„Gleichklang zwischen Staat und Kirche“

Theologe Ulrich Körtner: „Gleichklang zwischen Staat und Kirche“

Interview. Der Theologe Ulrich Körtner über Ursprung und Selbstverständnis der Orthodoxie

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Interview: Eva Konzett

profil: Die orthodoxe Kirche ist in Nationalkirchen organisiert. Wie kam es dazu?
Ulrich Körtner: Kirchenrechtlich besteht die orthodoxe Kirche tatsächlich aus Nationalkirchen. Diese haben keine zentralistische Weltkirche wie die römisch-katholische über sich. Jede Nationalkirche, etwa die russische, griechische oder die serbische, hat ein Oberhaupt. Sie sind untereinander gleichberechtigt, haben dasselbe Glaubensverständnis, dieselben Strukturen und dieselbe Liturgie. Der ökumenische Patriarch von Konstantinopel hat zwar unter den orthodoxen Bischöfen den Vorsitz inne, aber nur als Erster unter Gleichen. Diese Struktur reicht in die Zeit der frühen Kirchengeschichte zurück. Es gab eigenständige Patriarchate in Konstantinopel, Alexandrien, Antiochien (in der heutigen Türkei, Anm.) und Jerusalem. Das fünfte Patriarchat war Rom, aus dem die römisch-katholische Kirche entstand. Die Orthodoxen Nationalkirchen indes sind aus dem Untergang des byzantinischen Reiches im 15. Jahrhundert hervorgegangen.

profil: Konstantinopel wird in diesem Zusammenhang das „zweite Rom“ genannt.
Körtner: Konstantinopel war das Zentrum der Kirche im oströmischen Reich. Der byzantinische Kaiser war gleichzeitig das Oberhaupt der byzantinischen Reichskirche. Schon zuvor waren durch die Slawenmission neue Nationalkirchen entstanden, die sich in die byzantinische Kirche eingliederten. Entscheidend ist das Jahr 988, in dem sich Großfürst Wladimir I., Herrscher der Kiewer Rus (ein mittelalterliches Großreich auf dem heutigen Territorium der Ukraine, Russlands und Weißrusslands mit Zentrum in Kiew, Anm.), taufen lässt. Moskau als drittes Rom erhebt einen Machtanspruch, der bis heute zu Spannungen zwischen den orthodoxen Kirchen führt. Seit dem Untergang Konstantinopels füllt die orthodoxe Kirche das Führungsvakuum mit nationalen Oberhäuptern. Sie sind je nach geografischer Lage griechisch oder slawisch geprägt.

profil: Bedingt der Status einer Nationalkirche die Nähe zur politischen Klasse?
Körtner: In der Orthodoxie herrscht die Vorstellung einer Sinfonie, also eines Gleichklanges zwischen dem Staat und der Kirche. Die Zugehörigkeit zu einer orthodoxen Kirche bestimmt die Zugehörigkeit zu einer Nation. Das gilt bis heute. Westlichen Werten wie den Menschenrechten steht man kritisch gegenüber. Dazu kommt eine wichtige identitätsstiftende Funktion der Kirche. Man denke nur an Südosteuropa, das jahrhundertelang unter der Herrschaft des Osmanischen Reiches stand. Bis heute stärkt der Widerstand gegen das Osmanische Reich das allgemeine historische Bewusstsein in Ländern wie Bulgarien oder Rumänien. Im Kommunismus arrangierten sich die orthodoxen Kirchen dann.

profil: In Polen hat die römisch-katholische Kirche die Opposition gegen das sozialistische Regime getragen – in orthodox geprägten Staaten war das nicht der Fall. Warum?
Körtner: Ein solches Engagement war vom Grundverständnis der orthodoxen Kirchen nicht zu erwarten. Das polnische Beispiel zeigt darüber hinaus aber die Kraft der Religion als identitätsstiftendes Element. Der katholische Glaube hat viel zum nationalen Zusammenhalt des polnischen Volkes beigetragen. Die katholische Kirche ist als Weltkirche generell aber nicht so sehr an eine Nation geknüpft. Versuche wie im Josephinismus, den Einfluss Roms zurückzudrängen, haben nie gefruchtet. Die katholische Kirche ist als transnationale Struktur erhalten geblieben.

Zur Person
Ulrich Körtner, 56, ist Vorstand des Instituts für Systematische Theologie und Religionswissenschaften der Evangelisch-Theologischen Fakultät an der Universität Wien.