Interview

T. C. Boyle: "Trump ist das Gift. Und seine Beseitigung ist das Gegengift."

Der amerikanische Bestsellerautor T. C. Boyle über vier düstere Jahre, seine Hoffnungen in Joe Biden, seine persönliche Überlebensstrategie für das Krisenjahr 2020 - und warum ihn Trump literarisch nicht interessiert.

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profil: Mister Boyle, haben Sie in den letzten Jahren jemals mit dem Gedanken gespielt, Ihre Heimat zu verlassen?

Boyle: Ich bin Amerikaner und werde es immer sein. Das ist mein Land, und ich liebe es. Während ich dies schreibe, habe ich gerade die erlösende Nachricht erhalten, dass meine Landsleute für Demokratie statt für Autokratie, für Anstand statt für Hass gestimmt haben-und dass der lange Alptraum endlich vorbei ist.

profil: Ihre Heimat Kalifornien wurde in den letzten Wochen von Waldbränden heimgesucht, das Coronavirus hält das Land in Atem, während Noch-Präsident Donald Trump versucht, die Demokratie auszuhebeln. Wie geht es Ihnen in diesen Tagen?

Boyle: Es war in jeder Hinsicht eine düstere Zeit. Das größte Problem der Menschheit - das existenzielle Problem - ist die Bekämpfung des Klimawandels, ein Thema, über das ich seit "Ein Freund der Erde" im Jahr 2000 schreibe. Der gewählte Präsident Joe Biden und die Demokratische Partei sind entschlossen, ihn zu bekämpfen und den Übergang von einer erdölbasierten Wirtschaft zu einem wesentlich umweltfreundlicheren Ansatz zu vollziehen.

profil: Sie schreiben in einem aktuellen Essay, wie Sie die "mörderische, kriminelle Herrschaft" Richard Nixons erlebt und sich über seine Rücktrittsrede geärgert haben. Erinnert Sie die Wahlniederlage Trumps an diesen Moment?


Boyle: Das tut es. Und so gefährlich Nixon auch war, der versuchte, seine Macht zu nutzen, um das Zweiparteiensystem kriminell zu untergraben-Trump war noch viel schlimmer. Er stellte sich selbst über das Gesetz, regierte durch Angst, ignorierte die Vorladungen des Kongresses und rief aktiv zur Gewalt auf. Nixon, dessen Herrschaft als schlechtester Präsident der Geschichte von George W. Bush angefochten wurde, hat die Krone an Trump verloren. Ich kann das nicht deutlich genug sagen: Trump hat uns gezeigt, wie nahe selbst die stabilste Demokratie einer Verwandlung in eine rechte Diktatur kommen kann. Einer meiner engsten Freunde ist ein Flüchtling aus Chile, der geflohen ist, als Augusto Pinochet (Anm.: Chiles Diktator 1973-1990) an die Macht kam. Er hat gesehen, wie genau dasselbe hier in den USA passiert. Seine Ängste sind jetzt auch unsere.

profil: Haben Sie die Stunden und Tage nach der Wahl auch vor den Dauerschleife-Sendungen von CNN und Co. verbracht?

Boyle: Nein. Ich vermied die Nachrichten wegen des schrecklichen psychologischen Tributs, den die Unsicherheit von mir fordert. Lieber ging ich jeden Tag nach der Arbeit zum Ozean oder tief in die Santa Ynez Mountains, weg von den Menschen und den Nachrichtensendungen. Morgens las ich die Zeitung, um die Situation einzuschätzen, und tauchte dann in die Traumwelt ein, die meine Arbeit ist. Das war notwendig, um meine geistige Gesundheit zu bewahren.

profil: Trump wollte die Auszählung der Stimmen vorzeitig stoppen lassen, akzeptierte seine Niederlage nicht und mobilisierte seine Wähler, auf die Straße zu gehen. Wie gespalten sind die Vereinigten Staaten von Amerika?

Boyle: Ich glaube, dass wir dem Schlimmsten entkommen sind. Trump ist das Gift. Und seine Beseitigung ist das Gegengift.


profil: Kann ein Präsident Biden das reparieren, was Donald Trump in den vergangenen Jahren kaputtgemacht hat?

Boyle: Es wird ein Anfang sein. Biden sieht sich selbst als Platzhalter für 2024, wenn ein ganzes Team dynamischer junger Demokraten antritt, um die Zügel von ihm zu übernehmen. Wenn die Kontrolle über den Senat in republikanischen Händen bleibt, wird der Verräter der amerikanischen Demokratie, Mitch McConnell, der Trumps schlimmste Exzesse ermöglichte, jede Gesetzgebung blockieren, die die Regierung Biden vorlegt. Doch in einem ersten Schritt wird Biden dem Pariser Klimaabkommen wieder beitreten.

profil: In Ihren Büchern und Essays ist der Klimawandel ein wiederkehrendes Thema. Wird es unter einem Präsidenten Biden einen "Green New Deal" (Anm.: einen radikalen Klimaschutzplan) geben können, wie ihn der linke Parteiflügel der Demokraten fordert, Biden selbst jedoch nicht?

Boyle: Das hoffe ich sehr. Der möglichst baldige Wechsel zu einer grünen Wirtschaft ist die einzige Hoffnung für die Zukunft unserer Spezies. Aber es hängt alles von den Mehrheiten im Senat ab, die zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht geklärt sind.

profil: War die Trump-Präsidentschaft zumindest dafür gut, aktuelle gesellschaftspolitische Probleme aufzuzeigen?

