Neutrale Friedenstruppen für die Ukraine?
Vor dem EU-Sondergipfel in Brüssel, bei dem die EU-Mitgliedsstaaten mit Ausnahme Ungarns am Donnerstagabend die weitere finanzielle und militärische Unterstützung für die Ukraine beschlossen, traf sich vergangenen Sonntag eine „Koalition der Willigen“ in London.
Auf Initiative des britischen Premierministers Keir Starmer und des französischen Präsidenten Emanuel Macron versammelten sich dort die Staatsspitzen von 14 weiteren NATO-Mitgliedsstaaten. Auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj, Nato-Chef Mark Rutte und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen nahmen teil.
Die Willigen
In Folge des Solidaritätsgipfels wurde bekannt, dass Macron und Starmer für einen 30-tägigen Waffenstillstand zwischen der Ukraine und dem russischen Aggressor eintreten. Sollten die Waffen tatsächlich für einen Monat ruhen, wäre im Anschluss für die Verbündeten die Entsendung von Friedenstruppen denkbar. Sie stellen für die Überwachung eines Waffenstillstands 30.000 europäische Soldatinnen und Soldaten in den Raum – eine Zahl, die wohl deutlich zu niedrig ist, wie die deutsche Sicherheits- und Verteidigungsexpertin Claudia Major sagt. Sie schätzt den Bedarf auf insgesamt 150.000 Soldatinnen und Soldaten aus „westlichen" Staaten.
Neben Großbritannien und Frankreich signalisierten bisher die Nato-Mitglieder Dänemark, Kanada, Litauen, Luxemburg, Schweden und die Türkei ihre Bereitschaft, Friedenstruppen zu entsenden. Vorsichtig, wenn auch nicht ablehnend, äußerte sich der wahrscheinlich nächste deutsche Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU). Wie die meisten seiner Verbündeten knüpft er die Entsendung von deutschen Friedenstruppen an die Unterstützung der USA, die jedoch als unwahrscheinlich gilt.
Auch Australien und das neutrale Irland ziehen eine Beteiligung an einer Friedensmission in Betracht.
Gern gesehene Truppen
Für irische Truppen gelten dabei allerdings besondere Regeln. Der Völkerrechtsexperte Ralph Janik weist im Gespräch mit profil darauf hin, dass das irische Gesetz eine Entsendung von Friedenstruppen nur nach Zustimmung des UNO-Sicherheitsrates erlaubt. Im Umkehrschluss können irische Soldatinnen und Soldaten somit nur als Teil einer UNO-Friedensmission, nicht aber im Rahmen einer EU-, Nato- oder OSZE-Mission entsendet werden. In Irland wird derzeit eine Gesetzesänderung diskutiert, um mehr Flexibilität bei der Entsendung von Friedenstruppen zu haben.
„Für österreichische Friedenstruppen gibt es diese Einschränkung nicht“, sagt Janik. Aus rechtlicher Sicht spreche nichts gegen eine solche Friedensmission, solange ein Waffenstillstand in Kraft ist: „Ein Einsatz österreichischer Friedenstruppen wäre unter dieser Voraussetzung auch mit der Neutralität vereinbar. Es würde sich hier nicht um eine Kriegsmission, sondern um einen Einsatz zur Wahrung von Frieden handeln.“
Außerdem sei die Beteiligung von neutralen Ländern wie Österreich, Irland und der Schweiz international sogar gern gesehen, da sie keine anderen militärischen Interessen als die Wahrung von Frieden verfolgen, meint der Völkerrechtsexperte.
Aus der Schweiz gibt es noch keine offizielle Position zur Entsendung von Friedenstruppen. Allzu viel personelle Power ist aber nicht zu erwarten: Armeechef Thomas Süssli sprach in einem Interview davon, 200 Soldatinnen und Soldaten für eine Friedensmission bereitstellen zu können.
Auch eine eindeutige österreichische Positionierung zu dem Thema steht aus, wenn auch Bundeskanzler Christian Stocker (ÖVP) Selenskyj am Rande des Sondergipfels in Brüssel Bemühungen um einen gerechten und nachhaltigen Frieden zusicherte. Friedenstruppen spielten beim Gipfeltreffen der 27 EU-Mitgliedsstaaten übrigens keine Rolle.
Auf Anfrage an das Verteidigungsministerium, ob aus dessen Sicht gewisse Gründe für oder gegen eine Entsendung sprechen, heißt es vage: „Die Entscheidung über die Teilnahme des Österreichischen Bundesheers sowie deren Art und Umfang in den Auslandsmissionen obliegt der Politik.“ Derzeit beteiligen sich 585 österreichische Soldatinnen und Soldaten an zwölf Auslandsmissionen, darunter jeweils fünf EU-, fünf UNO- und zwei Nato-Missionen.
Wanted: Sicherheitsgarantien
Dabei dürfte es, unabhängig von der politischen Entscheidungsfreudigkeit, vorerst auch bleiben. Eine der Grundvoraussetzungen für die Entsendung von Friedenstruppen ist ein Waffenstillstand, der am Donnerstagnachmittag einmal mehr in weite Ferne gerückt ist. Somit könnte auch Macrons Vorhaben, nächste Woche ein internationales Treffen zur möglichen Entsendung von Friedenstruppen abzuhalten, obsolet geworden sein.
Während Europas Staats- und Regierungsspitzen in Brüssel am Sondergipfel beratschlagten und Selenskyj für einen partiellen Waffenstillstand auf See und in der Luft warb, bezeichnete eine Sprecherin des russischen Außenministeriums diesen Vorschlag als „absolut inakzeptabel“. Aus russischer Sicht genauso inakzeptabel wäre auch die Präsenz europäischer Friedenstruppen, wie hochrangige Kreml-Vertreter bereits in den vergangenen Wochen mehrmals betont haben.
Doch nicht nur aufgrund der russischen Position scheint eine Friedensmission in naher Zukunft unrealistisch. In Expertenkreisen ist man sich über eine weitere Grundvoraussetzung für das Zustandekommen einer Friedensmission unter europäischer Beteiligung weitgehend einig: Sie wäre nur dann sinnstiftend, wenn die USA entsprechende Sicherheitsgarantien abgeben und die Mission damit ausreichend Abschreckungspotenzial birgt.
An einer Friedensmission wollen sich die USA mit ihren eigenen Truppen nicht beteiligen. Und die fehlende Bereitschaft für Sicherheitsgarantien waren der Auslöser für den jüngsten Eklat im Weißen Haus. Auch in Anbetracht der pausierten US-Hilfen und ausgesetzten Übermittlung von US-Geheimdienstinformationen an die Ukraine verdichten sich die Anzeichen, dass die Ukraine in Friedensfragen nicht mehr auf die USA setzen kann. Es ist daher mehr als fraglich, ob die von den USA für nächste Woche angekündigten Gespräche über einen Waffenstillstand mit ukrainischen Vertretern in Saudi-Arabien zielführend sein werden.