Das Konzept der serbischen Welt
Unterstützt von Putins Russland wärmt Serbien unter Vučić die alten Großserbien-Pläne wieder auf, die zu den jugoslawischen Zerfallskriegen (1991–1999) mit ihren Massakern an Zivilisten und Massenvertreibungen geführt hatten. Nur dass sie jetzt unter dem Begriff „srpski svet“ (serbische Welt) firmieren, angelehnt an das russische Expansionskonzept „russki mir“ (russische Welt). Umgesetzt werden sollen die Pläne nicht unbedingt durch militärische Aggression, sondern durch politische Wühlarbeit, Desinformationskampagnen und Instrumentalisierung der orthodoxen Kirche. Serbien mischt sich im mehrheitlich albanisch bevölkerten Kosovo ein, wo es die serbische Minderheit im nördlichen Landesteil für seine Zwecke benutzt. In Bosnien will Milorad Dodik als Präsident des serbischen Landesteils, der Republika Srpska, diesen abspalten und Serbien anschließen. Von Belgrad unterstützte proserbische Politiker und Kirchenmänner wollen das NATO-Land Montenegro unter die Kontrolle Belgrads zwingen. Seit dem Ende der Jugoslawien-Kriege hat der Westen viele Milliarden Euro in den Wiederaufbau und den Ausbau von Institutionen gesteckt, machtpolitisch aber oft inkonsequent gehandelt. In den vergangenen zehn Jahren zog dies den wachsenden Einfluss illiberaler Akteure nach sich. Russland, China, die Türkei und die Golfstaaten arrangierten sich mit den korrupten Eliten der jugoslawischen Nachfolgestaaten und bestärkten sie in ihren autokratischen Anwandlungen. Vučić in Serbien verstand es, sich als „Freund“ Russlands den EU-Sanktionen nach dem Angriffskrieg gegen die Ukraine zu entziehen und trotzdem „Partner“ des Westens zu bleiben.
Die EU verwöhnte Vučić mit Vor-Beitritts-Beihilfen in Höhe von bislang vier Milliarden Euro. „Vučić ist in Serbien vielleicht nicht der am meisten russland-freundliche Politiker, aber proeuropäisch ist er nur in dem Maße, in dem er Mittel von der EU erhält“, befindet Sonja Biserko, eine ehemalige Diplomatin und heute Leiterin des Helsinki-Komitees, einer NGO aus Belgrad. Ein gigantisches Lithium-Vorkommen im westserbischen Jadar-Tal, hat Vučić so geschickt ins Spiel gebracht, dass der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz im vergangenen Juli eigens nach Belgrad flog, um ein EU-Rohstoffabkommen zu unterzeichnen. Lithium wird für die Batterien von E-Autos benötigt.
Gegenüber den Zündeleien Serbiens in der Nachbarschaft habe sich die US-Regierung unter Trumps Vorgänger Joe Biden aufs Feuerlöschen beschränkt, stellen Adnan Ćerimagić und Majda Ruge in einer Studie für den European Council on Foreign Relations fest: „Die USA verdienen Anerkennung dafür, Belgrads Fähigkeiten zur Durchsetzung seiner Ambitionen eingedämmt und die zwei schlimmsten Szenarien, den Zerfall Bosniens und eine bewaffnete Eskalation zwischen Serbien und dem Kosovo, verhindert zu haben. (…) Tiefer liegende Probleme wurden aber häufig ignoriert.“
Zu befürchten ist, dass Trump mehr Verständnis für die expansiven Ambitionen von Vučić aufbringen wird. Dieser steht aufgrund der Studentenproteste derzeit innenpolitisch unter immensem Druck. Richard Grenell, Trumps Sondergesandter für „besondere Missionen“, wollte die Studenten anschwärzen, als er auf X schrieb: „Wenn ihr ein Gesetz oder einen Führer nicht mögt, dann arbeitet daran, es zu ändern – aber greift nicht zur Gewalt.“ Dabei ist kein einziger Gewaltakt vonseiten der Studenten erwiesen.
Grenells scheinheilige Message dürfte mit seiner Zusatzrolle als Türöffner für Trumps Schwiegersohn, den Investor Jared Kushner, zusammenhängen. Dieser plant derzeit Luxus-Immobilienprojekte an Albaniens Küste und auch in Belgrad. Grenell, der bereits während Trumps erster Präsidentschaft für Balkan-Belange zuständig war, soll beide Immobilien-Deals vermittelt haben.
