Schallenberg im Porträt: Eineinhalb Zigaretten in Washington, D.C.
Es ist acht Uhr abends in Washington, D.C., Alexander Schallenberg steht vor einem Bistro und zündet sich eine Zigrette an. Es ist die erste halbwegs entspannte Pause an diesem Tag, ein paar Minuten hat Österreichs Außenminister für sich, dann strömt der Pulk aus Kabinettsmitgliedern, Diplomaten und Journalisten aus dem Lokal. Es ist vorbei mit der Ruhe.
Gerade einmal 30 Stunden hat Schallenberg in den USA verbracht, eine kurze Nacht und zwei lange Tage. Der wichtigste Termin war das Vieraugengespräch mit seinem Amtskollegen Antony Blinken, doch Schallenberg traf auch CIA-Chef William Burns, die US-Geheimdienstchefin Avril Haines und den Koordinator des Weißen Hauses für den Nahen Osten, Brett McGurk. Er sprach vor Studenten an der Johns Hopkins University, traf österreichische Unternehmer und gab dem „Wall Street Journal“ und der „Washington Post“ Interviews.
Schmeichelhaft war Blinkens Verständnis für Österreichs Neutralität: „Ihr seid neutral, ohne neutral zu sein“, habe Blinken zu ihm gesagt, berichtete Schallenberg den österreichischen Medienvertretern nach dem Gespräch mit Amerikas Chefdiplomat nicht ohne Stolz.
Es war ein erfolgreicher Besuch.
Schallenberg zündet sich noch eine Zigarette an, und die Botschaftsangestellten werden langsam unruhig. Man müsse jetzt zum Flughafen aufbrechen. Wirklich. Sofort. In zwei Stunden geht der Flieger.
Am Vortag, der sich anfühlt, als wäre seither eine Woche vergangen, steht Schallenberg wenige Stunden nach der Ankunft in Washington in der Österreichischen Botschaft und hält eine flammende Lobrede auf die freie Welt. „Es gibt kein Zurück zum status quo ante“, sagt er in Anspielung auf Österreichs historisch gute Beziehungen zu Russland und den Angriffskrieg in der Ukraine. Er wird den Satz noch oft sagen in den kommenden zwei Tagen.
Vor Diplomaten, Journalisten und Auslandsösterreichern lobt der Außenminister die Einigkeit des Westens gegenüber Russland, spricht von einer „force formidable, die sich nicht herumschubsen lässt“. Hier passen Schallenbergs Formulierungen auf Latein und Französisch zum Rahmen, anderswo fällt es den Leuten schwer, ihn zu verstehen. Der 53-jährige Vater von vier Kindern ist nicht gerade bekannt für seine Volksnähe, die Herkunft des Chefdiplomaten, der aus einer alten Adelsfamilie stammt, ist in jedem Moment spürbar. Wenige Menschen bekommen ihn ohne Anzug und Krawatte zu Gesicht.
Schallenberg ist wie immer gut vorbereitet. Wenn er von der Partnerschaft mit Amerika spricht, ist seine Leidenschaft für die Sache spürbar. Der Außenminister steckt viel Herzblut in seine Arbeit. Nervt es ihn, sich bis heute für den ehemaligen Bundeskanzler
Sebastian Kurz rechtfertigen zu müssen?
Schallenberg weicht aus, setzt einmal mehr seinen Humor ein, um einer Antwort zu entkommen. Es muss frustrierend sein, immer wieder auf Kurz angesprochen zu werden, alles andere ist schwer zu glauben. „Erinnern Sie mich nicht daran!“, sagt Schallenberg, als er an der Johns Hopkins University in Washington als Kurzzeit-Kanzler vorgestellt wird.
Der Rücktritt von Sebastian Kurz im Oktober 2021, die Chat-Affäre, die Skandale der ÖVP um gekaufte Inserate und frisierte Meinungsumfragen sind bis nach Amerika vorgedrungen. Als das Kurz’sche Kartenhaus zusammenbrach, sprang Schallenberg, der seriöse Spitzendiplomat aus der Adelsfamilie, als Kanzler ein.
„Eigentlich kann er nur verlieren“, betitelte der „Spiegel“ damals einen Artikel über Schallenbergs Wechsel. Es sei keine schöne Zeit für ihn gewesen, heißt es aus ÖVP-Kreisen, Kurz sei extrem manipulativ vorgegangen – und Schallenberg dürfte dafür empfänglich gewesen sein. „Er hat sich da hineinreden lassen“, sagt jemand, der damals für die Regierung gearbeitet hat. Man habe ihm keine Zeit gegeben, sich das ordentlich zu überlegen.
