US-Botschafter Traina: "China teilt unsere Werte nicht"
INTERVIEW: CHRISTIAN RAINER, ROBERT TREICHLER
profil: Donald Trump hat eben seine Kampagne für die Präsidentschaftswahlen 2020 offiziell eröffnet. Er hat Sie als Botschafter in Österreich nominiert. Wie beurteilen Sie die ersten drei Jahre seiner Amtszeit? Traina: Seine Administration hat sich auf zwei Dinge konzentriert: Wohlstand und Sicherheit. Beinahe alles, was sie getan hat, folgt diesen Zielen. Was den Wohlstand betrifft: Wir haben in manchen Quartalen ein Wachstum von beinahe vier Prozent, ein Wert, den man für eine voll entwickelte Wirtschaft wie die unsere bis dahin als unmöglich erachtete. Wir haben in vielen Sektoren die niedrigste Arbeitslosigkeit in der Geschichte. Was die Sicherheit betrifft: Das Militärbudget wurde stark erhöht, ein Teil davon dient auch der Verteidigung Europas. Das sind die wesentlichen Kennzeichen der vergangenen drei Jahre. Wenn ich Österreich ansehe, bemerke ich eine ähnliche Ausrichtung: Nulldefizit, beinahe drei Prozent Wachstum …
profil: Kritiker in Österreich wenden ein, dass die Bundesregierung von einer positiven gesamtwirtschaftlichen Lage profitiert. Ist es mit Trump nicht ähnlich? Zwar haben sich die Befürchtungen, dass sein Handelskrieg mit China die Weltwirtschaft arg beuteln würde, nicht bewahrheitet, aber man kann auch sagen: noch nicht. Floriert die US-Wirtschaft also dank seiner Politik oder trotz seiner Politik? Traina: Wenn Sie eine Grafik mit allen entscheidenden wirtschaftlichen Parametern erstellen, werden Sie sehen, dass mit Trumps Wahl alle Werte steil nach oben gehen. Man kann nicht leugnen, dass das mit der Politik des Präsidenten zusammenhängt. Das ist nicht einfach Glück.
profil: Der von Trump immer wieder angedeutete Handelskrieg mit China könnte das zunichte machen. Traina: Natürlich werden Märkte nervös, wenn Zölle eingehoben werden. Aber die ganze Welt stimmt darin überein, dass es an der Zeit war, dass wir uns der Herausforderung Chinas stellen. Sowohl demokratische als auch republikanische Präsidenten haben dies in der Vergangenheit nicht geschafft. Jetzt läutet zum ersten Mal ein Weltpolitiker die Alarmglocke.
profil: Die USA sind mit dem Eintritt Trumps in die Politik ein gespaltenes Land geworden. Meinen Sie, dass der nun beginnende zweite Wahlkampf Trumps diese Kluft noch vertiefen wird? Traina: Wahlkämpfe im 21. Jahrhundert haben einen spaltenden Charakter. Vielleicht liegt das an den sozialen Medien, vielleicht ist die Wählerschaft von vornherein geteilt. Ich vermute, das wird auch für den kommenden Wahlkampf gelten, aber dennoch steht hinter all dem eine Übereinkunft der Amerikaner, nach denselben Zielen zu streben: Wachstum, Sicherheit … Darum werden sich die Debatten drehen.
Meine Erfahrung bei Treffen mit Trump ist, dass er ein stiller Mensch ist, viele Fragen stellt und über die Antworten nachdenkt.
profil: Inhaltlich ja, allerdings hat Donald Trumps Stil die Art der Debatten vollkommen verändert. Seine aggressive, beleidigende Wortwahl ist beispiellos. In seiner ersten Wahlrede hat er den möglichen Mitbewerber Joe Biden wieder „Sleepy Joe“, also den „verschlafenen Joe“ genannt. Wer außer Trump tut so etwas? Traina: Sein Stil ist zweifellos direkt, und er ist der erste Präsident, der soziale Medien auf intensive Weise nutzt. Zum ersten Mal sehen und hören wir die Ansichten und Gedanken eines US-Präsidenten, wie sie entstehen, und noch ehe Berater sie glattgebürstet und poliert haben.
profil: Überrascht es Sie zuweilen, welche Gedanken und Ansichten der Präsident da ungefiltert äußert? Traina: Ich habe Politikwissenschaften in Princeton studiert, deshalb fasziniert es mich, den politischen Prozess auf eine neue Weise zu erleben und nicht bloß das Endergebnis zu sehen. Ich bin kein Politiker, ich bin Technologieunternehmer. Ich bin zum ersten Mal mit einem US-Präsidenten im Regierungskabinett gesessen und habe an Treffen im West Wing des Weißen Hauses teilgenommen. All das ist neu für mich. Der Präsident ist da völlig anders. Vergessen Sie nicht, er war Reality-TV-Schauspieler, er hat so etwas wie eine öffentliche Persona. Meine Erfahrung bei Treffen mit ihm ist, dass er ein stiller Mensch ist, viele Fragen stellt und über die Antworten nachdenkt. Als wir etwa die österreichische Delegation unter Bundeskanzler Sebastian Kurz ins Weiße Haus gebracht haben, hat die meiste Zeit der Präsident dem Bundeskanzler Fragen gestellt.
