Ukraine-Krise: Verwirrspiel um Waffenruhe
Russland sei keine Konfliktpartei und könne daher gar keine Waffenruhe vereinbaren, hieß es aus Moskau, Kiew sprach kleinlaut von einer "Feuerpause". Die Kämpfe im Osten hielten dennoch an. Bereits Mittwoch früh hatte der Kreml von einem Telefonat des russischen Präsidenten Wladimir Putin mit seinem ukrainischen Amtskollegen Petro Poroschenko berichtet, die Staatschefs stimmten "über mögliche Auswege aus der Krise weitgehend überein". Beide Politiker hätten sich über Möglichkeiten für ein Ende des Blutvergießens in der Ostukraine ausgetauscht, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow.
Verwirrung um Wortlaut
Details lieferte wenig später das Präsidialamt in Kiew auf seiner Webseite: "Der ukrainische Präsident hat mit dem russischen Präsidenten über einen vollständigen Waffenstillstand gesprochen (...) Sie haben sich auf einen Waffenstillstand in Donbass geeinigt", hieß es wörtlich in der englischen Version einer Presseerklärung. Nach Angaben der Nachrichtenagentur dpa wurden dies im ukrainischen Original später auf "Feuerpause" geändert, das Wort "dauerhaft" gestrichen. Der englische Wortlaut blieb jedoch am Mittwochnachmittag unverändert.
Erste Beobachter sahen in der Einigung über einen Waffenstillstand bereits eine Art Schuldeingeständnis Moskaus. Hatte Russland doch bisher jegliche Einmischung in den Konflikt im Osten den Nachbarlandes zurückgewiesen, während westliche Staaten ihm eine direkte Involvierung in die Kampfhandlungen vorwerfen. Doch das Dementi Putins kam umgehend: Russland könne formell gar keine Feuerpause vereinbaren, weil das Land keine Konfliktpartei sei. Präsidentensprecher Peskow bekräftigte aber, Putin und der ukrainische Präsident Poroschenko hätten die notwendigen Schritte besprochen, damit es eine Waffenruhe geben könne.
Obama übt sich in Zurückhaltung
Dementsprechen zurückhaltend reagierte auch US-Präsident Barack Obama. Für eine eingehende Bewertung sei es noch zu früh, sagte er bei einem Besuch in Estland. Eine Einigung sei ohnehin nicht möglich, solange Russland weiter als Separatisten getarnte Soldaten in die Ostukraine schicke. Auch der ukrainische Ministerpräsident Arseni Jazenjuk zeigte sich von den Entspannungssignalen unbeeindruckt und warf Russland vor, ein "terroristischer Staat" zu sein. Zudem kündigte er den Bau einer Mauer an der rund 2000 Kilometer langen Staatsgrenze zu Russland an.
Im Konfliktgebiet Donbass gingen unterdessen die Kampfhandlungen weiter. "In dem Moment, in dem mir Journalisten von einer Waffenruhe erzählten, sind wir zwei Mal unter Beschuss gekommen", sagte der Kommandant einer proukrainischen Freiwilligen-Miliz im Donbass, Serhi Melnitschuk, dem ukrainischen Fernsehsender 112. "Wir haben bisher keine Befehle erhalten."
Separatisten "offen für Gespräche"
Ein Vertreter der Separatisten berichtete hingegen, die ukrainischen Soldaten hätten bereits in der Nacht auf Mittwoch mit dem Abzug aus dem Konfliktgebiet begonnen. Man begrüße die Ankündigung einer ständigen Waffenruhe und sei offen für politische Gespräche, bleibe aber misstrauisch, erklärte Separatistenführer Miroslaw Rudenko. Dem widersprach indirekt der stellvertretende Ministerpräsident der von den Rebellen ausgerufenen Volksrepublik Donezk, Wladimir Antjufejew, der einen Rückzug der ukrainischen Armee forderte: "Eine Waffenruhe ist immer gut, aber unsere Hauptbedingung gilt immer noch: Die ukrainischen Truppen müssen sich von unserem Territorium zurückziehen", betonte er.
Die Rebellen haben die Regierungstruppen in den vergangenen Tagen in mehreren Teilen der Ostukraine in die Defensive gedrängt. Nach der Eroberung des Flughafens von Luhansk (Lugansk) Anfang der Woche waren sie nach eigenen Angaben kurz davor, auch den Airport der Rebellenhochburg Donezk wieder vollständig unter ihre Kontrolle zu bringen. In Mariupol im Südosten der Ukraine, der zweitgrößten Stadt der umkämpften Region, wurde weiterhin mit einem Ansturm der Separatisten gerechnet.
Toter Reporter identifiziert
Das Verteidigungsministerium in Moskau kündigte am Mittwoch noch für diesen Monat ein groß angelegtes Manöver in Süd-Zentral-Russland an. Im Mittelpunkt stehen dabei die Teile der Streitkräfte, die für das nukleare Langstreckenarsenal des Landes zuständig sind. Zudem gab die staatliche Nachrichtenagentur Ria Nowosti den Tod eines ihrer Journalisten in der Ostukraine bekannt. Eine in einem zerstörten Auto in der Nähe von Donezk gefundene Leiche sei als Körper des Reporters Andrej Stenin identifiziert worden, der seit Anfang August als vermisst galt. Die russische Ermittlungsbehörde in Moskau machte ukrainische Soldaten für den Angriff auf die Fahrzeugkolonne verantwortlich. Das Außenministerium forderte Aufklärung.
Putin stellt baldige Lösung der Krise in Aussicht
Am Mittwochnachmittag fand das Verwirrspiel indes seine Fortsetzung, als bekannt wurde, dass Putin eine Vereinbarung zwischen der ukrainischen Regierung und den Separatisten im Osten des Landes noch in dieser Woche für möglich hält. Ein Abkommen zur Lösung der Krise könnte bis Freitag gefunden werden, sagte Putin gegenüber der staatlichen Nachrichtenagentur Ria Nowosti.
Dafür nannte das russische Staatsoberhaupt jedoch eine Reihe von Bedingungen, so müsse etwa die ukrainische Militäroperation im Osten des Landes gestoppt und internationale Beobachter entsandt werden. Zudem sei ein Austausch von Gefangenen sowie die Errichtung humanitärer Korridore für Flüchtlinge und Hilfslieferungen Voraussetzung für eine Einigung, erklärte Putin. Seine Ansichten und die des ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko dazu lägen nahe beieinander.
(APA/Red.)