US-Wahl 2020: "Politik der Wut und des Hasses ist Trumps Vermächtnis"
Zur US-Präsidentenwahl schreiben Zeitungen:
"La Vanguardia" (Barcelona):
"In den Vereinigten Staaten ist nach der Wahl am Dienstag der schlimmste aller möglichen Fälle eingetreten. Das Fehlen schlüssiger Ergebnisse bedeutet, dass ein bereits polarisiertes und gereiztes Land noch nicht weiß, ob sein zukünftiger Präsident Trump oder Biden heißen wird. Um den Gewinner zu ermitteln, muss auch die letzte per Post abgegebene Stimme gezählt werden.
Und es könnte sein, dass wir auch dann nicht wissen werden, wer der Sieger ist, denn mitten in der Nachzählung der Wahlen erklärte sich Trump schon zum Sieger, prangerte - ohne Beweise - die Briefwahl als betrügerisch an und kündigte an, beim Obersten Gerichtshof Berufung einzulegen und die Auszählung der Briefwahlstimmen zu stoppen. Den Sieg im Voraus zu reklamieren und die Demokraten des Betrugs zu beschuldigen, trägt nichts dazu bei, die Stimmung in einer nervösen und gespaltenen Gesellschaft zu beruhigen. Trump verachtet die Demokratie. (...)
Da Trump nicht bereit ist, eine Niederlage hinzunehmen, scheint er entschlossen zu sein, eine institutionelle Krise durch die gerichtliche Anfechtung der Briefwahl vom Zaun zu brechen. Die nächsten Tage werden schwindelerregend und wir müssen hoffen, dass die Unsicherheit nicht in Gewalt umschlägt."
"The Guardian" (London):
"Sollte Donald Trump gehen - und es gibt kaum Anzeichen dafür, dass er dies ohne einen Kampf tun würde -, wird seine Hinterlassenschaft eine Politik der Wut und des Hasses sein. Für Amerika ist es eine Tragödie, dass eine gefährliche Spaltung zur Norm wird, statt eine Ausnahme zu bleiben. In den USA besteht die Sorge, dass die kulturellen Spaltungen nicht mehr rückgängig zu machen sind. Für die Amerikaner sollte es vor allem darum gehen, möglichst zu verhindern, dass die politische Kluft so weit aufreißt, dass die beiden verfeindeten - und teils bewaffneten - Lager nicht mehr miteinander reden können.
Der nationale Dialog wird nicht leicht in Gang zu bringen sein. Besonders angesichts der boshaften Art, in der Präsident Trump Politik betreibt. Sollte es irgendwie die Vorstellung gegeben haben, das Land könne nach dieser Wahl dort weitermachen, wo es 2016 aufgehört hatte, so ist sie in dem Moment verschwunden, in dem Trump einen Wahlsieg verkündete, den er offensichtlich noch gar nicht errungen hatte."
"Financial Times" (London):
"Selbst wenn Joe Biden gewählt ist, wird es keine klare Kontrolle der Demokraten über den Senat geben. Das hat Folgen für die USA und letztlich auch für die Weltwirtschaft. Unter einer geteilten Regierung wird es üblicherweise schwierig, Finanzhilfen für angeschlagene Haushalte und Unternehmen gesetzlich zu regeln. Es gibt Zeiten, in denen ein Stillstand seine Vorteile hat. Aber eine Jahrhundertkrise des öffentlichen Gesundheitswesens gehört nicht dazu. Einmal mehr fällt die Aufgabe, wirtschaftlichen Schaden zu mildern, der US-Notenbank zu. Wenn das Hilfspaket gefährdet ist, so trifft dasselbe auch für Joe Bidens längerfristige Pläne zum Ausbau der Krankenversicherung und der grünen Infrastruktur Amerikas sowie zur Erhöhung der Steuern für die Wohlhabenden zu. Es wird jetzt keine sozialdemokratische Wende in der US-Politik geben."
"Le Monde" (Paris):
"Donald Trump hat seine Drohung in die Tat umgesetzt. (...) Er hatte während seiner Wahlkampagne davor gewarnt, dass die Demokraten 'die Wahl stehlen' wollten und dass die Präsidentenwahl (...) davon bedroht sei, 'manipuliert' zu werden. Hinter diesen Bedrohungen versteckte sich eine Strategie des Chaos. Und genau diese hat der Präsident der USA am Mittwoch, dem 4. November, wenige Stunden nach Schließung der Wahllokale, angefangen in die Tat umzusetzen. (...)
