe gilt für den ewigen anderen Gegenkandidaten, Wladimir Schirinowski. Der 70-jährige rabiate Populist führt seit 1989 die heute als Politische Partei LDPR bekannte rechtsradikale, nationalistische Kleinpartei. Wie die KP ist sie ein Instrument des Kreml.
Wen aber wird die liberale Opposition ins Rennen schicken? Als Fixstarter gilt Grigori Jawlinski von Jabloko. Einst die Hoffnung der Demokraten, ist seine Partei, deren Vorsitz er 2008 zurücklegte, nicht mehr im Parlament vertreten. Doch als Kandidat für den Kreml hat Jawlinski sich bereits nominieren lassen - auch wenn er keinerlei Chancen hat, die Wahlen zu gewinnen.
Für die politische Zukunft Russlands sind weniger die Namen der Kandidaten von Bedeutung als jene, die fehlen. Der 40-jährige Rechtsanwalt Alexei Navalny etwa ist nicht nur deutlich jünger als die Männer der Elefantenrunde, sondern auch ein überzeugter Nationalist, was bei der russischen Bevölkerung sehr gut ankommt. Und der Chef der Fortschrittspartei hat sich als Kämpfer gegen die Korruption der Kreml-Kleptokratie einen Namen gemacht. Navalny bezeichnete die russische Mehrheitspartei Geeintes Russland 2011 als "Partei der Gauner und Diebe“. Dieser Schimpfname wurde zum Schlachtruf bei den Massendemonstrationen des russischen Mittelstands im Winter des Jahres 2011. Der neue Volksheld Navalny wurde daraufhin eingesperrt. Er darf auch nicht bei den Wahlen kandidieren; das wäre Putin dann doch zu gefährlich.
Khodorkovsky sucht nach neuen Gesichtern
Deshalb ist es auch nicht ganz absurd, dass Michail Khodorkovsky nun auf die Suche nach neuen Gesichtern geht. Der ehemals reichste russische Oligarch hatte sich 2003 mit Putin entzweit. Khodorkovsky führte seinen Ölkonzern Yukos damals mit großem Geschick, gleichzeitig investierte er in die liberale Opposition. Beides gefiel dem machtbewussten Kremlherrn gar nicht. Khodorkovsky wurde wegen Steuerhinterziehung und Betrugs zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt und verschwand in einem Gefängnislager an der chinesischen Grenze, bis er Ende 2013 begnadigt wurde.
Khodorkovsky war so lange fern der Macht, dass er auch jetzt kaum Chancen bei seinen Landsleuten hat. Oligarchen sind im Volk generell unbeliebt, zudem lebt der 53-Jährige im Exil in der Schweiz. Dort gründete er die Bewegung Open Russia, um die russische Zivilgesellschaft zu stärken. Über diese Plattform finanziert er Pardes, die Partei von Michail Kasyanov. Dieser war noch Premierminister, als Khodorkovsky 2003 hinter Gitter musste. Inzwischen aber hat sich auch Kasyanov längst mit Putin überworfen und ist nun einer der wenigen, die als genuine Kritiker Putins gelten und immer noch kandidieren dürfen.
Zum Beispiel als Präsidentschaftskandidat 2018. Auch Michail Kasyanov hat zwar keine Chance zu gewinnen, aber was tut man nicht alles im Kampf gegen die Kleptokratie? Russland rangiert auf dem Korruptionsindex von Transparency International auf Rang 119 von 168 Staaten. Es ist ein offenes Geheimnis, dass die Käuflichkeit ein integraler Bestandteil des Putinismus ist.
Da es dem Wahlkampf zur Staatsduma, dem Parlament, an echtem Drama fehlte, flog noch rechtzeitig vor dem Urnengang ein geradezu irrwitziger Schmiergeldskandal auf. Die Ermittler des FSB, der Nachfolgeorganisation des KGB, fanden 125 Millionen in Dollarscheinen in der Wohnung von Oberst Dmitri Sachartschenko. Er war der kommissarische Leiter der Hauptverwaltung für Korruptionsbekämpfung. Er selbst beteuerte bei der Verhaftung seine Unschuld.
Inzwischen wurden jedoch weitere 300 Millionen Euro auf ausländischen Konten gefunden, zum Beispiel bei Schweizer Filialen der Dresdner Bank. Nutznießer: Sachartschenkos Vater. Der geldgierige Offizier dürfte ein Bauernopfer sein. In Putins Russland passieren Razzien vor laufenden Fernsehkameras immer ausgerechnet dann, wenn es einem Minister an den Kragen geht. In diesem Fall könnte in der Karriere von Innenminister Wladimir Kolokolzew die letzte Stunde geschlagen haben.
Schwer zu sagen, ob der Bestechungsskandal dem Kreml an der Wahlurne mehr schadet oder nützt. In Russland heißt es gemeinhin: Besser einen Zaren, der das Land schon ausgeraubt hat, als einen neuen Zaren, der erst damit anfängt. Auch das spricht dafür, dass Putin noch lange an der Macht bleibt.