Der Joker Teil 2: Donald Trumps Rückkehr ins Weiße Haus
Von Robert Treichler und Siobhán Geets
Schriftgröße
Am 5. November 2024 brauchte man niemandem mehr zu erklären, wer Donald Trump ist. Die Bürgerinnen und Bürger der USA wussten, wen sie wählten, als mehr als 72 Millionen von ihnen dem mittlerweile strafrechtlich verurteilten Ex-Präsidenten der Jahre 2017 bis 2021 ihre Stimme gaben. Sie wollen ganz offensichtlich mehr von dem, was er damals tat und was er inzwischen versprochen hat. Sie wollen … ihn.
Anders als Trump selbst dies 2020 tat, akzeptieren seine Gegner das Wahlergebnis. Aber die Tatsache, dass der Mann, der am Montag, dem 20. Jänner 2025, zum 47. Präsidenten der USA angelobt wird, auch behördlich bestätigte Wahlergebnisse nicht anerkennt, wenn diese ihm eine Niederlage bescheinigen, ist nur ein Aspekt seiner Wiederwahl.
Donald Trumps zweite Amtszeit wird nicht sein wie die erste. Als er 2017 ins Weiße Haus einzog, war er ein 70 Jahre alter, politisch unerfahrener Quereinsteiger. Jetzt ist er um die Erfahrungen aus vier tumulthaften Regierungsjahren, jeder Menge tiefer Zerwürfnisse mit damaligen Mitarbeitern und zwei gescheiterten Amtsenthebungsverfahren reicher. Auch die Welt ist heute eine andere. Der Rechtspopulismus, zu dessen Vertretern man Trump zählt, ist von einer lautstarken, disruptiven Bewegung zu einer politischen Kraft geworden, die in vielen Ländern der westlichen Welt immer mehr Macht und auch Regierungsämter innehat. Donald Trump erscheint in dieser Umgebung weniger als ein Fremdkörper als noch vor acht Jahren.
Was am 5. November 2024 geschehen ist
„Heiliger Strohsack!“, entfuhr es dem prominenten CNN-Journalisten Jake Tapper mitten in der Live-sendung. Eben wurde eine Karte eingeblendet, auf der eingezeichnet war, in welchen Wahlbezirken die demokratische Kandidatin Kamala Harris um mindestens drei Prozentpunkte besser abgeschnitten hatte als ihr Vorgänger Joe Biden bei der letzten Wahl. Doch die USA-Karte blieb grau. Tapper fragte ungläubig nach: „Nirgends? In keinem einzigen County?“
Die Wahlnacht war eine Abfolge von Überraschungen und geplatzten Träumen auf der einen – demokratischen – Seite. Etwa dem von der ersten Frau und zugleich der ersten schwarzen Frau im Weißen Haus, oder auch dem vom endgültigen politischen Ende des Donald J. Trump. Das hätte als Beweis dafür gegolten, dass seine Wahl 2016 ein singulärer Fall von kollektivem Irrtum einer Bevölkerung gewesen sei, die sich von greller, komödiantenhafter Aggressivität hatte blenden lassen. 2020 hatte sie ihren Fehler eingesehen, Trump abgewählt, und nun hätte sie diese Korrektur erneut bestätigen sollen.
Doch das tat sie nicht. Und so wurde die Wahlnacht auf der anderen – republikanischen – Seite eine Abfolge von ersehnten Jubelmeldungen und der Befriedigung der Lust auf Rache. Nichts hatte den Zulauf der Mehrheit der Wähler zu Trump stoppen können. Das Volk beantwortete die Charakterfrage, die traditionell im Zentrum jeder Präsidentschaftswahl stand, eindeutig mit: völlig egal. Nichts, auch nicht die Millionenstrafe, zu der Trump wegen der Verleumdung der Autorin Jean E. Carroll, die er sexuell missbraucht hatte, zivilrechtlich verurteilt wurde, stieß seine Wähler ab.
Im Gegenteil. Donald Trump gelang es, sogar bei Wählerinnen besser abzuschneiden als bei seinen Wahlgängen 2016 und 2020. Frauen weißer Hautfarbe stimmten zum dritten Mal in Folge mehrheitlich für Trump.
Zudem legte der republikanische Kandidat bei Gruppen weiter zu, die einst als verlässliche Stammwählerschaft der Demokraten galten. Die weiße Arbeiterklasse, seit 2016 Basis für Trumps Erfolg, hielt ihm die Treue, hinzu kamen größere Anteile bei Afroamerikanern, hispanisch- und asiatischstämmigen Wählern. Damit widerlegte Trump eindrucksvoll die Theorie, dass eine ethnisch zunehmend diverse Bevölkerung notwendigerweise den Demokraten nützen würde. „Erst waren es die weißen Arbeiter, jetzt auch die Latino- und die schwarzen Arbeiter!“, lamentierte Senator Bernie Sanders, einst Vorwahlkandidat der Demokraten.