Boyle: Es war gut, um Hass und Spaltung zu schüren. Wladimir Putins Lieblingskandidat hat Amerika auseinandergerissen.


profil: Kann die Abkehr von Trumps Politik den Zusammenhalt in der Gesellschaft stärken?

Boyle: Es ist noch zu früh, das zu sagen. Wir haben immer friedliche Machtübergänge gehabt, von denen eine Demokratie abhängt. Ich hoffe sehr, dass Bidens Botschaft der Heilung, des Anstands und des Mitgefühls ihre Wirkung zeigen wird, auch wenn die radikale Rechte natürlich nicht einfach verschwinden wird. Ich sehe Trump in Zukunft, wie er zusammen mit seinen Beratern im Hass-Radio und-Fernsehen Gift über den Äther spuckt.

profil: Stimmen Sie Bewegungen wie Black Lives Matter nicht positiv, dass sich ein Gutteil der Gesellschaft in die richtige Richtung bewegt?

Boyle: Ja. Und unter Biden und Vizepräsidentin Kamala Harris kann die Bewegung wachsen und blühen und das amerikanische Versprechen nach gleichen Rechten für alle unterstreichen.

profil: Muss die Geschichte der Vereinigten Staaten nach Trump neu geschrieben werden?

Boyle: Vielleicht. Aber auch er tritt schon heute aus dem Blickfeld und wird in Zukunft so gesehen werden, wie wir die Schurken unserer Geschichte, wie Joseph McCarthy (Anm.:republikanischer Senator und Namensgeber der McCarthy-Ära der 1950er-Jahre, in der Hatz auf echte und vermeintliche Kommunisten gemacht wurde) und George Wallace (Anm.: demokratischer Gouverneur in den 1960er-und 1970er-Jahren und Verfechter der Rassentrennung),denen er am ähnlichsten ist, sehen.


profil: Finden Sie die öffentliche Figur Donald Trump literarisch spannend?

Boyle: Überhaupt nicht. Ich habe mehrere Bücher über die Gefahren geschrieben, die entstehen, wenn man einem Führer blind folgt und sich ihm mit Leib und Seele hingibt. Diesmal lasse ich andere-insbesondere Historiker-sich mit dem Thema befassen. Zurzeit beginne ich mit einem Roman über die globale Erwärmung, der dort anknüpft, wo "Ein Freund der Erde" aufgehört hat, nämlich im Jahr 2026.

profil: Sie selbst kommen aus einer Arbeiterfamilie. Verstehen Sie die Menschen, die sich von der Politik im Stich gelassen fühlten und in Trump eine Hoffnung sahen?

Boyle: Ja. Immer wieder-von Nixon über Bush bis Trump-sind sie durch Propaganda und ihre eigenen Vorurteile manipuliert worden, gegen ihre eigenen Interessen zu stimmen. Bildung ist der Schlüssel, weshalb rechte Regierungen Schulen angreifen und Universitäten verteufeln, ganz zu schweigen von der Presse.

profil: Haben Sie eine Überlebensstrategie, um in diesem Jahr der großen Ungewissheiten nicht durchzudrehen?

Boyle: Die kurze Antwort ist ein guter kalifornischer Pinot Noir. Die längere Antwort ist, dass ich meine Arbeit, meine Familie, meine Fans und eine Hingabe an die Natur habe, die jetzt und immer meine Rettung ist und war. Wandern Sie die Pfade entlang, paddeln Sie mit dem Kajak, tauchen Sie in den kalten, wirbelnden Pazifik ein, und es wird Sie von allem heilen.

Hinter der Geschichte:

Während das Rennen um das Weiße Haus noch an einigen Tausend Stimmen in den Staaten Pennsylvania, Georgia, Nevada und Arizona hing, kontaktierte Philip Dulle den Schriftsteller per E-Mail. Boyle antwortete nur Stunden später und freute sich sichtlich über die Anfrage. Auf Twitter schrieb er nach dem Wahlsieg Bidens: "Danke, Philip. It's been a long hard road."


Thomas Coraghessan Boyle, 71,

zählt zu Amerikas bekanntesten und produktivsten Autoren. Der Schriftsteller galt lange als Enfant terrible der Literaturszene: Boyles Großeltern emigrierten aus Irland in den Großraum New York, sein Vater arbeitete als Schulbusfahrer, die Mutter als Sekretärin; beide Elternteile verstarben früh. In seiner Jugend trieb sich der Schriftsteller laut eigenen Angaben als Gelegenheitsfixer, Schulschwänzer und Punk herum. Seinen internationalen und kommerziellen Durchbruch erzielte Boyle mit seinem dritten Roman "World's End" (1987),der ein 300 Jahre umfassendes Panorama US-amerikanischer Historie entwarf. In seinem umfangreichen, inzwischen 17 Romane und etliche Kurzgeschichtenbände umfassenden Werk widmet sich Boyle, der seit Jahrzehnten als ordentlicher Professor an der University of Southern California in Los Angeles "Creative Writing" lehrt, mit Vorliebe gesellschaftspolitisch relevanten Themen. Zuletzt veröffentlichte Boyle die Kurzgeschichtensammlung "Sind wir nicht Menschen?".Er lebt in Santa Barbara, Kalifornien.

Philip Dulle

Philip Dulle

1983 in Kärnten geboren. Studium der Politikwissenschaft in Wien. Von 2009 bis 2024 Redakteur bei profil.