Massenproteste in Serbien

„Das Etwas aus dem unbekannten Gerät drang direkt in meinen Kopf ein“

Hat die Belgrader Regierung eine Psycho-Waffe gegen friedliche Demonstranten eingesetzt? profil sprach mit einem Betroffenen.

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Um 19.11 Uhr, mitten in die Stille des Schweigens hinein, geschieht etwas Dramatisches. Es ist der 15. März, und im Zentrum von Belgrad haben sich rund 300.000 Menschen versammelt, um der Opfer des Bahnhofsdacheinsturzes im vergangenen November in Novi Sad zu gedenken. Die Schweigeminuten sind noch nicht zu Ende, da passiert es. Plötzlich stoben die Menschen in wilder Panik auseinander, laufen davon, viele fallen zu Boden.

Was ist geschehen?

An jenem Samstag vor zwei Wochen fand in Belgrad die wahrscheinlich größte Demonstration in der Geschichte Serbiens statt. Seit dem Einsturz des Bahnhofsdaches von Novi Sad, bei dem 16 Menschen starben, reißen die Proteste gegen das Regime des autokratischen Präsidenten Aleksandar Vučić nicht ab. Getragen werden sie von Studenten, die fast alle Universitäten im Land besetzen.

Auch an diesem Samstagabend sind viele junge Leute dabei. Sie zeichnen mit ihren Handys auf, wie die Menschen von einer Sekunde auf die andere in Panik ausbrechen. Aufgrund der Laufrichtungen muss sich die Quelle in der Nähe des Präsidentenpalais an der Nahtstelle zwischen König-Milan-Straße und Terazije befunden haben. Auf vielen Videos sind Schreie zu hören. Die Menschen hatten offenbar große Angst.

Aber wovor? Viele Betroffene gaben an, ein Röhren wie von einem Kampfjet gehört zu haben. Oder ein gewaltiges Rauschen. Erste Vermutungen gingen vom Einsatz einer Schallkanone aus, eines Geräts, das unerträglichen Lärm erzeugt und zur Auflösung von Massenkundgebungen eingesetzt werden kann. Innenminister Ivica Dačić dementierte umgehend, die serbische Polizei habe solche Geräte gar nicht. Und dann, nachdem Bilder von Übungen mit einer Schallkanone (Long-Range Acoustic Device, LRAD) auftauchten: Man habe sie doch, aber sie lägen eingepackt im Lager. Als schließlich Fotos vom Demonstrationstag auf Polizeijeeps montierte LRADs zeigten, beteuerte das Innenministerium, diese seien nicht eingesetzt worden.