Radoslaw Sikorski: "Dann werden wir in einer gefährlichen Welt leben"
Interview: Tessa Szyszkowitz / London
profil: Wird die neue ukrainische Übergangsregierung akzeptieren müssen, dass Russland sich die Krim einverleibt hat?
Radoslaw Sikorski: Eine gewaltsame Übernahme von Staatsgebiet wäre für jede Regierung sehr schwer zu akzeptieren. Wir sollten der aktuellen Führung der Ukraine dazu gratulieren, wie verantwortungsvoll sie die Lage bisher gehandhabt hat. Ihr ist es zu verdanken, dass es bisher fast keine Opfer gab. Ich hoffe, das bleibt so. Am ehesten wäre das zu schaffen, wenn die russische Führung endlich mit der Regierung in Kiew Gespräche aufnähme. Immerhin hat das ukrainische Parlament die neue Führung mit 82 Prozent gewählt.
profil: Die russische Regierung sieht das anders und nennt die Vorgänge in Kiew einen Staatsstreich.
Sikorski: Es ist eine Tatsache, dass die Regierung von Ministerpräsident Arseni Jazenjuk demokratisch legitimiert ist. Alle sollten jene internationalen Normen respektieren, die wir nach den schrecklichen Ereignissen im 20. Jahrhundert entwickelt haben. Der Zweite Weltkrieg und der Kalte Krieg haben uns gelehrt, dass wir Probleme mit ethnischen Minderheiten über die OSZE und den Europarat lösen. Wir bauen Schranken ab und stellen legitime Forderungen zufrieden Grenzen werden in Europa heute nicht mehr mit Gewalt geändert. Ich nehme an, dass die Österreicher ebenso wie wir Polen wissen, welch gefährlichen Präzedenzfall der Anschluss der Krim durch Russland darstellt.
profil: Befürchten Sie, dass Russland versucht sein könnte, auch in den baltischen Staaten russische Minderheiten beschützen zu wollen?
Sikorski: Ich war vor ein paar Tagen in Narva, einer Grenzstadt in Estland an der russischen Grenze. Deren Bewohner sind zu 97 Prozent Russen. Wenn sich Staaten das Recht herausnehmen, militärisch zu intervenieren, um ihre Landsleute zu verteidigen, dann werden wir in einer gefährlichen Welt leben.
profil: Welche Sanktionen würden Sie gegen Russland verhängen? Und wird sich die Europäi-sche Union in dieser Frage einigen? Großbritannien etwa scheint eher zögerlich, Sanktionen zu verhängen, die dem Finanzstandort London schaden könnten.
Sikorski: Die britische Regierung wägt ab, was Sanktionen sie kosten würden. Das machen alle anderen auch. Wir Polen haben ein riesiges Handelsvolumen mit Russland. Wir diskutieren verschiedene Optionen unter den EU-Mitgliedern und den USA. Wenn nichts in Richtung Deeskalation unternommen wird und das sogenannte Referendum diesen Sonntag auf der Krim wie angekündigt über die Bühne geht, dann werden wir am Montag beim Rat der Außenminister in Brüssel eine Liste von Sanktionen präsentieren.
profil: Was verlangen Sie als polnischer Außenminister?
Sikorski: Es ist ja nicht das erste Mal, dass wir Sanktionen verhängen. Mit Unterstützung Österreichs haben wir welche gegen Ex-Präsidenten Viktor Janukowitsch und seine Diebe verhängt. Sanktionen sollten aber nicht nur Politiker strafen, nachdem sie die Macht verloren haben. Sie sollten ein Instrument sein, um das Verhalten von Politikern zu beeinflussen, solange sie noch im Amt sind damit sie nicht ihr Volk darüber belügen, dass sie Bankkonten im Ausland haben, oder vorgeben, arm zu sein wie Kirchenmäuse. Zur gleichen Zeit waschen sie ihre gestohlenen Gelder in Banken und Firmen in EU-Staaten, um dann ihre schrecklich geschmacklosen Residenzen zu bauen. Wir als Europäer müssen uns entscheiden: Wollen wir an diesem Diebstahl von Staatsvermögen beteiligt sein oder nicht?
profil: In diesem Fall aber müssten Sie wohl auch Sanktionen gegen Präsident Wladimir Putin verlangen, der offiziell 90.000 Euro pro Jahr verdient.
Sikorski: Staatsoberhäupter genießen Immunität. Doch wir haben etwas Unerhörtes erlebt: Das Oberhaus des russischen Parlaments legitimierte am 1. März eine militärische Intervention im Nachbarland Ukraine, ohne dass es dafür einen erkennbaren Grund gab. Ich weiß ja nicht, was die Österreicher davon halten, aber wir Polen finden das sehr beunruhigend.
profil: Wie können Sie aber die Russen jetzt davon überzeugen zurückzustecken? Sanktionen könnten zum Gegenteil führen: zu noch harscheren Reaktionen. Putin scheint es nicht verkraftet zu haben, dass die Welt sich trotz der Olympischen Spiele in Sotschi immer noch nicht so richtig für die Russen erwärmt hat.
