In heikler Mission

Schottland-Referendum: Cameron kämpft um "Familie der Nationen"

Referendum. Cameron kämpft in Schottland um EInheit des Königreiches

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Entsprechend misstrauisch betrachten viele den überstürzten Versuch von Premierminister und Tory-Chef David Cameron, rund eine Woche vor der Volksabstimmung über Schottlands Unabhängigkeit noch die Werbetrommel für die Union zu rühren. Es gehe am 18. September nicht darum, den Konservativen einen Denkzettel zu verpassen, betont der Premier vorsichtshalber. Sondern um die "Familie von Nationen", die Großbritannien sei. Würde die zerrissen, bräche ihm das Herz. Während Schottlands Regierungschef Alex Salmond auf Fernsehbildern in der Menge badet, spricht Cameron vor einer Jalousie im Büro eines Versicherers in Edinburgh.

Auch Camerons Zukunft steht auf dem Spiel
Für den 47-Jährigen steht mehr auf dem Spiel als ein gebrochenes Herz. Zwar besteht er darauf, dass er nicht zurücktreten werde. Doch kann sich kaum jemand vorstellen, wie acht Monate später ein Premier wiedergewählt werden soll, der ein Drittel der Landesfläche verliert.

Es wäre wohl auch nicht allein seine Entscheidung: "Ich wäre außerordentlich überrascht, wenn die Konservativen dann noch Cameron für die Unterhauswahl im Mai 2015 als ihren Parteiführer wollen", sagt Politikwissenschaftler John Curtice der Nachrichtenagentur dpa. Der Professor beobachtet und kommentiert die Debatte seit Monaten.

Abspaltung als "Demütigung katastrophalen Ausmaßes"
Die Partei hält sich mit öffentlicher Kritik zurück, aber als der Tory-Abgeordnete Sir Edward Leigh die mögliche Abspaltung eine "nationale Demütigung von katastrophalem Ausmaß" nannte, sprach er sicherlich für viele. Die Parteiführer Cameron, Ed Miliband von Labour und Nick Clegg von den Liberaldemokraten nannte er vor einer Woche im Parlament "selbstgefällig". Am Mittwoch nun waren sie alle drei in Schottland unterwegs - der Vorwurf saß wohl.

Natürlich trägt der Premierminister nicht allein die Schuld an dem drohenden Desaster für Großbritannien. Das unmittelbare Management der "Better together"-Kampagne für die Union überließ er vorsichtshalber Labour-Leuten. Das desolate Image seiner Partei in Schottland hat vor allem Margaret Thatcher zu verantworten. Doch er hat reihenweise Fehler begangen, die sich nun rächen könnten.

TV-Debatte verweigert
Cameron erlaubte für das Referendum das Stimmrecht ab 16. Er strich außerdem den Mittelweg vom Abstimmungszettel, mit dem er die Schotten jetzt doch zu überreden versucht: Sagt nein, dann bekommt ihr mehr Selbstständigkeit. Dass er Alex Salmond eine TV-Debatte verweigerte, schlachtete dieser genüsslich aus - Cameron habe eben keine guten Argumente. Jetzt kommt dem Chef der Schottischen Nationalpartei der Last-Minute-Besuch aus London gerade recht: Das "Team Westminster" gebe der Unabhängigkeitsbewegung damit noch mal so richtig Schwung.

Noch ist das Referendum nicht entschieden. Umfragen sagen ein Kopf-an-Kopf-Rennen voraus. Nur weil das "Yes"-Lager lauter schreit, muss es kommende Woche nicht siegen. Aber es kann passieren. Dass der Premier dann gleich am 19. September aus der Downing Street ausziehen würde, über der er inzwischen eine blau-weiße Schottland-Fahne hissen ließ, ist unwahrscheinlich. Bricht Schottland weg, müsste Rest-Britannien Märkte und Investoren beruhigen, da wäre eine Führungskrise wenig hilfreich.

Cameron als Lord North des 21. Jahrhunderts?
Aber noch vor Weihnachten könnte es so weit sein, mutmaßt unter anderem Politik-Redakteur Adam Boulton in der "Times". Die britischen Medien nennen Cameron schon den Lord North des 21. Jahrhunderts. Lord Frederick North war es, der als glückloser Premierminister unter Könige George III. die amerikanischen Kolonien verlor, weil er sich hartnäckig weigerte, ihnen Mitbestimmungsrechte in London einzuräumen. Die Kolonien erklärten sich nach gewonnenem Krieg unabhängig. Und Lord North 1782 war der erste Premierminister Großbritanniens, der nach einem Misstrauensvotum zurücktreten musste.

(APA/dpa/Red.)