profil: Wollen Sie damit sagen, Trump muss sich anstrengen, um so grob und unverschämt zu sein, wenn er öffentlich auftritt oder twittert? Traina: Ich denke, er hat eine unglaubliche Fähigkeit, durchschnittliche Leute so anzusprechen, dass er damit eine Wirkung erzielt. Ich selbst habe diese Fähigkeit überhaupt nicht. Ich äußere mich diplomatisch.
profil: Sie werden uns also nicht beschuldigen, Fake News zu produzieren, so wie Trump das gegenüber Journalisten tut? Traina: Ich bin sehr beeindruckt von den österreichischen Medien. Sie arbeiten korrekt und gewissenhaft.
Wenn Sie alle Berichte über Trump analysieren, sind fast 100 Prozent negativ.
profil: Würden Sie das der „New York Times“, einer der besten Zeitungen der Welt, absprechen? Traina: Ich bin Leser der „New York Times“, seit ich in Princeton studiert habe. Historisch ist die „Times“ eine der besten Zeitungen, aber derzeit ist es nicht ganz so. Ich könnte mehrere österreichische Zeitungen nennen, die im Moment sorgfältiger arbeiten.
profil: Präsident Trump äußert sich ausgesprochen herablassend über die Arbeit amerikanischer Journalisten. Teilen Sie seine Meinung? Traina: Wenn Sie alle Berichte über Trump analysieren, sind fast 100 Prozent negativ. Und doch wird er von der Hälfte der Bevölkerung unterstützt. Das deutet meiner Meinung nach darauf hin, dass die Medien eine bestimmte Perspektive bevorzugen.
profil: Das sagt jede Regierung. Traina: Stimmt, jeder Politiker beklagt sich ab und an.
profil: Bloß ist „sich beklagen“ ein Euphemismus für das, was Trump tut. Traina: Er ist der Ansicht, er äußert sich auf direkte Weise zu Leuten. Er hat 61 Millionen Follower auf Twitter.
profil: Die Beziehungen Österreichs zu Russland sind sehr eng, möglicherweise enger, als das der US-Regierung recht sein kann. Die frühere Regierungspartei FPÖ hat einen Freundschaftsvertrag mit der Partei von Russlands Präsident Wladimir Putin. Beunruhigt Sie das? Traina: Ich respektiere, dass Österreich seit Jahrzehnten eine positive Beziehung zu Russland hat. Es ist nicht meine Aufgabe, das zu ändern, sondern sicherzustellen, dass die Beziehung Österreichs mit den USA mindestens so stark ist wie die zu Russland.
profil: Sie sind nicht beunruhigt? Traina: Gar nicht. Aber man hat ja gesehen: Wenn man mit den Russen tanzt, kann man sich dabei verbrennen.
profil: Würden Sie sagen: zu Recht? Traina: Darum kümmere ich mich nicht.
Als jemand, der dieses Land liebt, wünsche ich mir jedenfalls, dass Österreich keinen falschen Eindruck auf andere Länder macht.
profil: Die spezielle Beziehung zwischen Putin und Österreichs Ex-Außenministerin Karin Kneissl hat Ihnen keine Sorgen bereitet? Sein Besuch bei ihrer Hochzeit, der gemeinsame Tanz samt Knicks …? Traina: Nein, ich hatte auch gute Beziehungen mit Kneissl …
profil: …Sie haben aber nicht mit ihr auf ihrer Hochzeit getanzt. Traina: Nein. Als jemand, der dieses Land liebt, wünsche ich mir jedenfalls, dass Österreich keinen falschen Eindruck auf andere Länder macht.
profil: Ist das Bild des Brückenbauers, das Ex-Kanzler Kurz gern von sich zeichnet, stimmig? Wurde er deshalb ins Weiße Haus eingeladen? Traina: Es ist wunderbar, wenn man sich als Brückenbauer versteht, solang man die Brücke in beide Richtungen baut. Ich arbeite dafür, dass die westliche Seite der Brücke die stärkere ist.
profil: Die USA äußern sich sehr kritisch über das Pipeline-Projekt Nord Stream 2, das Gas von Russland nach Europa transportieren soll. Das österreichische Unternehmen OMV ist daran beteiligt. Es gibt in den USA sogar Bestrebungen, Sanktionen gegen das Projekt zu verhängen. Traina: Bedenken gegen dieses Projekt bestehen nicht nur in den USA, sondern auch in Europa. Amerika bevorzugt es, wenn Europa möglichst viele Alternativen zu russischem Gas sucht. Übermäßige Abhängigkeit von russischem Gas ist keine gute Sache.
