CETA/TTIP-Volksbegehren: Herr Thumpser und der Freihandel
Wer den Ort sucht, an dem die jüngste Schlacht gegen den Freihandel angezettelt wurde, muss über verschneite Landstraßen durch Niederösterreich fahren, an zugefrorenen Bächen vorbei, bis in die 3.600-Seelen-Gemeinde Traisen. Dort, im ersten Stock des Gemeindeamtes sitzt Herbert Thumpser im Bürosessel auf einem Rapid-Fan-Polster. "55 Jahre musste ich alt werden, bevor ich mein erstes Volksbegehren organisiere", sagt er.
Es ist das "erste europäische gegen Handelsverträge" und das macht Thumpser richtig stolz. Wenn in einer Woche in Österreich mehr als 100.000 Unterschriften gesammelt werden, muss sich das Parlament mit dem Wunsch nach einem Verfassungsgesetz befassen, das es der Regierung verbieten soll, "Handelsabkommen mit den USA (TTIP), Kanada (CETA) oder das plurilaterale Dienstleistungsabkommen (TISA)" abzuschließen. Über eine halbe Million Unterschriften sind es laut ersten Angaben (das Gespräch mit profil führte Herbert Thumpser eine Woche vor dem Ende des Volksbegehrens).
Es ist jedenfalls ein ungewöhnliches Projekt: Herbert Thumpser ist SPÖ-Bürgermeister und sitzt für die Partei im niederösterreichischen Landtag. Das 10.000-Euro-Budget seines Vereins "Gegen TTIP, CETA und TISA" haben er und ein paar andere SPÖ-Bürgermeister aus eigener Tasche gezahlt, "ein bissl was kommt von der Gemeinde, ein bissl was von der Bezirkspartei." Nur: SPÖ-Parteichef und Bundeskanzler Christian Kern hat mit CETA einem der Verträge, gegen die es geht, bereits in Brüssel zugestimmt.
Von vielen klugen Dingen, die Christian Kern gesagt hat, ist mir eines besonders in Erinnerung geblieben: Wir werden wegen unserer Haltung gewählt, nicht wegen Kompromissen
Thumpser läuft also gegen den Parteichef – dabei folgen ihm Gewerkschafter, die Grünen und die FPÖ, dazu kommt eine Kampagnenallianz aus Greenpeace, Attac, Global 2000, der Kronen Zeitung und der Supermarktkette Spar. Wie das der Kanzler wohl findet? "Von vielen klugen Dingen, die Christian Kern gesagt hat, ist mir eines besonders in Erinnerung geblieben: Wir werden wegen unserer Haltung gewählt, nicht wegen Kompromissen", sagt Thumpser. Er habe sogar eine Stunde mit Kern telefoniert, viel geändert hat das aber nicht. Es sei aber immerhin das erste Mal in 30 Jahren in der Regionalpolitik gewesen, dass ihn ein Kanzler höchstpersönlich sprechen wollte.
Bislang hatte Thumpser eine für einen Sozialdemokraten nicht untypische Karriere hingelegt: In den1980er-Jahren gab er seinen Job bei der Voest Alpine in Traisen auf und wechselte in die "Sozialistische Jugend", ging von dort zu den Kinderfreunden, um schließlich Bürgermeister, kurz Bundesrat und später Landtagsabgeordneter zu werden. Es ist nicht der Lebensweg von einem, der sich auflehnt. Aber als er in den Zeitungen von CETA und TTIP hörte, da sei ihm irgendwie unbehaglich geworden – vor allem, weil er es nicht verstand und kaum etwas darüber wusste. Er unterschrieb eine europaweite Petition und der Traisener Gemeinderat beschloss, sich als eine von rund 420 "TTIP-freien Gemeinden" zu deklarieren – beides rechtlich wirkungslose Willensbekundungen.
Das wollte er ändern. "Mir hat der Schritt gefehlt, wo meine Unterschrift in dieser Sache Gewicht bekommt", sagt Thumpser. "Der Herr Juncker (EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, Anm.) hat mal gesagt, wir sollen mit dem österreichischen Klamauk aufhören. Wir haben ihm das Gegenteil bewiesen, weil erstens ist das kein Klamauk, was wir tun und wir haben weiter gemacht." Auch das gehört zur Geschichte dieses Volksbegehrens: Ein niederösterreichischer Bürgermeister beansprucht für sich, von den obersten Beamten in Brüssel ernst genommen und angehört zu werden.
Den CETA-Vertrag hat Thumpser nur bis Seite acht gelesen. "Da stand dann ein Satz, der über 15 Zeilen ging", sagt er. "Da bin ich ausgestiegen." Also verließ er sich auf die Kritik, die globalisierungskritische NGOs wie Attac zusammentrugen. Die sagten, dass das alles sehr schlecht sei, nur den Konzernen nutzen und die europäischen Gesetze unterlaufen würde (die Europäische Kommission bestreitet das vehement). Deswegen sorgt sich Herbert Thumpser um Schiedsgerichte, Hormonfleisch und intransparente Deals. Auch wenn er nicht grundsätzlich gegen Handel sei und noch dazu glühender Pro-Europäer: "Für den EU-Beitritt sind wir damals gerannt, das ist ein wichtiges Friedensprojekt."
Es haben viele darauf gewartet, dass der Thumpser aus Traisen mit dem auf die Nase fällt
Heute eilt er von Bundesland zu Bundesland, um gegen eines der wichtigsten Vorhaben dieses "Friedensprojektes" aufzubegehren. Dabei trifft er sich mit Grünen, mit Blauen, mit NGOs und wird sogar in die ZIB 2 eingeladen. Sie unterstützen ihn im Gegensatz zu seiner eigenen Partei, die gespalten ist. Die Gewerkschafter haben zwar unterschrieben und der burgenländische Landeshauptmann Hans Niessl. Andere wie der Salzburger Bürgermeister Heinz Schaden wendeten sich aber öffentlich gegen das Volksbegehren. "Neid muss man sich verdienen", sagt der Bürgermeister über die Genossen. "Es haben viele darauf gewartet, dass der Thumpser aus Traisen mit dem auf die Nase fällt."