„Kiew und Moskau profitieren von den Spannungen“

Duma-Abgeordneter Ilja Ponomarjow über die Krim-Krise

Interview. Der oppositionelle Abgeordnete Ilja Ponomarjow stimmte als Einziger gegen die Annexion der Krim

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Interview: Andrej Iwanowski, Moskau

profil: Bereuen Sie Ihr Abstimmungsverhalten in der Staatsduma mittlerweile?
Ilja Ponomarjow: Nein. Es war das Einzige, was ich gegen einen möglichen Krieg zwischen Russland und der Ukraine unternehmen konnte.

profil: Präsident Wladimir Putin hat die Gegner der Krim-Eingliederung als „Nationalverräter“ bezeichnet. Wie lebt es sich damit?
Ponomarjow: Letztlich wird – wie man so schön sagt – die Geschichte entscheiden, wer Recht hat. Wichtig ist, dass man bei der derzeitigen aggressiven Rhetorik gewisse Grenzen nicht überschreitet und das Ganze nicht in eine Art Hexenjagd ausartet.

profil: Die ist aber bereits im Gang: Professoren, die sich gegen die Krim-Annexion aussprechen, werden entlassen, andersdenkende Künstler gemobbt, kritische Websites gesperrt. Lässt sich das noch stoppen?
Ponomarjow: Das kann derzeit niemand einschätzen. Die Handlungen des Kremls wirken eher willkürlich und wenig durchdacht. Es bleibt zu hoffen, dass die russische Zivilgesellschaft und die internationale Gemeinschaft diese Entwicklungen wieder einbremsen.

profil: Die große Mehrheit der russischen Bevölkerung haben Sie dabei allerdings nicht auf Ihrer Seite.
Ponomarjow: Die Mehrheit der Bevölkerung betrachtet die Krim als russisches Territorium – so wie ich im Übrigen auch denke, dass es gerechter wäre, wenn die Krim zu Russland gehörte. Gerechtigkeit ist aber das eine, das Völkerrecht etwas anderes. Ich halte auch einen Zusammenschluss der Ukraine und Russlands – etwa in der Form einer postsowjetischen EU – für erstrebenswert. Das ist aber noch lange kein Grund für etwaige militärische Operationen. Die Mehrheit in Russland konsumiert die übliche Medienpropaganda und will von diesem Aspekt überhaupt nichts hören.

profil: Waren die Sanktionen der USA und der EU die richtige Reaktion auf das Vorgehen Russlands?
Ponomarjow: Die Reaktion des Westens ist mir schleierhaft: Sie wirkt nicht konsequent, und es bleibt völlig unklar, was damit erreicht werden soll. Ich habe eher den Eindruck, man möchte am liebsten gar nichts unternehmen, gleichzeitig aber das Gesicht wahren.

profil: Wie sollen sich alle Seiten aus der Affäre ziehen, ohne dabei das Gesicht zu verlieren?
Ponomarjow: Ich befürchte, dass eine weitere Eskalation durchaus möglich ist. Momentan kann keine Seite nachgeben. Sowohl Kiew als auch Moskau profitieren derzeit sogar gewissermaßen von den Spannungen und dem Säbelrasseln. In der Ukraine stehen Präsidentenwahlen bevor, in Russland hat die Patriotismuswelle eine gewisse Eigendynamik gewonnen. Ich habe den Eindruck, dass nicht Putin diese Welle steuert, sondern dass viel eher die Welle Putin steuert.

Zur Person
Ilja Ponomarjow, 39, ist Abgeordneter der sozialdemokratischen Partei "Gerechtes Russland".