Die SMS, die Schallenbergs Kanzlerschaft einleitet, kommt an einem Samstag um drei Uhr früh. „Wir müssen reden“, soll Kurz geschrieben haben. Um sechs sei er im Büro gewesen, erzählt Schallenberg, die Entscheidung sei schnell gefallen. „Es war klar“, sagt er, „wenn Not am Mann ist, dann machst du das gefälligst.“ Er sei seinem „Pflichtgefühl für die Gemeinschaft“ nachgekommen, „so bin ich erzogen“. Vor der Entscheidung habe er auch mit seinen Eltern telefoniert.
Schallenbergs Vater ist der am Mittwoch verstorbene ehemalige Spitzendiplomat und Generalsekretär des Außenministeriums Wolfgang Schallenberg. Die Nachricht von dessen Tod erreicht den Außenminister im Transitbereich des Flughafens Frankfurt auf dem Rückweg von Washington nach Wien. Das Ableben des 92-Jährigen kam nicht überraschend, dennoch trifft die Nachricht Schallenberg schwer. Wolfgang Schallenberg sei nicht nur als Vater wichtig für ihn gewesen, heißt es aus dem engsten Umfeld des Außenministers, sondern auch als zuverlässiger Ratgeber. Wesentliches habe er stets mit ihm besprochen, nun sei diese wichtige Stütze weggefallen.
Geboren wird Alexander Georg Nicolas Schallenberg am 20. Juni 1969 in Bern. Vater Wolfgang entstammt einer Adelsdynastie aus dem Mühlviertel mit Löwen im Wappen, die Mutter ist Schweizerin. Die Familie begleitet Botschafter Schallenberg auf dessen beruflichen Stationen, Sohn Alexander wächst in Indien, Spanien und Frankreich auf. Die Diplomatie wird ihm in die Wiege gelegt. Als junger Mann tritt er in die Fußstapfen seines Vaters, studiert Rechtswissenschaften in Wien und Paris, arbeitet im Außenministerium und in der Ständigen Vertretung Österreichs in Brüssel. 2006 lässt er die Diplomatie vorerst hinter sich, wird Pressesprecher von Außenministerin Ursula Plassnik und bleibt, als 2008 Michael Spindelegger übernimmt. Außenminister Sebastian Kurz macht Schallenberg 2013 zum Chef der Stabstelle für strategische Planung, ab 2016 leitet er die Europa-Sektion des Außenministeriums. 2018 holt ihn Kurz ins Bundeskanzleramt, Schallenberg übernimmt die Leitung der Europasektion.
Unter Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein wird er 2019 zum Minister für Europa, Integration und Äußeres ernannt – und bleibt als einziges Mitglied der Übergangsregierung nach den Neuwahlen im Amt.
Sein kurzer Ausflug ins Bundeskanzleramt, jene fünf Wochen Ende 2021, die im Lebenslauf Schallenbergs wie ein Bruch wirken, das sei eine „sehr heftige Zeit“ gewesen, sagt er, auch wenn er sie im Nachhinein nicht missen wolle. Die Episode habe ihn geprägt. Schallenberg sagt aber auch: „Ich habe es nicht gewollt.“ Mehrere Leute aus seinem Umfeld bestätigen das.
Unter den meisten Diplomaten genießt Schallenberg hohes Ansehen. Man fühlt sich verstanden, immerhin ist er einer von ihnen. Doch der Chefdiplomat kann auch recht undiplomatisch sein. Schon in den ersten Tagen seiner Amtszeit als Bundeskanzler unterlaufen Schallenberg einige Pannen. Als ihm NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger im Parlament die Anordnung zur Hausdurchsuchung in der ÖVP-Zentrale vor die Nase legt, fegt er das Dokument demonstrativ vom Tisch auf den Boden. Als er in der „ZIB 2“ gefragt wird, ob Kurz je wieder Kanzler werden kann, sagt er: „Sicher“. Selbst die konservative „Presse“ ätzt: „Kann Kurz-Epigone Schallenberg Kanzler?“
Die Opposition sieht in ihm einen Platzhalter, und so kommt es am Ende auch, nur dass Schallenberg nicht von Kurz abgelöst wird, sondern von Karl Nehammer. Nach weniger als zwei Monaten im Kanzleramt darf Schallenberg zurück ins Außenministerium. Die Erleichterung ist ihm anzumerken.
