Italien

Silvio Berlusconi, der Erfolgreiche und der Skandalöse – ein Nachruf

Der Unternehmer, Milliardär und Macho schuf vor 30 Jahren einen neuen Politiker-Typus. Die Parallelen zur späteren Karriere von Ex-US-Präsident Donald Trump sind verblüffend.

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Vor nicht ganz 30 Jahren, im Winter 1993, gründete Silvio Berlusconi die Bewegung „Forza Italia“, aus der bald darauf die gleichnamige Partei hervorging. Damit hatte der damals bereits 57-jährige Unternehmer den Grundstein für seine Karriere als Politiker gelegt, die ihn zum längst dienenden Ministerpräsidenten Italiens seit dem Ende des Zweitens Weltkriegs werden ließ – und zum wohl meist verehrten und meist gehassten.

Berlusconi wurde zum Modell eines Politiker-Typs, den es davor in dieser Form nicht gab. Der reichste Mann Italiens, Medien-Mogul, Entertainer und glänzende Redner beteuerte, sich selbstlos in den Dienst für das Volk zu stellen und entwickelte dabei einen Populismus, der viele Nachahmer finden sollte: Er nutzte seine Vormachtstellung im TV-Business für unschlagbare Eigen-PR, seine politischen Ämter, um seine finanziellen Interessen voranzutreiben, und seine Macht, um die Justiz zu desavouieren. Berlusconi nahm vieles vorweg, was ein gewisser Donald Trump später zu seinen Markenzeichen machen sollte. Berlusconi schaffte es trotz aller Skandale, Verurteilungen, Verjährungen und selbst eingefädelter Amnestiegesetze, nicht weniger als vier Regierungen anzuführen. Seinen Anhängern galt er als Freund der Wirtschaft, der Italien in Europa Geltung verschaffte, eine Art „Make Italy Great Again“. Sein Frauenbild war das eines Machos der derben Sorte, auch das eine Parallele zu Trump.

Heute gehört seine Partei Forza Italia der Regierung an, allerdings nur noch als kleinerer Partner von Giorgia Melonis „Fratelli d’Italia“. Berlusconi starb am Montag im Mailänder Spital San Raffaele an Leukämie.

Fünf Aspekte einer nicht zu Unrecht umstrittenen Persönlichkeit.

1. Vom Staubsaugervertreter zum Milliardär

Seine Karriere als Unternehmer begann Silvio Berlusconi im Bauwesen. Der Sohn eines Angestellten der Mailänder Banca Rasini wollte schon als junger Mann ganz hoch hinaus. Der Salesianerschüler studierte Jura und diplomierte über Werbeverträge. Um sich sein Studium zu finanzieren, sang und witzelte er als Entertainer auf Kreuzfahrtschiffen und in Mailänder Nachtclubs. Als Vertreter für Staubsauer machte sich der talentierte Redner ganz ausgezeichnet. Auf Leute zugehen konnte er immer schon und Vertrauen wecken sowieso. Das zahlte sich auch bei seinem Job als Immobilienmakler aus. Mit 31 Jahren gründete er Cantieri Riuniti Milanesi Srl, sein erstes Bauunternehmen. Schon in jenen Jahren konnte er auf immense Finanzmittel zur Realisierung seiner Projekte zurückgreifen, die aus anonymen Quellen kamen. Immer neue Unternehmen entstanden, und die alten wurden aufgelöst. Ein verdächtiges System von russischen Puppen, das selbst Staatsanwälte nur schwer entschlüsseln konnten.

Um die Bewohner der von ihm errichteten Trabantenstadt “Milano 2” mit einem lokalen Fernsehprogramm zu versorgen, gründete Berlusconi kurzerhand einen eigenen TV-Sender. Er hatte begriffen, dass man mit neuen Shows, wie sie bereits in den USA existierten, dem hausbackenen nationalen Fernsehsender RAI Konkurrenz machen konnte. Mit Canale 5, Italia 1 und Rete 4 sendete er ab 1982 landesweit. Vor allem Shows, Sport, Filme und viel Werbung. Und immer gespickt mit wenig bekleideten, jungen Frauen. Rasch wurde sein Fernseh-Imperium Mediaset neben der RAI zum größten TV-Player Italiens. In den 1980er Jahren stieg er auch in Frankreich, Spanien und Deutschland ins Fernsehgeschäft ein. Um die Werbung kümmert sich das Berluscioni-eigene Werbeunternehmen Publitalia 80.

Berlusconis Familien-Holding versammte unter ihrem Schirm, Printmedien, Buchverlage, eine Kinokette, Versicherungen und den Fussballklub AC Milano. Fininvest mit seinen rund 17.400 Mitarbeitern setzt rund sechs Mrd. Euro im Jahr um, mit einem Nettogewinn von zirka 360 Millionen Euro. “Ich bin der wichtigste Steuerzahler Italiens!”, protzte Berlusconi immer wieder.

2. Silvio und die Mafia

Berlusconi war wohl der einzige Italiener, der einen Mafiaboss bei sich daheim beschäftigte. Bis zum Jahr 1975 arbeitete der polizeilich gesuchte Vittorio Mangano als Stallknecht in Berlusconis Privatschloss Villa San Martino in Arcore bei Mailand. Mangano (1940-2000), war Mafiaboss der sizilianischen Cosa Nostra, mehrfacher Mörder und ein guter Freund von Marcello Dell’Urtri. Dieser wiederum war ein Busenfreund von Berlusconi. Dell’Utri, der sich auch einen Namen als Sammler kostbarer antiquarischer Bücher machte, die er nachweislich zum Teil aus öffentlichen Bibliotheken stehlen ließ, hatte in Berlusconis Unternehmen Publitalia und Fininvest Karriere gemacht. Er soll den Mafiaboss bei Berlusconi untergebracht haben, um ihn vor polizeilicher Verfolgung zu schützen. Klar, dass Silvio von Manganos düsterer Vergangenheit nicht gewusst haben will.

