Ukraine

Ukrainischer Botschafter: „Es kann kein Vertrauen mehr geben"

Österreich stehe zwar offiziell auf Seiten der Ukraine, doch in den Gemeinden müsse er immer wieder erklären, wer im Krieg der Täter ist, klagt der ukrainische Botschafter Vasyl Khymynets.

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Sie haben Ihre Aufgabe in Österreich in den vergangenen Jahren sehr praktisch angelegt, sind durch die Bundesländer gereist und haben mit Bürgermeistern gesprochen, um für Solidarität mit der Ukraine zu werben. Hat sich die Stimmung gegenüber der Ukraine in den vergangenen zwei Jahren geändert?
Khymynets
Ja. Mich hat die große Zahl von Briefen und Mails berührt, zuletzt nach dem grausamen Angriff auf das Krankenhaus in Kyjiw (Kiew). Die Menschen verstehen, wie brutal der Terror Russlands ist. Bei fast jedem Gespräch höre ich: Es wäre schön, wenn der Frieden kommt. Aber die Ukrainer sind die ersten, die Frieden wollen! Mit diesem Ziel initiierte die Ukraine den globalen Friedensgipfel, auf dem vor einigen Wochen in der Schweiz die Friedensbemühungen der Ukraine unterstützt wurden.

In den Gemeinden erkläre ich vor allem, wer Kriegstreiber und wer Opfer ist. Einige gehen davon aus, dass Putin Frieden will. 

Worüber sprechen Sie in den Gemeinden?
Khymynets
In den Gemeinden erkläre ich vor allem, wer Kriegstreiber und wer Opfer ist. Einige gehen davon aus, dass Putin Frieden will. Sie sagen, die Ukraine solle im Sinne des Friedens auf die besetzten Gebiete verzichten. Ich frage dann: was ist mit Völkerrecht? Wieso soll die Ukraine abgeben, was ihr rechtlich gehört? Es geht um Menschen, die die Befreiung ersehnen. Sollen wir sie unter Folter leiden lassen? Wären Sie als Bürgermeister bereit, einer Nachbargemeinde Teile abzugeben, die diese aufgrund ihrer Stärke genommen hat? Ein wichtiger Punkt noch – wieso glaubt man, dass Russland an Frieden interessiert ist?
Was antworten die Bürgermeister?
Khymynets
Manche sehen es ein, andere schweigen. Meine Aufgabe ist es, den Leuten zu erklären, worum es geht. Ich zeige ihnen Fotos aus den besetzten Gebieten. Da ist nicht einfach eine neue Administration gekommen, sondern ein autoritäres Besatzungsregime. Das Leben der Ukrainer wird zur Hölle, denn die russische Besatzung löscht alles aus, was mit der Ukraine verbunden ist.
Die meisten Bürgermeister kommen aus der ÖVP und der SPÖ. Sprechen Sie auch mit FPÖ-Bürgermeistern?
Khymynets
Ich war eben in Hohenems bei einem Sommerlager für ukrainische Kinder aus Kriegsgebieten. Mit dem dortigen FPÖ-Bürgermeister Dieter Egger hatte ich ein konstruktives Gespräch. Er hat den Erzählungen der Kinder zugehört und verstanden, aus welcher Situation sie kommen. Ich bin offen für Bürgermeister aller Parteien.

Die Wahrnehmung in Österreich und in Europa wurde früher stark von russischer Propaganda beeinflusst. Das verschwindet nicht über Nacht.

 

Was sagen Sie Bürgermeistern, die meinen, die Ukraine sei am Krieg selbst schuld?
Khymynets
Die meisten verstehen schon, dass Russland unprovoziert einen Krieg begonnen hat. Es geht nicht nur um die Bürgermeister, sondern auch um Gemeindepolitiker. Da gibt es manche, die sagen: „Ja, aber vielleicht ist die Ukraine schuld“. Weil sie aufgrund mancher Berichterstattung über den Krieg diesen Eindruck bekommen hätten.
Was meinen Sie?
Khymynets
Es ist wichtig, dass die Berichterstattung aus der Ukraine auch im wichtigsten Fernsehsender keinen Zweifel lässt, wer Kriegstreiber und wer Opfer ist und dass die Ukraine völkerrechtlich das Recht auf Verteidigung und militärische Hilfe hat. Wir hatten schon Fälle, in denen auch österreichische Journalisten aus der Ukraine mit einem „aber“ berichteten: vielleicht wolle Russland mit einem Beschuss nicht unbedingt die zivile Bevölkerung töten oder die Ukraine hätte den Beschuss provoziert. Wir erleben einen hybriden Krieg, in dem jedes Detail in der Berichterstattung eine wichtige Rolle spielt. In diesem Krieg, welchen Russland so genozidal gegen mein Land und meine Landsleute ohne jeglichen Grund führt, darf es kein „aber“ geben.
Siobhán Geets

Siobhán Geets

ist seit 2020 im Außenpolitik-Ressort.