So long, Mr. President!

USA: Die Kongresswahlen könnten für Barack Obama zum Albtraum werden

USA. Die Kongresswahlen könnten für Obama zum Albtraum werden

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Die Geschichte spielt in Iowa, und sie beginnt mit einer Handvoll Hühner. An einem milden Frühlingstag liefen vier Hennen durch den Garten des Landhauses eines gewissen Bruce Braley. Braley ist Abgeordneter der Demokraten im US-Repräsentantenhaus in Washington. Dort repräsentiert er Iowa, diesen ländlichen, von endlosen Maisfeldern durchzogenen Bundesstaat, um dessen Einwohner jeder Präsidentschaftskandidat besonders engagiert buhlt. Iowa gilt als der erste Gradmesser jeder politischen Kampagne. Wer hier versagt, für den gibt es höchstwahrscheinlich auch anderswo wenig zu holen.

Inmitten der Einöde Iowas gackern vier Hühner, die aus der benachbarten Farm ausgebüchst waren und nun auf Bruce Braleys Anwesen durch die Gegend liefen. Braley veranlasste der zunehmende Gestank aus seinem Garten sehr bald dazu, die örtliche Vereinigung der Hauseigentümer über die unerwünschten Tiere auf seinem Anwesen zu informieren. Auch seinen Anwalt soll er eingeschaltet haben, wobei die Hennen letztlich aus freien Stücken von dannen zogen.

Die Geschichte wäre hier zu Ende, hätte nicht die Republikanische Partei von dem Vorfall Wind bekommen. Für sie nämlich sollten sich die Hühner im Garten des Demokraten noch als Segen herausstellen.

Denn am 4. November stimmen die amerikanischen Bürger über die Zusammensetzung des Kongresses ab, dem Parlament der USA in Washington DC. Zur Wahl stehen die 435 Abgeordneten des Repräsentantenhauses (dem Unterhaus) sowie 33 der insgesamt 100 Senatoren (Oberhaus).

Dem Gros der Umfragen nach haben die Republikaner gute Chancen, die Wahlen in beiden Kammern des Kongresses zu gewinnen. Wobei vor allem das Rennen um die Mehrheit im Senat als knapp gilt. Und der Bundesstaat Iowa, für das der Abgeordnete Bruce Braley bei den kommenden Wahlen als Senator antritt, stellt sich einmal mehr als eines der am meisten umkämpften Gebiete heraus.

Monatelang hatten die Republikaner dort vergeblich versucht, den in den Umfragen führenden Braley einzuholen. Braley galt als starker Kandidat. Bis die Hühner auftauchten.

Die Spindoktoren der Konservativen griffen den Vorfall auf und bliesen ihn zur sogenannten „Hühner-Affäre“ auf. Sie stellten eine Seite ins Internet, auf der die Geschehnisse so minutiös wie möglich nacherzählt wurden, verteilten Goodies mit Hennen darauf, drehten Videoclips und druckten Plakate, die alle dieselbe Botschaft beinhalteten: Der abgehobene Braley hätte erst einmal seine teuren Anwälte aus Washington angekarrt, anstatt „wie ein echter Einwohner Iowas“ an die Tür der Nachbarn zu klopfen.
Mittlerweile liegt der Demokrat Braley in den Umfragen drei Prozentpunkte hinter seiner republikanischen Gegnerin Joni Ernst zurück.

Es sind scheinbar banale Vorfälle wie die „Hühner-Affäre“, die am 4. November den Ausschlag geben könnten, ob der künftige Kongress von den Republikanern dominiert wird – und ob den Demokraten und allen voran Präsident Barack

Obama in den beiden letzten Jahren seiner Amtszeit das Regieren unmöglich gemacht wird. profil spielt Obamas Albtraumszenario in sechs Akten durch.