Hält Schallenberg eine Rückkehr von Kurz in die Politik auch heute noch für denkbar? Er weicht der Frage aus, sie stelle sich nicht, nur so viel: Karl Nehammer werde der nächste Spitzenkandidat der ÖVP sein. Angesprochen auf Gerüchte, wonach seine Beziehung zum aktuellen Kanzler und ÖVP-Chef brüchig sei, reagiert er überrascht. „Im Gegenteil“, sagt Schallenberg, „wir sind privat gut befreundet.“ Auch die Behauptung mancher, dass er in einem Konkurrenzverhältnis zu Europaministerin Karoline Edtstadler stehe, winkt Schallenberg ab. „Er ist mein europapolitischer Sparringpartner“, lässt Edtstadler wissen. Alexander Schallenberg sei nicht nur ein langjähriger Wegbegleiter, sondern auch ein persönlicher Freund.
Und sein Verhältnis zu Sebastian Kurz?
Beim Umgang der Medien mit dem ehemaligen Kanzler wird Schallenberg emotional, moniert, wie Journalisten „wie pawlowsche Hunde“ auf alles aufspringen würden, das mit ihm zu tun hat. Er sehe ihn selten, aber regelmäßig, etwa alle drei Monate.
Hat sich Schallenberg vom gefallenen Kanzler distanziert? Eine Antwort auf die Frage fällt nicht leicht. Er habe es durchaus geschafft, sich vom System Kurz zu emanzipieren, sagt der SPÖ-Abgeordnete Jörg Leichtfried. Im Gegensatz zu anderen Ministern begegne Schallenberg dem Parlament mit dem nötigen Respekt.
Angesprochen auf die Chats, die Kanzler Kurz letztlich zu Fall brachten, verweist Schallenberg auf die Unschuldsvermutung. Außerdem sei die Suppe dünn, das habe auch der Akt über die Hausdurchsuchungen gezeigt. Doch das Bild, das die Chats zwischen Sebastian Kurz und Thomas Schmid abgeben, ist auch ohne strafrechtliche Relevanz kein gutes. Die SMS, in denen der damalige Kanzler den Generalsekretär im Finanzministerium auffordert, der katholischen Kirche Angst zu machen, seien „stark übertrieben“ gewesen, sagt Schallenberg, am Ende hätten sie zu nichts geführt.
Unter Kurz ist nicht nur der Ton rauer geworden. In der ÖVP hat sich einiges verändert, der Migrationskurs hat sich verschärft, in den Kabinetten ist die „Message Control“ eingezogen. Das ist geblieben. Vom Kanzleramt ausgegebene Stehsätze werden brav wiederholt, auch von Schallenberg. Das überrascht viele, die ihn von früher kennen. Er denkt in Wahrheit anders, sagen die einen. Schallenberg vertrete den harten Migrationskurs durchaus auch privat, heißt es aus seinem engsten Umfeld. Immerhin stamme er teilweise aus seiner eigenen Feder.
„In Österreich hat sich in den vergangenen Jahren alles um Migration gedreht, daran hat sich nach dem Abtritt von Kurz nichts geändert“, sagt ein europäischer Spitzendiplomat. Das Veto Wiens gegen den Schengen-Beitritt von Rumänien und Bulgarien sei falsch und uneuropäisch, „das weiß Schallenberg ganz genau“.
Deutlich wurde der harte Migrationskurs zuletzt beim EU-Gipfel vergangene Woche in Brüssel. Kanzler Nehammer drohte damit, die gemeinsame Abschlusserklärung der Staats- und Regierungschefs zu blockieren, sollte es keine konkreten Vereinbarungen zur Migrationspolitik geben. Gemeinsam mit sieben weiteren EU-Staaten forderte Nehammer EU-Gelder für den Schutz der Außengrenzen, neue Rückführungsabkommen mit Drittstaaten und raschere Abschiebungen. Eine direkte EU-Finanzierung für Grenzzäune gibt es zwar nicht, für Nehammer war der Gipfel dennoch ein Erfolg: Aus Brüssel sollen Mittel etwa für die Überwachung und Ausrüstung zum Schutz der Außengrenzen fließen.
