Saudi-Arabien: Die Welt trauert um einen Despoten

Saudi-Arabien: König Abdullah ist tot - die Welt trauert um einen Despoten

Saudi-Arabien. König Abdullah ist tot

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Die Welt trauert um einen Despoten. Und die Kondolenzbotschaften aus den Staatskanzleien wirken nicht wie bloße rituelle Trauerbezeugungen. Sie scheinen vielfach aufrichtige Sympathie für den vergangenen Donnerstag im 91. Lebensjahr verstorbenen saudi-arabischen Monarchen König Abdullah bin Abdulaziz al Saud auszudrücken: Ihm wird von allen Seiten Mut, Weitsicht und Weisheit attestiert. Die internationale Trauer um König Abdullah ist echt.

Besonders abstoßende Despotie
Das Regime, an dessen Spitze dieser seit 2005 – als faktischer Regent bereits seit 1995 – stand, ist nicht irgendeine „durchschnittliche“ Despotie, sondern eine besonders archaische und abstoßende: Wohl in kaum einem anderen Land wird so viel geköpft, gesteinigt und ausgepeitscht. Handabhacken für Diebe steht auf der Tagesordnung. Auf Apostasie steht der Tod, und jegliche Regimekritik und jeder Protest werden brutal unterdrückt. Besonders empört im Westen die Situation der saudischen Frau. Ohne das Einverständnis des Ehemanns oder des Vaters kann diese nichts tun: nicht arbeiten, nicht reisen. Und Saudi-Arabien ist das einzige Land, das seiner weiblichen Bevölkerung das Autofahren verwehrt.
Warum wird trotz alledem der verstorbene Ölmonarch nun weltweit in den Nekrologen und Beileidsschreiben gepriesen?

Zunächst: Im saudischen Kontext war Abdullah tatsächlich ein Moderater. Da mag der Wahhabismus, die puritanisch-islamische Staatsreligion des saudischen Regimes, auch ideologische Inspiration von Al Kaida und anderen Dschihadistengruppen sein – nicht zufällig waren 15 der 19 Attentäter des 11. September 2001 Saudis –, deren Interpretation aber, dass der Glauben Terror rechtfertigen oder sogar vorschreiben würde, verdammte Abdullah immer wieder in scharfer Form. Die Schulbücher ließ er von den extremsten Passagen säubern, und 900 besonders radikale Imame schickte er in Umerziehungs-Kurse.

Winzige Reformschritte
Auch stieß er Reformschritte an, die von außen betrachtet winzig erscheinen mögen, im Land freilich wichtig waren: Er erlaubte Frauen, in Supermärkten an der Kassa zu sitzen, bestellte eine stellvertretende Ministerin und gründete in Riad die König-Abdullah-Universität, in der Männer und Frauen gemeinsam studieren können. Und er schickte massenhaft junge Saudis zum Lernen an ausländische Universitäten.

Letzten Endes aber musste er sich immer wieder dem ultrakonservativen, wahhabitischen Klerus beugen, der dem Herrscherhaus der Sauds seit dem 18. Jahrhundert seine Legitimation verleiht.

In Abdullahs Lebenszeit vollzog sich der rasante Wandel von einer beduinischen Hirtengesellschaft zum entwickelten Kapitalismus. Er selbst war noch in der beduinischen Tradition aufgewachsen. Der Staatsgründer Abdul Aziz war für seine Söhne, von denen Abdullah bereits als fünfter auf dem Thron in Riad saß, ein strenger Vater: „Ich lehre meine Kinder, barfuß zu gehen, zwei Stunden vor Sonnenaufgang aufzustehen und ohne Sattel zu reiten“, sagte er einmal. Von dieser Erziehung war Abdullah geprägt: Er sprach einfach und klar wie die Beduinen, wollte nicht als Majestät angesprochen werden, schockierte die royale Familie, als er Tausenden Prinzen und Prinzessinnen die Apanage kürzte und galt als Asket – wenn man das von einem Mann sagen kann, der schon mal ein ganzes Luxushotel mietet und mit seinen vielen Frauen samt großem Gefolge mit einer Düsenjet-Flotte auf Reisen geht.

Jedenfalls war Abdullahs Herrschaft der permanente Versuch, die Wüstentraditionen mit den Anforderungen der modernen Welt in Einklang zu bringen.

Riad als wichtigster Bündnispartner der USA in arabischer Welt
Was ihm aber in der Weltpolitik der vergangenen Jahrzehnte zu einem begehrten Gesprächspartner machte, war vor allem die Zentralität seines Landes. Die reiche Ölmonarchie ist nicht nur Heimat von Mekka und Medina, der heiligen Stätten der Muslime, und der saudische Monarch deren „Hüter“ – die USA haben in Riad den wichtigsten Bündnispartner in der arabischen Welt. Und das bereits seit 70 Jahren: Am 15. Februar 1945 unterschrieben König Abdul Aziz und der bereits todkranke amerikanische Präsident Franklin D. Roosevelt einen Freundschaftsvertrag. Diese Allianz erweist sich bis heute als überaus widerstandsfähig.

Erst kürzlich kam es zu ernsten Verstimmungen zwischen den Amerikanern und den Saudis. In Riad empörte man sich über den Entspannungskurs Barack Obamas gegenüber dem saudischen Erzfeind, der schiitischen Theokratie in Teheran. Washingtons vermeintlich „zu weiche“ Haltung gegenüber Syriens Baschar al-Assad wurde gegeißelt. Zu einem echten Zerwürfnis mit den USA kam es dann aber doch nicht. Heute ist Riad Hauptbündnispartner der USA und des Westens im Kampf gegen die Dschihadisten des „Islamischen Staates“.

Weltweite Anerkennung brachte Abdullah auch sein 2002 vorgestellter Nahost-Friedensplan, wonach sich Israel auf alle Positionen vor Beginn des Sechs-Tage-Kriegs 1967 zurückziehen sollte, wofür im Gegenzug die arabischen Länder Israel diplomatisch anerkennen und für den Judenstaat Sicherheitsgarantien abgeben würden.

Sturz des Saud-Regimes für viele Horrorvorstellung
Seit damals ist im Nahen Osten nicht nur kein Frieden eingekehrt, im Gegenteil: Diese weltpolitisch so wichtige Region versinkt mit dem Aufstieg des „Islamischen Staates“, den Kriegen in Syrien und Irak und dem sich zuspitzenden sunnitisch-schiitischen Konflikt immer mehr im Chaos. In dieser Situation erscheint die saudische Monarchie geradezu als einer der letzten Stabilitätsanker. Und die Perspektive, das Saud-Regime in Riad könnte, so wie bereits andere Diktaturen in der Region, gestürzt werden, ist für viele eine Horrorvorstellung.

Das ist der Hintergrund für die Lobpreisungen, die Abdullah posthum erfährt. Die Angst, auch Saudi-Arabien könnte demnächst den Weg Iraks, Syriens oder Libyens gehen, ist so unbegründet nicht. Salman, der neue König, versicherte zwar, in allen Fragen die Politik seines verblichenen Halbbruders fortführen zu wollen. Ob er aber Abdullahs in den Nachrufen jetzt so gerühmte Ausgewogenheit und Fähigkeit des Ausgleichs besitzt, wird bezweifelt. Es geht das Gerücht, dass der Abdullah-Nachfolger an Alters-Demenz leidet. König Salman ist 80 Jahre alt.

Georg Hoffmann-Ostenhof