Starphilosoph Slavoj Žižek über Trump
Wer eine Perücke trägt, versucht normalerweise, sie aussehen zu lassen als wäre sie sein echtes Haar. Donald Trump hat das Gegenteil zustande gebracht: Er lässt sein echtes Haar aussehen wie eine Perücke, und möglicherweise liefert diese Umkehrung eine Formel, welche die Widersprüchlichkeit des Phänomens Trump auf den Punkt bringt. Auf einer ganz elementaren Ebene versucht er nicht, uns seine verrückten ideologischen Fiktionen als Realität zu verkaufen - sondern in Wirklichkeit seine eigene vulgäre Realität als schönen Traum.
Aber das Gleiche galt im Wahlkampf für beide Kandidaten: Sowohl Hillary Clinton als auch Donald Trump sagten (fast) alles für alle Seiten, und das voraussehbare Ergebnis war, dass das zentrale Wahlmotiv in beiden Fällen ein verzweifelt negatives war - man entschied sich für das geringere Übel.
In beiden Fällen, aber besonders bei Trump, wäre es falsch, darüber zu spekulieren, "wofür er wirklich steht“. Nicht nur, dass wir - die Beobachter - es nicht wissen, sondern möglicherweise auch Trump, der ultimative Opportunist, selbst.
Gleichzeitig erinnert Trump an die halbvergessene Wirklichkeit des Klassenkampfs, allerdings in einer verzerrten, populistischen Art und Weise. Seine Raserei gegen das Establishment war so etwas wie die Wiederkehr dessen, was die linksliberale Politik in ihrer Fokussierung auf kulturelle und politische Korrektheit unterdrückt hat. Diese Linke bekam von Trump ihre eigene Botschaft in verkehrter, aber wahrhaftiger Form zurück. Deshalb wäre es die einzige angemessene Reaktion auf Trump gewesen, sich den Zorn gegen das System vollständig zu eigen zu machen, statt ihn als Primitivität der weißen Unterklasse abzutun. Und deshalb war es dumm, ausgerechnet Clinton - die alles verkörpert, worauf Trump reagiert hat - gegen ihn antreten zu lassen.
Wenn man - wie ich - Amerika liebt, ist jetzt die Zeit für die harte Arbeit der Liebe, das Engagement für den langwierigen Prozess der Formierung einer radikalen politischen Linken in Amerika.
Arrogante liberale Kommentatoren sind schockiert, wie wenig ihre permanenten bissigen Angriffe auf die vulgären rassistischen und sexistischen Ausbrüche, die faktischen Ungenauigkeiten und die wirtschaftspolitischen Dummheiten Trumps dem Kandidaten schadeten. Im Gegenteil: ihre Attacken steigerten seine Anziehungskraft sogar noch. Denn Identifikation funktioniert nämlich, indem wir uns mit den Schwächen der anderen identifizieren, nicht nur oder nicht prinzipiell mit den Stärken. Je mehr Trumps Handicaps verspottet wurden, umso mehr identifizierten sich ganz normale Menschen mit ihm und nahmen Angriffe auf ihn als Angriffe auf sich selbst wahr. Die unterschwellige Botschaft von Trumps Obszönitäten an die Durchschnittsbevölkerung war: "Ich bin einer von euch.“ Im Gegensatz dazu fühlten sich die durchschnittlichen Trump-Anhänger von der herablassenden Haltung der liberalen Eliten ihnen gegenüber erniedrigt.
Aber spielen wir hier nicht mit dem Feuer? Sollten wir einer nihilistisch-manipulativen Grundhaltung wie seiner nicht entgegentreten? Kann das Böse je das Gute hervorbringen, wie ich impliziere, wenn ich behaupte, dass der Sieg von Trump einer authentischeren Linken zum Durchbruch verhelfen kann? Die jüngere Vergangenheit ist voll von derartigen dialektischen Umkehrungen. Man könnte allerdings einwenden, dass Trump als Preis für eine neu erwachte Linke schlicht und einfach zu hoch wäre. Für die vage Chance werden wir gigantische Rückschläge im ökonomischen Bemühen, weitere Einschnitte im Wohlfahrtsstaat, ein brutales Wiederaufleben des Rassismus, die Reduzierung von Muslimen zu Menschen zweiter Klasse und vieles andere hinnehmen müssen.
Meine Antwort ist dennoch, dass es das Risiko wert ist. Erstens sollte man nicht zu schnell die Nerven verlieren - Trump wird es nämlich definitiv nicht schaffen, das finstere Szenario, das panische Liberale an die Wand malen, zu verwirklichen. Und zweitens sollte man die Gefahr dessen, wohin die Beibehaltung des Status quo führen kann - einen möglichen neuen Weltkrieg, wirtschaftliche Katastrophen etc. - nicht unterschätzen.
Wenn man - wie ich - Amerika liebt, ist jetzt die Zeit für die harte Arbeit der Liebe, das Engagement für den langwierigen Prozess der Formierung einer radikalen politischen Linken in Amerika. Oder, um Mao Tse-Tung zu zitieren: "Unter dem Himmel herrscht Chaos. Die Situation ist also exzellent.“
Slavoj Žižek, 67, sorgte gegen Ende des Wahlkampfs für Aufsehen, als er in einem Interview mit dem britischen Sender Channel 4 eine Wahlempfehlung für Donald Trump abgab. Der marxistische Starphilosoph fügte freilich hinzu, er sei "entsetzt“ von der Person Trump, doch würde ein Wahlsieg Trumps die Chance auf "ein Erwachen“ der Demokratischen Partei und des gesamten politischen Systems mit sich bringen.