Trump liegt diesmal nicht nur wie 2016 bei der Zahl der Wahlmänner vorn, er vereinte auch landesweit um mehrere Millionen mehr Wähler hinter sich als Kamala Harris. Der 78 Jahre alte Mann, der älteste US-Präsident (zum Zeitpunkt der Angelobung), konnte die Amerikaner besser davon überzeugen, dass er für den Wandel („Change“) stehe als die 60 Jahre alte Harris.
Donald Trump schaffte es, eine Stimmung zu erzeugen, von der sich Millionen Amerikaner bereitwillig anstecken ließen. Im Falle von erfolgreichen Kandidaten lässt sich eine solche Atmosphäre üblicherweise mit Begriffen wie „Aufbruch“, „Hoffnung“ oder „Optimismus“ beschreiben, doch Trump vermengte sehr widersprüchliche Zutaten: allen voran Wut, dazu Provokation, Finsternis, Komödiantentum, Heilsversprechen und eine nicht geringe Portion an Groteske. Die einzigartige Mischung geriet in den allermeisten Fällen zu einer Form von Unterhaltung, die den Reiz der permanenten Übertretung hatte. Trumps Publikum wollte keine Herleitungen politischer Forderungen, sondern zum Brüllen komische Attacken hören. Und die bekam es extra-large.
Neben der Charakterfrage entsorgte diese Wahl auch die Notwendigkeit eines konsistenten Programms. Wenn Trump versprach, den Krieg Russlands in der Ukraine „innerhalb von 24 Stunden zu beenden“, dann fragten seine Wähler nicht nach, wie er das tun wollte. Es genügte ihnen, dass Trumps Gegner daran verzweifelten, dass ihre Nachfragen nicht beantwortet wurden.
Schließlich beweist der neuerliche Sieg von Donald Trump, dass seine Art, Politik zu machen, einem Wunsch der Mehrheit entspricht. Der Erfolg von 2016 hätte Ausdruck eines einmaligen Protests sein können, der 5. November 2024 belegt eine dauerhafte, breite Koalition gesellschaftlicher Gruppen, von der die Trump’sche Republikanische Partei getragen wird.
Diese Koalition, die Massendeportationen von Einwanderern verlangt, möglichst hohe Strafzölle auf Importe will, von einer handstreichartigen Abschaffung der Inflation träumt, hat mit den Grundsätzen, die der Republikanischen Partei einst zugrunde lagen, wenig am Hut. Der Freihandel, die Achtung der Verfassung und ihrer Institutionen, der Respekt vor der Justiz … all das hatte Trump 2016 über Bord geworfen, und 2024 ist der Bruch endgültig vollzogen.
Alle Warnungen – von Trumps ehemaligem Stabschef, von seinem ehemaligen Verteidigungsminister, von seinem ehemaligen Nationalen Sicherheitsberater, von seinem ehemaligen Generalstabschef, von Editorials großer Medien – wurden bloß verhöhnt.
Am 5. November stampfte die Mehrheit trotzig mit dem Fuß auf und sagte: Wir wollen Trump.
Warum Donald Trump beliebter ist als je zuvor
Eine von vielen Antworten auf die Frage, warum Donald Trump bei den Wahlen am vergangenen Dienstag besser abgeschnitten hat als die beiden Male zuvor, lautet: weil er sich quasi selbst normalisiert hat. Neun Jahre sind vergangen, seit Trump die goldene Rolltreppe seines „Trump Tower“ in New York hinabfuhr, um seine erste Kandidatur zu verkünden. Seine Entgleisungen, die sexistischen und rassistischen Sprüche, sorgten damals auch abseits linker Kreise für Entsetzen. Doch Trumps Tiraden gingen immer weiter, denn wirklich weg war er nie, auch nicht nach der Wahlniederlage gegen Biden vor vier Jahren, und das Empörungspotenzial hat sich erschöpft.
