Kritiker leben in Saudi-Arabien immer noch gefährlich

Wie geht Saudi-Arabien mit Dissidenten und Kritikern um?

Dass der 33 Jahre alte Thronfolger Mohammed keinen Widerstand duldet, bekamen unter anderem bereits Kleriker, Geschäftsleute und Frauenrechtler zu spüren.

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Kairo, Ende September: Es ist ein staubig-trockener Tag nahe der Wüste, an dem sich ein geheimnisvolles Treffen in einem Hotel in Kairo abspielt. Angehörige der Botschaft Saudi-Arabiens spazieren mit einem Scheck über "mehrere Millionen" in die Lobby, so die Darstellung des in Deutschland lebenden saudischen Prinzen Khalid bin Farhan al-Saud im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur.

Sie treffen einen Verwandten des Regimekritikers - und wollen dem Prinzen ein Angebot unterbreiten. "Sie haben meinem Verwandten gesagt, sie wollten mir helfen, weil ich kein Geld mehr hätte. Ich müsse den Scheck nur in der saudischen Botschaft in Ägypten abholen", erzählt Prinz Khalid. "Aber ich habe gewusst, dass das eine Falle ist".

Nur wenige Tage später, am 2. Oktober, verschwindet der kritische saudische Journalist Jamal Khashoggi in Istanbul. Kurz nach Mittag betritt er das Konsulat Saudi-Arabiens, um Dokumente für seine Hochzeit abzuholen. Seitdem wird er vermisst. Türkische Ermittler gehen davon aus, dass der prominente Kolumnist der "Washington-Post" von einem saudischen Sonderkommando ermordet worden ist.

Sie hätten mich auf irgendeine unmenschliche Art und Weise getötet, um andere abzuschrecken.

Seitdem ist der Fall Khashoggi zum Politikum geworden. Vor allem die USA machen immensen Druck auf den erst 33-jährigen Kronprinzen Mohammed bin Salman, den starken Mann Riads. US-Präsident Donald Trump schickte seinen Außenminister Mike Pompeo zur Aufklärung nach Saudi-Arabien.

Prinz Khalid bin Farhan ist sich sicher, dass ihm das gleiche Schicksal gedroht hätte wie Khashoggi, hätte er sich in die saudische Botschaft in Kairo locken lassen. "Sie hätten mich auf irgendeine unmenschliche Art und Weise getötet, um andere abzuschrecken", sagt der 41-Jährige, der eigenen Aussagen zufolge seit 2004 im deutschen Exil lebt und mittlerweile auch deutscher Staatsbürger ist.

Wie geht die Ölmonarchie mit Dissidenten um?

Doch Saudi-Arabien behielt seinen Prinzen im Visier: Nach dpa-Informationen ersuchte das Königreich die deutschen Behörden vergangenes Jahr in dem Fall, um Möglichkeiten für eine Auslieferung auszuloten. Die Anfrage blieb von deutscher Seite unbeantwortet. Auch der Staatsschutz in Düsseldorf steht mit dem Prinzen nach eigener Aussage schon seit Jahren in Kontakt, auch das deutsche Bundeskriminalamt ist demnach mit dem Fall befasst.

Das Verschwinden des Journalisten Khashoggi hat ein Schlaglicht auf den Umgang der reichen Ölmonarchie mit seinen Dissidenten geworfen. Seit dem Amtsantritt von König Salman Anfang 2015 hat die Unterdrückung Beobachtern zufolge neue Höhen erreicht. Der König machte seinen Sohn Mohammed zum mächtigsten Mann im Staate. Dass der 33 Jahre alte Thronfolger keinen Widerstand duldet, bekamen unter anderem Kleriker, Geschäftsleute und Frauenrechtler zu spüren.

Kritische Prinzen verschwinden im Exil

Auch außerhalb des Landes? Die britische BBC dokumentierte vergangenes Jahr drei Fälle, in denen kritische Prinzen des weitverzweigten Königshauses im Exil verschwanden: Prinz Sultan bin Turki befand sich den Recherchen zufolge im Jänner 2016 in Paris, als er seinen Vater in Kairo besuchen wollte. Das saudische Konsulat bot einen Privatjet nach Ägypten an, der jedoch mit dem Prinzen nach Riad flog. Auch zwei weitere Prinzen, Turki bin Bandar und Saud bin Saif al-Nasr, verschwanden in Europa. Hier gibt es ebenfalls Hinweise auf Entführungen.

Die Geschichten passen zu den Informationen, die die "Washington Post" kürzlich zum Fall Khashoggi veröffentlichte: Demnach zeigten abgefangene Gespräche saudischer Offizieller, dass die saudische Regierung den Journalisten aus seinem Exil in den USA ins Königreich locken und dort festnehmen wollte.

Prinz Khalid glaubt, dass auch er auf der Abschussliste der Saudis weit oben steht. Seiner Schilderung zufolge fiel er in Saudi-Arabien in Ungnade, als er dem heutigen König Salman - damals noch Emir von Riad - Korruption vorwarf. Der junge Prinz, der früher saudischer Diplomat unter anderem in Ägypten war, musste Saudi-Arabien verlassen. Seit 2004 lebt er eigenen Aussagen zufolge in Deutschland, mittlerweile in Düsseldorf.

Natürlich haben wir alle Angst. Denn die Regierung in Riad hat keinen Plan und geht über Leichen.

Doch auch in der deutschen Bundesrepublik wird Khalid bin Farhan Riads langen Arm nicht los. Anfangs sei er verfolgt worden, sagt er. Das habe sich mittlerweile gebessert, auch wenn er weiterhin viele anonyme Morddrohungen erhalte. Zudem sei er in den vergangenen Jahren insgesamt mehr als 50 Mal von saudischer Seite kontaktiert worden. "Ich habe mich mit dem saudischen Botschafter in Berlin zehn Mal getroffen. Aber immer nur in einem Cafe", sagt Khalid bin Farhan. Der Diplomat habe ihm mehrmals angeboten, für eine Aussprache mit dem König in seine Heimat geflogen zu werden.

Prinz Khalid schlug die Angebote aus: "Wenn ich das gemacht hätte, würde ich nun nicht mit Ihnen reden." Die Sorge der Dissidenten sei durch den Fall Khashoggi gestiegen. "Natürlich haben wir alle Angst. Denn die Regierung in Riad hat keinen Plan und geht über Leichen", sagt er.

Das Königreich hat in der Vergangenheit alle Anschuldigungen zu Entführungen oder gar der Tötung von Kritikern vehement bestritten. Anfragen an Saudi-Arabien für eine Stellungnahme zur Darstellung des Prinzen blieben zunächst unbeantwortet.

Khalid bin Farhan al-Saud sagt, er fühle sich in Düsseldorf sicher. "Ich sage immer: Gott sei Dank lebe ich in Deutschland." Doch auch in seiner neuen Heimat bleibt der Prinz immer wachsam. Sein Anwalt halte ständig Kontakt zur Polizei. Nur für den Fall.