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US-Balkan-Gesandter Escobar: „Die Erweiterung muss geschehen“

Die EU-Erweiterung auf dem Balkan kommt seit 20 Jahren nicht voran. Gabriel Escobar, der US-Gesandte für den Balkan, versteht die Frustration. Ein Gespräch in Wien.

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Viele Balkanstaaten fühlen sich von der EU im Stich gelassen und wenden sich Russland zu. Was tun?

Escobar

Die Region wendet sich nicht Russland zu, im Gegenteil. Wir haben mit Albanien, Montenegro und Nordmazedonien drei sehr aktive NATO-Mitglieder in der Region, die ganz auf Linie mit der EU- und US-Außenpolitik sind. Auch der Kosovo ist ganz auf Linie mit uns und unterstützt die Maßnahmen der EU gegen Russland.
Und in Serbien und Bosnien? Bosnien ist zweigeteilt in die Föderation Bosnien und Herzegowina und die serbische Republika Srpska.

Escobar

Die Föderation ist auf Linie mit uns, die Republika Srpska mit Russland. In Serbien gibt es viel Unterstützung für Russland, die Regierung hat keine Sanktionen verhängt. Andererseits unterstützt Belgrad die Ukraine humanitär und in der Verteidigung. Serbien hat in allen wichtigen internationalen Abstimmungen gegen Russland gestimmt. In einem haben Sie Recht: Die Westbalkanstaaten sind frustriert, wie lange der Integrationsprozess dauert. Die Länder nehmen riesige Reformen auf sich, um der EU beitreten zu können.
Werden Entscheidungsfindungen noch schwieriger, wenn die EU auf 35 oder 36 Länder anwächst?

Escobar

Ich verstehe die Frustration, aber sehen Sie sich an, wo diese Länder waren. Das waren unsere Gegenspieler, Mitglieder des Warschauer Pakts, Diktaturen mit Einparteiensystemen. Das, was sie heute sind, was Europa aus ihnen gemacht hat, ist viel besser.
Polen und Ungarn haben sich massiv zurückentwickelt.

Escobar

Ja, aber zuerst haben sie enorme Fortschritte gemacht.
Zuletzt trafen sich Ungarns Staatschef Viktor Orbán und der serbische Präsident Alexandar Vučić mit Putin. Wie wird das in Washington aufgenommen?

Escobar

Das ist nicht hilfreich. In Zeiten des Krieges in der Ukraine versuchen wir, Putin zu isolieren. Wir suchen nach einer einheitlichen Front. Putin zu Glaubwürdigkeit zu verhelfen, trägt nicht zur transatlantischen Sicherheit bei. Zwar fallen Orbán und Vučić nicht in dieselbe Kategorie, denn letzterer ist ein Alliierter Putins. Doch wir wünschen uns mehr Transparenz in den Interaktionen zwischen Ungarn und Russland.
Unter Donald Trump kursierte einst die Idee eines Landtausches zwischen Serbien und Kosovo. Kann das Frieden bringen?

Escobar

Wir halten einen Landtausch für eine sehr schlechte Idee, denn es ist falsch, dass Serben nur unter Serben leben können und Albaner unter Albanern. Das widerspricht den Werten der EU, in der alle Nationen zusammenleben. Wir wollen, dass die Länder zu multi-ethnischen Demokratien werden und nicht zu ethnischen Enklaven.
Könnten sich die Amerikaner unter einem möglichen Präsidenten Trump militärisch aus dem Westbalkan zurückziehen?

Escobar

Das ist sehr hypothetisch. Die USA hat stets Initiativen zur Bewahrung der Sicherheit und des Friedens in der Region unterstützt. Das war auch unter Trump der Fall. Ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendjemand einen militärischen Rückzug aus der Region anstrebt. Ich hoffe und erwarte, dass die starke militärische Präsenz der USA am Balkan erhalten bleibt, egal, wer die Wahlen gewinnt.
Österreich ist wirtschaftlich sehr involviert am Westbalkan. Wo können Sie mit Wien zusammenarbeiten?

Escobar

Österreich ist ein idealer Partner. Ihr habt nicht nur starke historische und kulturelle Verbindungen zu der Region, Österreich ist auch der zweitgrößte Investor und hat gute politische Verbindungen am Westbalkan. Die Österreicher im Amt des Hohen Repräsentanten der EU waren sehr erfolgreich. Und Österreich hat die Friedensmission jahrelang erfolgreich geleitet. Die Zusammenarbeit mit Österreich baut auch unseren Einfluss in der Region aus.
Österreich ist ein Befürworter der Erweiterung, aber Länder wie Frankreich sind skeptisch. Was kann die USA hier beitragen?

Escobar

Alle unsere europäischen Partner haben verstanden, dass die EU ohne die Westbalkanstaaten nicht komplett ist. Die Erweiterung muss geschehen. Auch die EU würde davon profitieren. Länder wie Montenegro mit seinen 650.000 Einwohnern werden die strategische Balance der EU nicht aus dem Gleichgewicht bringen. Die Westbalkanstaaten machen weniger als vier Prozent der Gesamtbevölkerung der EU aus.
Siobhán Geets

Siobhán Geets

ist seit 2020 im Außenpolitik-Ressort.