Wer kontrolliert den Norden des Kosovo?
Im Kosovo zeigt sich wiederum, dass mit entschiedenem Auftreten serbischer – und damit russischer – Einfluss zurückgedrängt werden kann. Vier mehrheitlich von Serben besiedelte Gemeinden im Norden des Landes wurden bis vor Kurzem faktisch von Belgrad regiert, das die 2008 deklarierte staatliche Unabhängigkeit des Kosovos bis heute nicht anerkennt. Serbien betrieb dort Postämter, Banken sowie Gemeindeverwaltungen. Paramilitärs, Kriminelle und die alles dominierende Serben Partei „Srpska Lista“ hielten die Bewohner des Nordens in Schach.
Der kosovarische Ministerpräsident Albin Kurti, ein energischer Reformer, der seine linksnationalistische Bürgerbewegung Vetevendosje (Selbstbestimmung) in die Regierung gebracht hat, ging entschieden gegen die serbischen Strukturen im Nordkosovo vor. Im September 2023 scheiterte ein Umsturzversuch schwer bewaffneter serbischer Paramilitärs in der Ortschaft Banjska, ein kosovarischer Polizist und drei Serben starben. Kurti verstärkte daraufhin die Bemühungen, den Norden in den kosovarischen Staat zu integrieren. Wer sich heute in Nord-Mitrovica umsieht, dem fallen die zerschlissenen, löchrigen serbischen Fahnen auf, die traurig über dem König-Alexander-Boulevard hängen. „Das symbolisiert den Zustand der Serbischen Liste, der einstigen Machtpartei“, kommentiert Branislav Krstić, ein unabhängiger Analyst aus Nord-Mitrovica. Neue Geschäfte kosovarischer Handelsketten locken mit ihrem Design in bunten Farben. „Serben kaufen da natürlich nicht ein“, erläutert Krstić. In einer Seitengasse bewachen zwei kosovarische Polizisten die gelben Absperrbänder vor der Belgrader Finanzamt-Außenstelle. Sie war wenige Stunden zuvor offiziell zugesperrt worden.
Für die Serben in Nord-Mitrovica kommen die Maßnahmen zu abrupt und übergangslos. „Kurti ist ein Chauvinist, der unser Leben tagtäglich schwerer macht, als ob er uns signalisieren wollte: Ihr müsst gehen, Kosovo ist nicht für euch, sondern nur für uns“, meint Stefan Veljković, einer der Führer der neuen kosovo-serbischen Partei Serbische Demokratie. Ihre meist jungen Aktivisten protestieren bei Auftritten Kurtis oder anderer Politiker aus Pristina mit Trillerpfeifen. Immer wieder bringe ihnen dies Festnahmen und Anzeigen ein, berichtet Veljković.
Ein Gebietsaustausch könnte wieder Thema sein
Wird sich Trump hier einmischen? Sein Balkan-Gesandter Grenell hatte während Trumps erster Präsidentschaft einen umstrittenen Plan unterstützt, der einen Gebietstausch zwischen Kosovo und Serbien vorsah. Vučić und der damalige kosovarische Präsident Hashim Thaçi hatten dies vorgeschlagen. Am Ende scheiterte das Vorhaben durch eine Intervention der damaligen deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel.
Veton Surroi, ein Verleger und Journalist aus Pristina, der Albin Kurti im EU-Dialog berät, sieht mit der Rückkehr Trumps ins Weiße Haus die Europäer mehr denn je gefordert. Trump sei so etwas wie ein Kontrastmittel, das die Röntgenärzte verwenden, um innere Organe sichtbar zu machen. „Trump injiziert sich in den europäischen – in den westlichen – Corpus und macht dessen Krankheiten sichtbar: Migration, Inflation usw.“, erklärt er in einem der vielen Cafés am Mutter-Teresa-Boulevard in Pristina. „Der Prüfstein für die europäische Politik ist nicht die Ukraine, nicht Gaza – es ist der Westbalkan. Wenn sie nicht einmal hier, in dieser überschaubaren Region, etwas zustande bringt, wie will sie dann größere Krisen lösen?“