Sikorski: Wir Polen fanden die Olympischen Spiele in Sotschi großartig. Sie waren gut organisiert, und wir haben vier Goldmedaillen gewonnen!
profil: Gratulation!
Sikorski: Sanktionen funktionieren nicht immer aber in Südafrika waren sie effektiv, um der Apartheid ein Ende zu setzen, und im Iran halfen sie, die Atomverhandlungen zum Erfolg zu führen. Die EU sollte sich ihrer Stärke bewusst sein. Wir sind die größte Wirtschaft der Welt, und russische Oligarchen schicken nun mal gern ihre Frauen bei uns zum Einkaufen und ihre Töchter auf die Universitäten. Das heißt aber auch, dass sich in Europa alle wie Europäer benehmen sollten.
profil: Wie beurteilen Sie denn das Benehmen von Gerhard Schröder, der für Putin viel Verständnis zeigt?
Sikorski: Es ist eine Schande für einen ehemaligen deutschen Kanzler, Angestellter von Gazprom zu sein. Die EU-Kommission sollte ihre Arbeit beschleunigen und einen kompetitiven europäischen Gasmarkt schaffen. Dann müssten sich die Unternehmen an die Regeln des freien Marktes halten. Wir wollen auch in Zukunft russisches Gas kaufen, möchten dabei aber die Interessen unserer Konsumenten im Auge behalten.
profil: Sie haben die Opposition in der Ukraine offen unterstützt, schon bevor Präsident Viktor Janukowitsch das Land verließ. Die deutsche Regierung zeigte besondere Nähe zu Vitali Klitschko. War diese Politik nicht doch zu einseitig?
Sikorski: Wir sollten uns keinesfalls in die Präsidentschaftswahlen in der Ukraine einmischen. Die Ukrainer müssen selbst entscheiden. Ich kann nur eines sagen: Arseni Jazeniuk war Außenminister, er ist erfahren, kompetent und patriotisch. Er ist außerdem dazu bereit, die schmerzhaften Reformen durchzuführen, die sein Land dringend benötigt. Ich sollte hinzufügen, dass es absurd ist, ihn als Radikalen zu verunglimpfen. Schließlich war schon am 20. Februar allen klar, dass er Premierminister werden würde. Das hatte auch der russische Botschafter Wladimir Lukin, der Gesandte des Kremls, akzeptiert.
profil: Viele Beobachter sind erstaunt, wie vernünftig die polnische Regierung in der Ukraine-Politik agiert. Schließlich hieß Lwiw (Lemberg) einst Lwow und war Teil Polens.
Sikorski: Ich finde es bestürzend, dass unsere vernünftige Position Sie erstaunt.
profil: Sogar in Österreich fühlen wir manchmal eine Nähe zu Städten und Regionen, die früher Teil des Habsburgerreiches waren. Und das ist noch länger her.
Sikorski: Wir Polen haben es nicht genossen, dass wir von unseren Nachbarn zerrissen und geteilt wurden auch von Österreich. Und wir werden nicht anfangen, das Gleiche unseren Nachbarn anzutun. Ihr Österreicher habt doch auch eure Lektion gelernt.
profil: Haben wir?
Sikorski: Ich war mit meiner Familie auf Skirurlaub in den Dolomiten, als ich überstürzt nach Kiew fliegen musste. Südtirol war auch einmal Teil Österreichs. Nationalistische Leidenschaften brodelten dort bis in die 1970er-Jahre hinein. Und ihr Österreicher habt es geschafft, mit Italien ein Abkommen auszuhandeln, das größte regionale Autonomie sogar bei den Steuern erlaubte, während die Ergebnisse des Ersten und Zweiten Weltkrieges und die italienische Souveränität respektiert wurden. So soll es sein. Auch im Osten. Niemand braucht Spezialtruppen zu schicken.
profil: Hat es Sie geschockt, wie schnell im Westen und im Osten alle bereit zu sein scheinen, auf die alten Stereotype des Kalten Krieges zurückzufallen: Hier die Angst vor russischen Soldaten, dort die Panik vor dem Faschismus, der wieder sein Haupt erhebt?
Sikorski: In jedem Land gibt es Menschen, die Sie nicht nach Hause zum Abendessen einladen würden. In Österreich hatten Sie Jörg Haider. In der Ukraine gibt es auch ein paar radikale Figuren. Doch darum ging es nicht auf dem Maidan. Es war der Protest einer ganzen Generation von gut ausgebildeten, jungen Ukrainern, die hofften, ihr Land werde den Weg Polens gehen. Diese Hoffnung schnappte Janukowitsch ihnen vor der Nase weg. Doch er tat das nicht einfach so, er stand unter starkem Druck. Russland drohte mit Handelsboykott. Darum ging es auf dem Maidan zu Beginn. Als die Proteste anschwollen, mischten sich auch Radikale unters Volk, was in solchen Fällen immer passiert. Es ist aber verstörend, dass die russische Propaganda diesen Aspekt des Maidan aufgeblasen hat und die Radikalen, die nur einen kleinen Teil der Bewegung ausmachten, als treibende Kraft darstellten. Dadurch wurden in Russland enorme nationale Leidenschaften hochgeschaukelt, und es wird sehr schwierig werden, diese wieder zu beruhigen. Bisher ist kein einziger Russe oder russischsprachiger Bürger zu Schaden gekommen. Die einzigen Opfer sind ukrai-nische und westliche Journalisten, die vor ein paar Tagen von russischen Kosaken mit Peitschen geschlagen wurden.
profil: Es war vielleicht nicht so klug, dass die neue ukrainische Regierung als erste Handlung das Gesetz zur Behandlung der russischen Minderheit außer Kraft setzte, das den Gebrauch des Russischen als Amtssprache erlaubte.
