Schutzlos: Corona-Gefahr in Flüchtlingslagern
Ein Unglück kündigt sich an. Auf der griechischen Ägäis-Insel Lesbos wurde vergangene Woche der vierte Fall einer Covid-19-Infektion registriert. Bis Redaktionsschluss am Freitagabend wurde im Flüchtlingslager von Moria selbst noch kein Corona-Fall bestätigt. Trotzdem bereiten sich die verbliebenen Helfer auf der Insel auf den Katastrophenfall vor. Für die Camp-Bewohner würde ein Ausbruch der Pandemie eine Katastrophe bedeuten.
Vergangene Woche waren die Bewohner des Lagers noch von einem Brand im Camp erschüttert, der das Leben eines Mädchens gefordert hatte. Zur Beerdigung konnte die Afghanische Gemeinde noch gehen. Danach wurden die Straßen rund um das Camp weitgehend abgesperrt. „Wir sind komplett alleine“, schreibt Mohammad Akasis (Name geändert, Anm.). Der 38-jährige lebt schon seit über einem Jahr in einer selbstgebauten Holzbaracke im oberen Teil der Olivenhaine. „Wir haben nicht einmal die Möglichkeit, Seife und Desinfektionsmittel zu kaufen,“ sagt er, „und aus den Leitungen kommt nur alle paar Stunden Wasser.“
Während überall auf der Welt das oftmalige Händewaschen mit Seife zum lebensnotwendigen Trend wird, ist dies für die 20.000 Geflüchteten im Lager ein unerreichbarer Luxus. Einige der Leute, deren Container im Camp-Inneren vor einer Woche verbrannt seien, hätten immer noch kein neues Zelt, sagt Akasis.
Er wundert sich, wo all die humanitären Helfer geblieben sind. Die Asylbehörde ist schon seit zwei Wochen geschlossen. Interviews und Asylentscheide, die für Tausende einen Ausweg aus Moria bedeuten, sind bis Mitte April erst einmal ausgesetzt. Einen Notfallplan oder eine anstehende Evakuierung im Zuge von Covid gibt es nicht. Das bringt nicht nur die schutzbedürftigen Menschen in Moria in Gefahr, sondern auch das verbliebene humanitäre Personal. „Bislang haben wir noch keinen glaubwürdigen Notfallplan zu Gesicht bekommen, mit dem sich die Menschen, die dort leben müssen, schützen und behandeln ließen,“ sagt Hilde Vochten, medizinische Koordinatorin der Projekte von „Ärzte ohne Grenzen“ in Griechenland.
Die medizinischen Organisationen bereiten sich auf den Notstand vor. Und auch die verbliebenen Anwälte und Sozialarbeiter versuchen sich recht und schlecht für den Ernstfall zu wappnen. Andrew Foley von der Organisation „Better Days“, die sich seit fünf Jahren um die Bildung und die rechtliche Erfassung von unbegleiteten Minderjährigen kümmert, sagt: „Es ist sehr schwierig sich auf eine Notfallsituation vorzubereiten, wenn man nicht weiß, wie die Regierung darauf reagieren wird. Natürlich sind wir keine Ärzte, aber wir können für medizinisches Personal einkaufen gehen, einen Notfallplan aufstellen, Wasserunterstützung koordinieren.“
In der vergangenen Woche schlossen immer mehr EU-Staaten die eigenen Grenzen. Deutschland setzt bis auf Weiteres die humanitäre Aufnahme für Schutzbedürftige aus. Dies bedeutet jedoch nicht, dass humanitäre Korridore nicht mehr möglich sind. „Wir brauchen dringend offene Wege zu den Inseln um bei einem Pandemieausbruch, Ärzte und Krankenschwestern nachholen zu können,“ fordert Liza Papadimitriou, Advocacy Managerin der Feldklinik von «Ärzte ohne Grenzen» auf Lesbos.
Seit Montag dürfen Inselbewohner nur noch mit Passierschein ihre Häuser verlassen. Auch die humanitären Helfer können nur mehr mit Genehmigung das Haus verlassen. Moria bleibt weiterhin isoliert – nur mehr ein paar Einzelne dürfen für lebensnotwendige Besorgungen das Gelände verlassen.
Am Montag vergangener Woche forderte der EU-Parlamentsabgeordnete Juan Fernando López Aguilar in einem Brief an Janez Lenarcic, den EU-Kommissar für Krisenmanagement, die rasche Räumung der Flüchtlingslager auf den griechischen Inseln, um eine Ausbreitung des Coronavirus zu verhindern. Eine Antwort ist noch ausständig.