Für seine Anhänger ist Trump, wenn er als Angeklagter vor Gericht steht und verurteilt wird, ein tapferer Gejagter des verhassten Systems. Wenn er alle Regeln des Anstands verletzt, erweist er sich als mutiger Kämpfer gegen ausufernde Wokeness. Und dass er das Schussattentat in Butler, Pennsylvania, überlebt hat, beweist in den Augen seiner Follower, dass Gott ihn ausersehen hat, noch einmal zu regieren. (Weshalb Gott nicht bereits im Vorfeld das Attentat verhindert hat, bleibt unklar.) Nicht wenige halten Trump für den Mann, der es richten kann – auch am Konto. Zwar sind Beschäftigungsraten und Durchschnittslöhne in den vier Jahren unter Joe Biden gestiegen. Doch die Inflation frisst vor allem niedrige Gehälter – und die meisten Geringverdiener hatten während Trumps Präsidentschaft tatsächlich mehr Geld in der Tasche. Das hat ebenso wenig mit Trumps Politik zu tun wie die Inflation mit Bidens, im Gegenteil: Joe Biden hat die Teuerung erfolgreich bekämpft, und mittlerweile ist die Inflation wieder zurückgegangen. Doch Fakten spielen bei dem Gefühl, unter Trumps Präsidentschaft besser gelebt zu haben, keine Rolle.
Warum Donald Trump 2024 gefährlicher ist, als er es 2016 war
Es wäre geschichtsvergessen, zu behaupten, dass Donald Trumps Wahlsieg 2016 nicht große Besorgnis ausgelöst hätte. Der Populismus, vor allem dessen rechtsgerichtete Spielart, griff um sich. Das Vereinigte Königreich hatte bei einem Referendum im Juni den Brexit, den Austritt aus der Europäischen Union, beschlossen, die entsprechende Kampagne war von Populisten wie Nigel Farage befeuert worden. Europa wurde 2016 von schweren islamistischen Terroranschlägen in Brüssel, Nizza und Berlin getroffen. Die Angst, dass das transatlantische Bündnis durch Trump geschwächt werden könnte, war real. Auch die NATO war bereits damals eine beliebte Zielscheibe Trumps.
Doch Trump war isoliert. Ein Teil seiner Partei opponierte gegen ihn, die Ministerien leisteten Widerstand gegen seine rabiaten Pläne, und Europas Staats- und Regierungschefs begegneten ihm fast ausnahmslos mit Skepsis.
2024 ist Trump alles andere als allein. Der Rechtspopulismus feiert in den Staaten der EU einen Wahlerfolg nach dem anderen, und die Chefs dieser Parteien gratulieren Trump überschwänglich. FPÖ-Chef Herbert Kickl postete auf der Social-Media-Plattform Instagram: „Die Amerikaner haben mit der selbstverliebten Politik der eiskalten Eliten ordentlich abgerechnet“ und wünschte dem neu gewählten Präsidenten „viel Kraft, Mut und Energie“.
Geert Wilders, dessen Rechtspartei PVV in den Niederlanden in der Regierung sitzt, zeigte sich auf X (Twitter) mit einer „Make America Great Again“-Kappe und textete dazu: „Patrioten gewinnen Wahlen überall auf der Welt!“ Alice Weidel, Co-Vorsitzende der Rechtsaußen-Partei „Alternative für Deutschland“, sagte: „Natürlich ist er ein Vorbild für uns!“ Wenn Rechte in europäischen Parlamenten Forderungen nach „Remigration“ erheben, muss sich Trump mit seinem Versprechen von Massendeportation nicht allein fühlen.
Auch Trumps Außenpolitik kracht 2024 mitten in hochbrisante Kriege, in die die USA mittelbar verwickelt sind. Der Konsens zwischen der EU und den USA, die Ukraine finanziell und militärisch gegen den Angriffskrieg Russlands zu unterstützen, ist in Gefahr. Trump und ein Teil der Republikanischen Partei haben kein Interesse daran, Geld in die Ukraine zu schicken. Sie sind Isolationisten und lehnen jegliches Engagement im Ausland ab, wenn es den USA keinen für sie ersichtlichen Vorteil bringt. Der Schutz eines demokratischen Staates vor einem autoritären Aggressor fällt nicht in diese Kategorie.
In Israel wiederum freut sich Ministerpräsident Benjamin Netanjahu und insbesondere der rechtsextreme Teil seiner Regierung über den Machtwechsel im Weißen Haus. Die aktuelle Administration unter Joe Biden hatte Netanjahu seit Langem zu einem Waffenstillstands-Deal mit der Hamas gedrängt, um die israelischen Geiseln zu befreien und den aus Sicht des Weißen Hauses zusehends fragwürdigen Krieg in Gaza zu beenden. Donald Trump will zwar auch ein baldiges Kriegsende, doch er wird Israel völlig freie Hand bei der Kriegsführung lassen, während Biden Einspruch gegen den Einsatz besonders massiver Bomben im dicht besiedelten Gebiet erhob.