Was die raschen Abschiebungen betrifft, hat das Innenministerium in Wien der EU-Kommission seine Idee einer sogenannten „Zurückweisungsrichtlinie“ bereits im November vorgelegt. Der Vorschlag sieht vor, Migranten ohne Aussicht auf Asyl direkt an der Grenze abzuschieben. Umsetzbar ist so eine Richtlinie freilich nicht, sie widerspricht geltendem Recht, allen voran der Genfer Flüchtlingskonvention. Dem Jurist Schallenberg dürfte das klar sein, der Politiker Schallenberg aber bleibt dem harten Migrationskurs seiner Partei treu. Er spricht von einer Belastung für das System durch chancenlose Migranten, sodass jenen, die wirklich Schutz bräuchten, nicht rasch genug geholfen werden könnte. Er moniert, dass Österreich als erstes Land auf dem Weg der Menschen Richtung Westen das Dublin-Abkommen einhält, wonach jener Staat für das Asylverfahren zuständig ist, in dem der Flüchtling zuerst ankommt.
Das ist alles faktisch richtig, nur lässt sich die Asyl-Problematik nicht durch einen Bruch mit internationalem Recht lösen. Zwar hat Schallenberg den scharfen Kurs in der Migrationspolitik unter Kurz wesentlich mitbestimmt. Unausgegorene Schnellschüsse wie die Zurückweisungsrichtlinie von Innenminister Gerald Karner entsprechen aber nicht dem Stil des Juristen und Karrierediplomaten. „Es wäre besser, ihn manchmal früher einzubinden“, formuliert es ein Mitarbeiter des Außenministeriums diplomatisch. „Schallenberg hat sich der Message Control gefügt“, sagt ein anderer österreichischer Diplomat.
Frühere Außenminister hätten mehr eigene, vom Bundeskanzler losgelöste Politik betrieben – wobei Plassnik und Spindelegger die Abgrenzung zum SPÖ-geführten Kanzleramt leichter gefallen sein dürfte. Seit dem Einzug der Türkisen gebe der Kanzler den Ton an, auch im Außenministerium. Zu hören seien „die immer gleichen Sprechblasen“ aus dem Kontrollzentrum der Regierung.
Ein anderer Mitarbeiter des Außenministeriums sieht das anders. Er schätze die klare Linie Schallenbergs, das sei in den vergangenen Jahrzehnten, als es vorrangig darum ging, gute Geschäfte zu machen, alles andere als selbstverständlich gewesen.
Auch im Ausland genießt Schallenberg weitgehend hohes Ansehen. Einen Vieraugentermin mit dem Außenminister der USA zu bekommen, ist nicht einfach – und Schallenbergs Gespräch mit Antony Blinken war mit mehr als einer Stunde vergleichsweise lang. Auch seine Treffen mit der Geheimdienst-Chefin und dem CIA-Boss sprechen für sich.
Schallenberg sei der perfekte Diplomat, sagen die einen. Andere weisen darauf hin, dass viele ältere Beamte unzufrieden seien mit der Besetzung hochrangiger Positionen, weil jüngere, ÖVP-nahe Leute vorgezogen würden. Zuletzt gab es eine Beschwerde wegen der Bestellung Etienne Berchtolds, ehemals Pressesprecher von Sebastian Kurz, zum Botschafter in Abu Dhabi. Für Schallenberg ist das „eine absurde Diskussion“. Kritik, sagt ein Mitarbeiter des Außenministeriums, halte der Chefdiplomat schlecht aus.
So mancher Journalist kann das bestätigen. Als Pressesprecher war „Schalli“ bekannt dafür, sich die Nächte mit Redakteuren um die Ohren zu schlagen. „Er hat Journalisten nicht belogen, das haben sie geschätzt“, sagt ein langjähriger Medienschaffender. Als Politiker hat Schallenberg zu einigen nach wie vor enge, teils freundschaftliche Kontakte, insgesamt ist es aber schwerer geworden. Der joviale Umgangston weicht immer häufiger Maßregelungen. Schallenberg ist gut darin, Menschen wissen zu lassen, wenn er denkt, dass sie keine Ahnung von der Materie haben.
Er ist sehr ideologisch geworden. So war er früher nicht.
„Er hat sich geändert, als er Minister wurde“, sagt ein hochrangiger österreichischer Diplomat, der Schallenberg seit vielen Jahren kennt. Sebastian Kurz habe ihn sozusagen politisiert. Ein lustiger Kerl sei der Außenminister nach wie vor, „wahnsinnig gescheit“, eine „Gaudi“ sei es mit ihm. Er sei beeindruckt gewesen, wie genau Schallenberg arbeite, „auch bei Dingen, die auf politischer Ebene kein Lob bringen“.
