Trump überholt Clinton in den Umfragen: Grund zur Panik?
Leichte Panik macht sich bei den US-Demokraten breit. Bisher gaben sie sich siegessicher: Hillary Clinton mag unbeliebt sein und weithin als nicht vertrauenswürdig gelten, räsonierten sie, Donald Trump habe aber noch schlechtere Popularitätswerte als die einstige First Lady und ehemalige Außenministerin. Und schließlich ließ Hillary in allen Umfragen der vergangenen Monate Donald Trump weit hinter sich. Bisher.
Seit vergangener Woche ist freilich die Gewissheit dahin, dem wüsten Bauunternehmer und TV-Showman, der bei den Primaries einen so spektakulären Aufstieg hingelegt hat, den Weg zum Weißen Haus versperren zu können. Erstmals sehen gleich mehrere Meinungsforschungsinstitute Trump, den prahlerischen Rassisten und außenpolitischen Ignoramus, knapp, aber doch vor Hillary in Führung.
US-Präsident Trump: Das Horrorszenario bekommt plötzlich eine realistische Dimension. Der Traum der Demokraten von einem historischen Erdrutschsieg im kommenden November und einer darauf folgenden langen Agonie der Grand Old Party (GOP), wie die Republikaner genannt werden, scheint jedenfalls ausgeträumt zu sein. Aber ist wirklich das Ärgste zu erwarten?
Trügerische Umfragen
Zunächst: Es ist zu früh im Wahlkampf, um aus den Umfrageergebnissen auch nur irgendetwas prognostisch Aussagekräftiges herauszulesen. Zur Erinnerung: Der Demokrat Jimmy Carter lag Anfang des Jahres 1980 vor Ronald Reagan, der dann im November triumphierte; Michael Dukakis führte 1988 scheinbar uneinholbar, ins Weiße Haus zog aber George H. W. Bush Vater ein; im Mai 2008 lag der Republikaner John McCain vor Barack Obama; und auch Mitt Romney konnte sich im Wahljahr 2012 mehrere Male auf Grundlage von Meinungsumfragen Hoffnung machen, Obama eine zweite Amtszeit zu vermasseln.
Die "New York Times“ hat sich zudem die Präsidentenwahlen seit 1980 und die Umfrageergebnisse der entsprechenden Jahre angesehen und Folgendes ausgerechnet: Die Differenz zwischen den Umfragewerten der Kandidaten fünf Monate vor dem Urnengang unterscheidet sich von ihrem tatsächlichen Abstand bei der Wahl im Schnitt um neun Prozentpunkte. Sprich: Umfragewerte im Mai eines Wahljahres mögen eine politische Stimmung ausdrücken, für Voraussagen sind sie eher unbrauchbar.
Aber es stimmt: Hillary schwächelt zunehmend. Ihre Zustimmungsraten sinken. Trump hingegen befindet sich demoskopisch im Aufschwung. Das habe, so wird von Wahlforschern nun analysiert, vor allem damit zu tun, dass für die Republikaner die Primaries vorbei sind. Seit Ende vergangener Woche steht endgültig fest: Trump ist der Kandidat. Und jene GOP-Politiker, die vor dem Immobilienmogul als Gemeingefahr für die Nation warnten, "Never Trump“ riefen und von ihm immer wieder aufs Vulgärste beschimpft wurden, sind in ihrer großen Mehrheit zu seinen Unterstützern mutiert. Auch die Parteibasis schart sich inzwischen hinter ihm: 85 Prozent der bekennenden Republikaner planen nun bereits "ihrem Mann“ die Stimme zu geben.
Sanders räumt noch nicht das Feld
Hillary hingegen muss noch vorwahlkämpfen. Zwar steht sie als Kandidatin fest, aber ihr linker Rivale Bernie Sanders, der sich bisher hervorragend geschlagen hat, will vor dem Nominierungsparteitag im Juli nicht das Feld räumen. Sie wird also noch einige Zeit sowohl von rechts - den Republikanern - als auch von links attackiert. Und immerhin 28 Prozent der Sanders-Anhänger sagen heute, sie werden im November nicht für sie votieren.
Für bare Münze sollte das aber nicht genommen werden. Zum Vergleich: Im April 2008 versicherte ein Drittel der Clinton-Anhänger, sollte Obama zum demokratischen Kandidaten gekürt werden, nicht bei ihm, sondern beim Republikaner John McCain das Kreuz machen zu wollen. Bekanntermaßen entschieden sich die meisten schließlich doch anders. Und so ist anzunehmen, dass im Sommer, wenn Sanders seine Unterstützung für Hillary erklärt, seine Fans, die sie heute so gar nicht mögen, ebenfalls zu ihr umschwenken - gerade auch angesichts der fatalen Alternative eines Präsidenten Trump. Da sollten auch ihre Umfragewerte in die Höhe schnellen.
Das Hillary-Lager hat zudem einen strukturellen Vorteil. Die traditionell demokratisch wählenden Minderheiten sind ein stark wachsender Teil des Elektorats. Und den Vorsprung, den die Demokraten bei den weiblichen US-Bürgern immer schon haben, kann die potenziell erste Präsidentin wohl noch vergrößern.
All das bedenkend, erscheint die nun aufkeimende Panik verfrüht. Allzu selbstsicherer Optimismus ist aber auch nicht angebracht. Zu oft hat in den vergangenen Monaten "The Donald“ die konkludentesten Analysen und plausibelsten Voraussagen falsifiziert. Offenbar gelten für diesen Mann normale politische Gesetzmäßigkeiten nicht.