Auch in den USA selbst ist Trump nicht zimperlich, wenn es gegen Leute und Institutionen geht, die er als „innere Feinde“ bezeichnet. In seiner ersten Amtszeit versagten ihm seine engsten Mitarbeiter den Gehorsam, wenn er rechtswidrige Dinge von ihnen verlangte. Eine besonders berüchtigte Szene schilderte Trumps ehemaliger Verteidigungsminister Mark Esper 2022 in einem Interview: Trump hatte Esper und Generalstabschef Mark Milley zu sich gerufen, weil ihm die teils gewalttätigen Proteste im Zusammenhang mit der Black-Lives-Matter-Bewegung ein Dorn im Auge waren. Im Zuge des Gesprächs fragte Trump, ob Esper und Milley nicht dafür sorgen könnten, dass man den Leuten „in die Beine schießen“ würde. Sie lehnten ab. Der Investigativjournalist Bob Woodward schreibt in seinem neuen Buch „Krieg“, dass der pensionierte General Milley bereits ernsthafte Sorge hat, von Trump wieder in den Dienst berufen und vor ein Militärgericht gestellt zu werden.
Donald Trump umgibt sich seit Langem mit Leuten, denen es im Gegensatz zu Milley, Esper und anderen zuzutrauen ist, Trump in seinen irrwitzigen Ideen zu bestärken. Elon Musk, als Unternehmer (Tesla, SpaceX, X) extrem erfolgreich, verehrt Trump als Heilsbringer und geriert sich politisch als wild gewordener Rechtslibertärer. Robert F. Kennedy, erst Präsidentschaftskandidat, ehe er zu Trumps Unterstützer mutierte, verbreitet gern Verschwörungsmythen. Er soll für Gesundheitsagenden zuständig sein, schließlich ist er ein verlässlicher Impfgegner.
Wer Trump etwas entgegensetzen kann
Wenn die Befürchtungen am schlimmsten sind, fallen die Überraschungen umso freudiger aus. Der Satz galt während Trumps erster Amtszeit, und es gibt keinen Grund, weshalb er sich nicht auch in der zweiten bewahrheiten sollte. Anfangs schienen alle im Team des Präsidenten eingeschworene Verbündete zu sein, doch als es heikel wurde, entpuppten sich viele als aufrechte Diener des Staates.
Etwa Mike Pence, Trumps Vizepräsident. Als Trump Pence vor dem ominösen 6. Jänner 2021 aufforderte, den verfassungsgemäßen Vorgang der Beglaubigung der Wahl Joe Bidens zu stoppen, widersetzte sich Pence der Anordnung seines Chefs. Draußen vor dem Kongress schrien die Randalierer „Hängt Pence“, doch der Vizepräsident weigerte sich, von den Personenschützern in Sicherheit gebracht zu werden, und blieb im Gebäude.
Wer sich im Ernstfall seines Eides auf die Verfassung besinnt, lässt sich nicht vorhersagen. Auch Trump weiß nicht, wessen Loyalität am Ende Grenzen hat. Die drei von Trump ausgewählten Mitglieder des Supreme Court, des Obersten Gerichtshofs der USA, werden oft verdächtigt, in jedem Fall gemäß den Wünschen des Mannes zu entscheiden, der sie ausgesucht hat, doch auch das ist nicht sicher. Sie sind auf Lebenszeit ernannt und deshalb nicht mehr von Trump abhängig.
Wie werden die Staats- und Regierungschefs mit Trump zurande kommen? Die ersten Reaktionen lassen darauf schließen, dass freundliche Sachlichkeit auf dem Plan steht. Man müsse „kühlen Kopf bewahren“, sagte Österreichs Außenminister Alexander Schallenberg, und so ähnlich äußerten sich auch seine deutsche Amtskollegin Annalena Baerbock und andere. Sie vertrauen darauf, dass einleuchtende Argumente auch gegenüber dem Kabinett Trump II Wirkung zeigen. Zum Beispiel der Einwand, dass das Einstellen der Hilfe für die Ukraine den desaströsen Nebeneffekt hätte, dass die USA gleich zu Beginn von Trumps zweiter Amtszeit gegenüber Putin als Loser dastünden. Das kann der Mann, der „Make America Great Again“ verspricht, nicht wollen. Oder?
Man wird sehen.
Robert Treichler
Ressortleitung Ausland, stellvertretender Chefredakteur
Siobhán Geets
ist seit 2020 im Außenpolitik-Ressort.