Sikorski: Das war nicht die Regierung, das war das Parlament, noch bevor die Regierung gebildet wurde. Der Präsident hat sofort ein Veto gegen diese Änderung eingelegt. Der Fehler wurde also verhindert. Haben Sie den Eindruck, dass die russische Minderheit in der Ostukraine oder auf der Krim in ihren Rechten eingeschränkt wird? Und wenn dem so sein sollte schicken Sie OSZE-Beobachter! Oder den Europarat. Wir machen das auch, zum Beispiel, wenn wir fürchten, die polnische Minderheit in Litauen sei bedroht.
profil: Die russischen Medien berichten auch genüsslich darüber, dass die neue ukrainische Führung einige schwerreiche Oligarchen zu Gouverneuren in der Ostukraine bestellt hat. War das klug?
Sikorski: 35 Prozent des russischen Vermögens sind im Besitz von 110 Einzelpersonen. Ich würde einmal annehmen, dass Russland sehr viel über oli-garchische Kontrolle in einem Land weiß. Die Russen hofften wohl, sie könnten die Oligarchen dazu überreden, eine russische Intervention zu unterstützen. Ihre Kritik resultiert aus Enttäuschung.
profil: Als Sie 1981 in Großbritannien studierten, wurde in Polen gerade das Kriegsrecht verhängt. Sie bekamen politisches Asyl. Sie sind heute gewissermaßen die Personifizierung des polnischen Erfolgswegs. Polen hat einen guten und sicheren Platz unter den Nationen gefunden in der Europäischen Union. Ist das der Grund, warum Sie und Ihre Regierung heute die Stimme der Vernunft sind?
Sikorski: Vielleicht. Wir haben uns selbst von kommunistischer Unterdrückung befreit, unser Land reformiert und in die EU geführt. Deshalb glauben wir, dass auch die Ukraine diesen Weg gehen sollte. Die jungen Menschen in Kiew wissen, dass es erst einmal schlimmer wird, ehe es aufwärts geht. Sie sagen: Wir brauchen harte Reformen, aber wir wollen, dass die Ukraine es so macht wie Polen. Wenn Millionen so denken, dann kann man sie nicht stoppen. Russland hat den Willen des Volkes radikal unterschätzt.
profil: Im Moment steckt die Ukraine allerdings noch in einer tiefen Krise. Was wollen Sie dem Land jetzt anbieten? Eine EU-Mitgliedschaft? Das ausverhandelte Assoziationsabkommen? Einen Beitritt zur NATO?
Sikorski: Eine NATO-Mitgliedschaft geht gar nicht. Wir reden jetzt nur von einem EU-Assoziierungsabkommen. Freihandel richtet sich gegen niemanden. Das gilt auch für Russland. Wir haben genaue Studien dazu, die belegen, dass Russland von einem Assoziierungsabkommen der Ukraine mit der EU nur profitieren würde genauso wie Russland von Polens Mitgliedschaft in der EU profitiert hat. Wir haben unseren Handel mit Russland vervielfacht.
profil: Wenn Ihnen angeboten wird, Nachfolger von Catherine Ashton als EU-Außenbeauftragter zu werden, nehmen Sie an?
Sikorski: Ich bin kein Kandidat.
Radoslaw Sikorski, 51,
ist seit 2007 Polens Außenminister. Gemeinsam mit seinen Amtskollegen Laurent Fabius (F) und Frank-Walter Steinmeier (D) handelte er das am 21. Februar dieses Jahres geschlossene Abkommen zwischen dem inzwischen abgesetzten ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch und der Opposition aus. Wenn ihr das nicht unterschreibt, habt ihr Kriegsrecht und werdet alle sterben, rief Sikorski damals.
Ab 1981 studierte Sikorski in Großbritannien, nach dem Fall des Eisernen Vorhangs wurde er 1990 Polen-Korres-pondent der Sunday Times und Berater von Medienmogul Rupert Murdoch. Seit 1992 gehört Sikorski verschiedenen polnischen Regierungen an. Unter dem konservativen Premier Jaroslaw Kaczynski war Sikorski Verteidigungsminister, heute dient er dem pro-europäischen und deutschenfreundlichen Premier Donald Tusk, der wie Sikorski der liberalen Bürgerplattform angehört. Sikorski ist mit der US-Historikerin Anne Applebaum verheiratet.