Wahlnacht mit Wodka in Wien
Der CNN-"Key Race Alert" flimmert über den Bildschirm. Nur ist dieser deutlich größer als die meisten der zig Millionen Monitore, auf denen Menschen weltweit bei der US-Wahl mitfiebern. Das Votivkino in Wien hat für die amerikanische Wahlnacht zwei seiner Kinosäle geöffnet. Die US-Wahl auf der großen Leinwand, eine ganze Nacht lang mit 500 anderen Schaulustigen im Kino und mit kostenlosem Kaffee. Kann das gutgehen?
"Das Albert-Schweitzer-Haus Forum für Zivilgesellschaft organisiert immer wieder Wahlabende, zuletzt für die EU- und die Nationalratswahl", sagt Vanessa Spanbauer, die das Mitfiebern im Votivkino mitorganisiert hat: "Für die US-Wahl wollten wir uns etwas besonderes einfallen lassen." Da der Film "The Apprentice" über Ex-Präsident Donald Trump derzeit in den Kinos läuft, drängte sich eine Kombination auf: Nach dem Film wurden zwei Säle des Votivkinos in Wien für ein gemeinsames Mitfiebern bei der US-Wahlnacht geöffnet. Von 23 Uhr am Dienstag bis fünf Uhr in der Früh am Mittwoch. Dazu gab es am Abend Hotdogs und Kaffee. Rund 500 Personen folgten dem kostenlosen Angebot. Einige weitere Spätentschlossene wurden heimgeschickt, da die Kinosäle bereits gefüllt waren.
Roadtrip, Drinks und Pubquiz
Wer sich früh genug angemeldet hatte, fand im Kino mehr als nur endlose Wahlberichterstattung durch CNN: Gunther Müller führte durch seinen Roadtrip durch die wahlentscheidenden Swing-States, über den er bereits im profil berichtet hatte. Erstmals habe ihn dabei die Themenlage in den USA an jene in Österreich erinnert: "Trumps-MAGA-Flügel ist der FPÖ inhaltlich sehr ähnlich" - etwa, indem der ländlichen Bevölkerung Horrorszenarien über Großstädte gezeichnet werden.
Der Politikwissenschaftler Paul Schuierer-Aigner gab seine Einschätzung zur Wahl in einem voraufgezeichneten Interview und empfahl den Gästen: "Nicht zu schnell freuen, nicht zu schnell aufgeben. Lieber noch einmal an die Bar gehen und einen Drink bestellen." Und Moderator Tori Reichel unterbrach das Wahl-Spektakel im Stundentakt für eine weitere Runde eines US-Pubquizzes, an dem Sie sich auch hier messen können:
Zu Beginn des Abends fragte Reichel noch, ob die Anwesenden an einen Wahlsieg von Trump oder Harris glauben. Die Antwort: Im Votivkino hätte die Demokratin eine klare Mehrheit gehabt. Bei der Frage, warum sich Trump oder Harris durchsetzen würden, fand das Wiener Publikum allerdings mehr Argumente für den Republikaner. Letzteres scheint auch in den USA eingetreten zu sein.
Bis halb vier Uhr in der Früh waren die beiden Kinosäle immer noch etwa zur Hälfte gefüllt - genug, um das extra frühe Frühstücksbuffet zu vertilgen. Mit einem derart ausdauernden Publikum hatte Spanbauer nicht gerechnet: "Dass so viele Leute bis vier Uhr Früh bleiben, ist mein persönliches Highlight." Womöglich sei das große Interesse an einer derart fernen Wahl auch eine Art Eskapismus von den Ergebnissen in der eigenen Demokratie, sagt sie, vor allem zähle aber: "Politik findet Anklang und wird diskutiert."
Mit Fortschreiten des Wahlabends und Trumps Erfolg sank der Enthusiasmus auch im Votivkino. Obwohl beim Ende der Wiener Wahlnacht um fünf Uhr Früh noch kein endgültiger Sieger feststand, verließen zwei junge Männer, die sich in der Nacht noch in einer USA-Fahne eingewickelt hatten, das Kino ohne ihren Stars-and-Stripes-geschmückten Hut. Ihre Enttäuschung konnte auch der Wodka-Shot am Ausgang nicht lindern.