profil: Es gab Klagen, etwa von der deutschen Regierung, dass Österreich im Bereich der Kooperation der Geheimdienste kein verlässlicher Partner mehr sei. Gründe seien der Skandal um das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) und die Person des Ex-Innenministers Herbert Kickl. Können Sie das bestätigen? Traina: Ich spreche nicht spezifisch über diese Angelegenheiten. Aber wir haben auf allen Ebenen gute Zusammenarbeit mit Österreich.
profil: Eine große Sorge ist der Iran. Die USA und Europa sind in wesentlichen Punkten uneins. Zuletzt waren die USA sicher, dass der Iran hinter den Angriffen auf die Tanker in der Straße von Hormus steht, während sich die EU abwartend verhielt. Traina: Die Situation ist sehr volatil. Es haben sich in jüngster Zeit mehrere solche Angriffe ereignet. Es ist ein internationales Problem, kein amerikanisches. Wer dahinterstand? Ich frage Sie: Wer sonst, wenn nicht der Iran?
profil: Österreich fühlt sich dem so genannten Iran-Deal besonders verbunden, weil er in Wien ausverhandelt wurde. US-Präsident Trump hat diesen Vertrag einseitig aufgekündigt. Sind die USA eigentlich daran interessiert, dass der Iran sich an die im Deal vereinbarten Regeln hält? Traina: Der US-Präsident hat bereits in seinem Wahlkampf starke Zweifel bezüglich des Iran-Deals angemeldet. Er hat lange gewartet, bis er entschieden hat, auszusteigen. Iran hat sich scheinbar an die Regeln bezüglich des Atomprogramms gehalten. Doch Teheran ist ein destabilisierender Faktor in der Region und finanziert massiv Terrorgruppen in Nachbarländern.
China teilt unsere Werte nicht. Privatheit, persönliche Freiheit, Konsumentenschutz … Es ist eine andere Gesellschaft.
profil: Wenn die USA Sanktionen verhängen, trifft das auch österreichische Unternehmen, die im Iran aktiv sind und die sich an die Regeln eines Deals halten, den US-Präsident Barack Obama 2015 unterzeichnet hat. Was sagt das über die Verlässlichkeit der USA? Traina: Jedes Unternehmen, das mit dem Iran Geschäfte macht, muss die Risiken abwägen. Präsident Trump hat während seines Wahlkampfs kein Geheimnis daraus gemacht, was er von dem Deal hält, und die Unternehmen wussten darüber Bescheid.
profil: Müssen Unternehmen sich darum kümmern, was Präsidentschaftskandidaten von Verträgen halten, die ein US-Präsident unterzeichnet hat? Traina: Es ist kein Vertrag, es ist ein Abkommen. Außerdem: Österreichische Exporte in die USA sind im vergangenen Jahr um ein Volumen gewachsen, welches das gesamte Handelsvolumen Österreichs mit dem Iran übersteigt. Das sind die Dimensionen.
profil: Die USA wollen verhindern, dass Staaten – etwa auch Österreich – beim Aufbau ihres 5G-Netzes Equipment des chinesischen Anbieters Huawei verwenden. Sie sorgen sich um möglichen Datenmissbrauch durch die chinesische Regierung. Österreich und viele andere Länder schließen Huawei jedoch nicht aus. Was wird passieren? Traina: Ich beobachte, dass es Europäern sehr wichtig ist, was mit ihren Daten passiert. Die Sicherheit, die sie sich wünschen, ist in einem chinesischen Netz einfach nicht gewährleistet. Letztlich müssen die Österreicher entscheiden.
profil: Sie überlassen es den Österreichern? Oder sind auch hier Sanktionen denkbar, wenn Huawei-Komponenten im Netz integriert sind? Traina: An diesem Punkt sind wir noch nicht. Es geht jetzt darum, die Leute über Gefahren zu informieren. Generell kann man in Bezug auf die Beziehungen Europas mit den USA und China sagen: Wir können die transatlantischen Differenzen in Zentimetern messen, die Differenzen mit China hingegen in Kilometern. China teilt unsere Werte nicht. Privatheit, persönliche Freiheit, Konsumentenschutz … Es ist eine andere Gesellschaft.
profil: Würden Sie sagen, dass Österreich Ihnen in der Frage der Gefahren des 5G-Netzes nicht zugehört hat? Traina: In Amerika sagen wir: Dieser Kuchen ist noch nicht fertig gebacken. Oder, weil wir in Österreich sind, ist es doch eine Torte? Vielleicht ein Gugelhupf.
Trevor Traina, 51, ist seit Mai 2018 US-Botschafter in Österreich. Davor war der Kalifornier Unternehmer und Gründer mehrerer Start-ups, die er an Microsoft und andere Technologiekonzerne verkaufte. Trainas Großvater mütterlicherseits, Wiley T. Buchanan Jr., war von 1975 bis 1977 Botschafter in Österreich.