Eine der ältesten Demokratien der Welt, die Vereinigten Staaten (von Amerika), befindet sich in einer nie dagewesenen Situation: Ein amtierender Präsident stört absichtlich einen föderalen Wahlprozess, beansprucht den Sieg noch während der Auszählungen für sich und droht damit, diese durch einen unabhängigen Rechtsspruch zu unterbrechen (...). Dies ist eine Missachtung des allgemeinen Wahlrechts. Die Funktion der Wahl, die ein wesentlicher Bestandteil des demokratischen Systems ist, wird geleugnet."
"Politiken" (Kopenhagen:
"Niemand hielt es für möglich, aber die USA sind aus der Präsidentenwahl noch gespaltener hervorgegangen, als sie es vorher waren. Ob Joe Biden oder Donald Trump - die amerikanische Demokratie befindet sich mitten in einer Schicksalsstunde, die - so unglaublich es auch klingen mag - in allem enden könnte, von einem Drama um das Wahlergebnis im Gerichtssaal bis zu sozialen Unruhen mit Straßenkämpfen. Oder beides. (...) Die USA haben noch nie in einen breiteren und tieferen Abgrund von Spaltung, Wut und Hass geblickt. Das kann verhängnisvoll sein."
"De Standaard" (Brüssel):
"Donald Trump lässt keinen Zweifel daran, dass er seine Präsidentschaft mit allen möglichen Mitteln verteidigen wird. In einer befremdlichen Rede erklärte er sich bereits zum Sieger. Und er bezeichnete den Urnengang als 'schamlose Verfälschung'. Bei einem möglichen Sieg Bidens drohte er mit Anfechtung vor dem Obersten Gerichtshof. (...) Ein amtierender Präsident, der damit droht, sich an die Macht zu klammern, und seine Anhänger aufruft, sich dem demokratischen Prozess zu widersetzen: Solche Szenen hat es in der Vergangenheit in den Straßen von Kinshasa, Abidjan und Caracas gegeben. Aber wer hätte gedacht, dass dieses Szenario in Washington DC möglich wäre?"
"de Volkskrant" (Amsterdam):
"Mit der vorzeitigen Beanspruchung des Sieges hat Präsident Trump erneut seine Verachtung für die Demokratie gezeigt. In seiner Siegesrede um 02.30 Uhr (Ortszeit), in der mindestens neun erwiesene Unwahrheiten gezählt wurden, kündigte er an, dass er mit einem Gang zum Obersten Gericht die Auszählung von Millionen weiterer Stimmen stoppen wolle, weil von Betrug die Rede sei. (...) Bemerkenswerterweise führte Trumps beispiellose Brüskierung der amerikanischen Wähler und des Wahlsystems kaum zu internationalem Wirbel. Zwar äußerten die Demokratische Partei und die amerikanischen Mainstream-Medien (wie das von Trump gehasste CNN) ihre Wut, und sogar Fox News reagierte empört. Doch wo die Welt gewöhnlich lauthals von Schande spricht, wenn sich einige afrikanische Präsidenten mit Einschüchterungen und unbegründeten Wahlbetrugs-Anschuldigungen an die Macht klammern, herrschte jetzt ohrenbetäubende Stille."
"Neue Zürcher Zeitung":
"Die Wahl hat die Spaltung des Landes, von der im Vorfeld so oft die Rede gewesen war, in ihrem ganzen Ausmaß vor Augen geführt. Fast die Hälfte der Wähler haben dem Präsidenten trotz all seinen Lügen und Pöbeleien ihre Stimme gegeben, während die andere Hälfte in ihm einen gefährlichen Potentaten sieht. Wie dieser Graben überwunden werden soll, ist offen. Immerhin verlief der Wahltag ruhig, die von manchen befürchtete Gewalt blieb zum Glück aus. Umso mehr ist zu hoffen, dass die nächsten Tage eindeutige Ergebnisse bringen werden, die beide Lager und auch die Medien vorsichtig interpretieren und schlüssig erklären. Ein Befeuern von Spekulationen könnte gravierende Folgen haben. Die Wahl ist erst entschieden, wenn alle Stimmen gezählt sind."