Berlusconi stand von Beginn seiner fulminanten Karriere an im Dunstkreis der organisierten Kriminalität. Seit den 1970er Jahren soll Geld der Cosa Nostra in seinen Unternehmen gewaschen worden sein. Jahrelang ermittelten Staatsanwälte in zahlreichen Fällen gegen Berlusconi wegen dessen vermuteter Verstrickungen mit sizilianischen Bossen. Die mutmaßlich guten Beziehungen Berlusconis zur Mafia waren auch Gegenstand der als „Mani pulite“ (saubere Hände) bekannten Korruptionsermittlungen Mailänder Staatsanwälte Anfang der 1990-er Jahre. Dabei kamen auch Indizien zutage, wonach Mafiabosse bei der Gründung von Berlusconis Partei Forza Italia Pate gestanden hätten, doch konkret konnte dem Unternehmer nichts nachgewiesen werden.

3. „Il Cavaliere“ und die Politik

Die politische Karriere begann in einem Vakuum. Italiens Parteienlandschaft war 1993 in Folge der Korruptions-Ermittlungen mutiger Staatsanwälte aus Mailand zusammengebrochen, führende Sozialisten und Christdemokraten waren systematischer Korruption überführt worden, ihre Parteien hatten sich aufgelöst. Der Sozialist Bettino Craxi, bis dahin Berlusconis wichtigster Bezugspunkt innerhalb der italienischen Politik, floh ins tunesische Exil. Und so betrat der Unternehmer und Milliardär Ende 1993 selbst die politische Bühne. Seine Mitte-rechts-Partei Forza Italia gewann bei den Parlamentswahlen im Frühjahr 1994 auf Anhieb 21 Prozent. Zwischen 1994 und 2011 war Berlusconi viermal Italiens Regierungschef. Gleichzeitig war er auch Abgeordneter und Senator seiner Partei und träumte – vergeblich – davon, Italiens Staatspräsident zu werden. Seine politisch Verbündeten waren stets die Rechts-Partei Lega Nord (später: Lega), und die ehemaligen Neofaschisten der Alleanza Nazionale, aus der die aktuelle Regierungspartei Fratelli d’Italia von Giorgia Meloni hervorging.

Berlusconi sah sich als Kreuzritter – „Il Cavaliere“ - des Liberalismus und als Verteidiger des christlichen Glaubens. Stolz war er auf seine Duz-Freundschaften mit Vladimir Putin und Donald Trump. Mit 8,1 Prozent bei den vergangenen Parlamentswahlen 2022 ist Berlusconis Partei heute nur noch Juniorpartner der Regierungskoalition. Dennoch gebärdete sich der 86-Jährige wie der starke Mann in der Regierung, was Regierungschef Meloni immer wieder Probleme bereitete. Forza Italia ohne Berlusconi ist schwer denkbar. Ohne sein Charisma, über das er auch als alter Mann verfügte, könnten nicht wenige seiner Wähler zu Giorgia Meloni oder Matteo Salvini abwandern.

4. Der Körperbewusste

Silvio Berlusconi war in besonderer Weise auf sein Äußeres bedacht. Schminke, Lifting, eingepflanztes Haar, Frischzellentherapien – er tat alles, um seinen Körper möglichst jugendlich aussehen zu lassen. Seine Haarfarbe war immer gleich dunkelbraun, und die schnurgerade Linie, die seine Stirn vom Kopfhaar trennte, wirkte wie mit einem Lineal gezeichnet. Dazu der immer gleiche Zweireiher und ein betont dynamischer Gang, der längst nicht mehr zu seinem Alter passte. Für Berlusconi war das körperliche Image existentiell, auch für seinen politischen Erfolg. Er wähnte sich als viriles Sexsymbol in der politischen Arena.

5. Berlusconi vs. das Gesetz

Berlusconi und das Recht waren keine Freunde. Wobei er selbst nicht das Recht, sondern vielmehr die Justiz als sein Problem betrachtete und sich als „der am meisten von der Justiz verfolgte Unternehmer weltweit“ bezeichnete – ein Titel, den ihm Donald Trump zweifellos streitig machen würde. Richter und Staatsanwälte, die gegen Berlusconi ermittelten, desavouierte er allesamt als „rote Roben“. Verurteilt wurde er nur in einem Bruchteil der Verfahren, etwa wegen unlauteren Wettbewerbs, Steuerbetrugs und rechtswidriger Beihilfen in seinem Medienimperium Mediaset sowie im Fall eines Versicherungsskandals. Mehrmals kam es zu Freisprüchen wegen Verjährung, etwa im Fall von Richterbestechung, Schmiergeldzahlungen und Bilanzfälschungen. Freigesprochen wurde er aus Mangel an Beweisen im Fall von Bilanzfälschungen, Schmiergeldzahlungen an Finanzpolizisten und letztlich auch im Verfahren wegen des Verdachts der Anbahnung der Prostitution mit Minderjährigen. Die so genannten „Bunga-Bunga-Partys“ und Berlusconis Verhältnis zu der 17 Jahre alten Marokkanerin Karina el-Mahroug, genannt „Ruby“, beherrschten monatelang die Schlagzeilen.

In Sachen Ermittlungen, Prozessen und Verurteilungen war Silvio Berlusconi unter Italiens Politikern unbestritten Rekordhalter. 2003 formulierte er sein Verständnis von Justiz so: “Es ist richtig, dass alle vor dem Gesetz gleich sind, aber ich bin gleicher, weil mich die Mehrheit des Volkes gewählt hat”.