Schon als junger Diplomat habe Schallenberg stets die „Nähe der Schönen und Mächtigen“ gesucht, mittlerweile wirke er mitunter arrogant und abgehoben, auch inhaltlich: „Er ist sehr ideologisch geworden. So war er früher nicht.“
Schallenberg, das sagen viele aus seinem Umfeld, kann mit Menschen umgehen. Seine engsten Mitarbeiter zeichnen das Bild eines äußerst professionellen Mannes, der stets Respekt vor anderen hat und auf den Rat seiner Leute hört.
Auch vom Koalitionspartner heißt es, dass die Gesprächsbasis mit ihm gut sei. „Wir schätzen uns gegenseitig“, sagt Ewa Ernst-Dziedzic. Doch die außenpolitische Sprecherin der Grünen übt auch leise Kritik am Außenminister. Sie erinnert an einen „ZIB 2“-Auftritt Schallenbergs im September 2020 kurz nach dem Brand im Flüchtlingslager Moria auf der griechischen Insel Lesbos. In der Debatte über die Verteilung von Schutzsuchenden in der EU meinte Schallenberg damals, das „Geschrei nach Umverteilung“ sei „nicht die Lösung“. Die Aussage sorgte für Empörung. „Er hat selbst gespürt, dass der Bogen überspannt wurde“, sagt Ernst-Dziedzic. Schallenberg habe sie nach dem „ZIB 2“-Auftritt angerufen, „hörbar abwägend, er hat womöglich Rückendeckung gesucht.“ Laut Ernst-Dziedzic stammt das Wording von Kanzler Kurz, Schallenberg habe sich der „Law-and-Order-Doktrin“ der ÖVP aber schließlich gefügt.
Mission erfüllt
Alexander Schallenberg mit profil-Redakteurin Siobhán Geets nach seinem Gespräch mit Blinken
Die längste Zeit war Schallenberg offiziell ohne Parteizugehörigkeit, ÖVP-Mitglied wurde er erst 2020, doch das muss nichts heißen. Bei den Koalitionsverhandlungen nach den Wahlen von 2019 sei er nicht spürbar gewesen, sagt der Grünen-Nationalratsabgeordnete Michel Reimon, der damals für seine Partei bei den Gesprächen dabei war. Als Diplomat sei Schallenberg top geeignet, als Politiker fehle ihm nach wie vor die Eigenständigkeit.
Die Grünen hätten massiv auf eine Aufstockung der Gelder für Entwicklungszusammenarbeit (EZA) und humanitäre Hilfe gedrängt, so Reimon. Der Fördertopf für die humanitäre Hilfe sei von 15 auf 60 Millionen Euro vervierfacht worden. Doch die Aufstockung der Auslandskatastrophenhilfe, die in Schallenbergs Ressort fällt, musste ihm „fast aufgedrängt werden“. Schallenberg sei dagegen gewesen, weil er das Geld lieber für die Ausstattung der österreichischen Botschaften genutzt hätte.
Schallenbergs Pressesprecherin Claudia Türtscher weist diese Darstellung entschieden zurück. Budgetverhandlungen würden „stets mit dem Finanzministerium geführt und nicht mit dem EZA-Sprecher einer Partei, der die korrekten Beträge nicht kennt“. Richtig sei: „Im Jahr 2023 sind für den Auslandskatastrophenfonds 77,5 Millionen Euro budgetiert, die Mittel für die bilaterale EZA werden erneut erhöht und betragen heuer 137 Millionen Euro.“ Zusätzlich investiere das Außenministerium in die Sicherheit der Mitarbeiter:innen im Ausland, so werde etwa für die Botschaft in Kyiv ein gepanzertes Auto angeschafft: „Dass dem Abgeordneten die Sicherheit unserer Leute im Ausland offenbar kein Anliegen ist, ist bedauerlich“, sagt Türtscher.
Glaubt man den Gerüchten, die in konservativen Kreisen die Runde machen, will Schallenberg als Nächstes EU-Kommissar Johannes Hahn in Brüssel nachfolgen. Ausgehen würde es sich wohl, die EU-Wahlen finden noch vor den planmäßigen österreichischen Wahlen zum Parlament statt. „Ich hege diesbezüglich keine Absichten“, sagt Schallenberg. „Wien ist und bleibt mein Hauptquartier.“
Vor dem Lokal in Washington bricht Hektik aus, alle drängen in die Autos, niemand will riskieren, das Flugzeug zu verpassen. Schallenberg findet sich damit ab, dass er diese Zigarette nicht zu Ende rauchen kann, aber was soll’s. Es wird eine nächste geben. Und, wenn alles gut geht, auch wieder ein bilaterales Gespräch mit Antony Blinken.