Kompliziertes Wahlsystem in den USA
"Tages-Anzeiger" (Zürich):
"Trumps Gerede vom Wahlbetrug erstaunte umso mehr, weil sich zunächst keineswegs abzeichnete, dass er verlieren könnte. Im Gegenteil, er schnitt besser ab als erwartet, ähnlich wie vor vier Jahren. Anders als 2016 wussten die US-Bürger jedoch dieses Mal, mit wem sie es zu tun hatten. (...)
Bereits jetzt steht fest, dass die Vereinigten Staaten so tief gespalten sind wie seit dem Bürgerkrieg nicht mehr. Das hat die Wahl verdeutlicht. Wer künftig im Weißen Haus ist, wird Präsident von zwei Amerika, einem roten und einem blauen. Und diese beiden Amerika wollen nichts von einander wissen und sind sich spinnefeind. Der Schaden ist angerichtet. Biden würde versuchen, die beiden Lager zu versöhnen. Aber das ist eine Aufgabe für Generationen. Und Donald Trump, das wissen wir nun, pfeift auf die Demokratie."
"Kommersant" (Moskau):
"Es waren die wildesten Wahlen in der Geschichte der USA. Bis jetzt gibt es kein endgültiges Ergebnis. Klar ist nur, dass der Triumph des Demokraten Joe Biden, den fast alle Umfragen vorausgesagt haben, nicht eingetreten ist. Trotzdem ist sein Sieg durchaus wahrscheinlich. Das einzige garantierte Ergebnis dieser Wahlen ist eine Spaltung der Gesellschaft, die das Land vor vier Jahren ergriffen hat und sich weiter vertieft (...)
Donald Trump wird im Falle des Sieges von Joe Biden der erste Präsident seit George Bush senior sein, der nur eine Amtszeit auf seinem Posten geblieben ist.
Der wackelige Sieg des Demokraten Biden zeigt, dass die Ideologie des Trumpismus - das Aufkommen eines bürgerlichen Nationalismus, der soziale Konservatismus und der Populismus - die Geisteshaltung der Hälfte Amerikas ist. Und es ist nicht ausgeschlossen, dass Trump weiter versuchen wird, auf die Politik Einfluss zu nehmen. Immerhin ist Donald Trumps Hotel nur 15 Minuten Fußweg vom Weißen Haus entfernt."
"Rzeczpospolita" (Warschau):
"Donald Trump hat am Mittwoch dazu aufgerufen, die Stimmauszählung abzubrechen und per Post eingeschickte Stimmzettel abzulehnen. Kein amerikanischer Präsident hat es bisher gewagt, dermaßen spektakulär die Grundregel der Demokratie zu untergraben, wonach jede unter festgelegten Bedingungen abgegebene Stimme gleich viel zählt.
Trump will, dass der Oberste Gerichtshof diesen Streit entscheidet. Es besteht allerdings das große Risiko, dass seine Anhänger und seine Gegner nicht viele Wochen auf das Urteil warten werden, sondern versuchen, die Sache auf der Straße zu entscheiden. Auf solche Kämpfe hatten sich am Wahltag viele amerikanische Städte vorbereitet, Schaufenster und Regierungsgebäude wurden verbarrikadiert. Dies könnte fatale Folgen für den Zusammenhalt der amerikanischen Gesellschaft haben, die schon jetzt stark polarisiert ist. Zum ersten Mal könnte die Hälfte der Bevölkerung annehmen, dass ein Usurpator an der Spitze ihres Landes steht."
"Gazeta Wyborcza" (Warschau):
"In den USA hat sich das schwärzeste aller möglichen Szenarien erfüllt. Aus Donald Trumps Ankündigungen geht hervor, dass er vor nichts zurückschreckt, nur um die eigene Niederlage nicht zuzulassen. Der Versuch, Hunderttausende Briefwahlstimmen in mehreren Staaten von der Wahl auszuschließen, ist kein Anschlag auf die Demokratie, sondern der Versuch ihrer Beerdigung. Sollte es wirklich dazu kommen, dann nähert sich Amerika, das sich selbst als demokratischen Musterstaat sieht, gefährlich solchen Ländern, wo die Institution der Wahl nur als Fassade dient.
Der Angriff auf die Demokratie wird unumkehrbare Folgen für die internationale Wirkungskraft Amerikas haben. Trump hat vielleicht den Atomknopf sowie die mächtigste Armee und Wirtschaft der Welt. Aber für den Westen wird er nicht mehr nur der Exzentriker im Weißen Haus sein, sondern ein Usurpator. Mit so jemandem kann man zwar Geschäfte machen, als Partner behandeln kann man ihn jedoch kaum."