Albtraum 1: Die Republikaner gelten plötzlich wieder als wählbar

Vergangenen Juli wurden registrierte Wähler im Auftrag der Washingtoner Tageszeitung „The Hill“ befragt, wem sie bei der Präsidentschaftswahl 2016 ihre Stimme geben würden. Nun stehen noch keine Kandidaten offiziell fest, die Befragten konnten sich daher nur für jene Personen entscheiden, deren Namen bisher gefallen sind: Hillary Clinton etwa für die Demokraten und, für die Republikaner, acht der 15 immer wieder ins Spiel gebrachten Anwärter. Das Ergebnis: Selbst unter den republikanischen Anhängern lag die Demokratin Clinton sieben Prozentpunkte vor dem nachfolgenden republikanischen Kandidaten (Senator Rand Paul).

Das Ergebnis zeigt: Es ist noch gar nicht so lange her, dass sich die Republikaner in der schwersten Krise ihrer Geschichte befanden. Als im vergangenen Oktober eine Gruppe von rund 25 stockkonservativen Tea-Party-Anhängern 16 Tage lang einen „Government Shutdown“ (Schließung von Behörden und öffentlichen Stellen) erzwangen und die USA beinahe an den Rand der Zahlungsunfähigkeit brachte, hatten nur mehr blamable 28 Prozent der Amerikaner eine positive Meinung von der „Grand Old Party“ (GOP) – der schlechteste jemals von Gallup verzeichnete Wert. Inzwischen hat sich der Wert auf 38 Prozent eingependelt. Die Republikaner leiden weiterhin an ihrem Image als verkrustete, reaktionäre „zanksüchtige Truppe“ („Washington Post“).

Warum sollte also genau dieselbe Partei nun die Kongresswahlen gewinnen?

Antwort: Seit Monaten schon hat Fraktionsvorsitzender John Boehner seine Abgeordneten unter Kontrolle. Und seitdem sich die Republikaner aus dem Schussfeld genommen haben, steht das Weiße Haus im Zentrum der öffentlichen Erregung. Nur mehr 28 Prozent der Amerikaner sind laut einer Pew-Umfrage mit der Arbeit des Parlaments zufrieden, gerade einmal sieben Prozent haben Vertrauen in die Abgeordneten. Allerdings: Die Wut richtet sich nicht dezidiert gegen die Konservativen, sondern ganz allgemein gegen Washington – und damit undifferenziert gegen alle.

Albtraum 2: Die Republikaner gewinnen die Wahlen tatsächlich

Vom amerikanischen Statistik-Guru Nate Silver bis hin zur Washingtoner Polit-Bibel „Politico“ sind sich alle in ihren Prognosen einig: Die Demokraten könnten weitere Verluste erleiden. Präziser: Die „Grand Old Party“ hat eine 56,4-prozentige Chance (laut Silvers Umfrage-Seite „FiveThirtyEight“), die Wahlen im Senat für sich zu gewinnen. Nachdem die Demokraten bereits bei den Kongresswahlen im Jahr 2010 im Repräsentantenhaus eine herbe Niederlage erlitten und seither auch im Senat nur knapp die Mehrheit halten konnten, drohen sie nun auch das Oberhaus im Parlament zu verlieren. Im Repräsentantenhaus hingegen dürfte sich an den Verhältnissen wenig ändern.

Im Senat hingegen, wo jeder der 50 Bundesstaaten durch zwei Senatoren vertreten ist, wird dieses Jahr über ein Drittel der Senatoren abgestimmt. Von den 33 heuer zur Wahl stehenden Senatoren sind 21 Demokraten, was bedeutet: Die Demokraten haben mehr zu verlieren. Drei der zur Wahl stehenden demokratischen Senatoren stammen darüber hinaus auch noch aus traditionell eher republikanisch geneigten Bundestaaten: West Virginia, South Dakota, Montana. Sechs weitere bisher von den Demokraten gehaltene Sitze im Senat gelten als hart umkämpft: Arkansas, Louisiana, North Carolina, Alaska und Colorado – und eben Iowa.

Die Republikaner wiederum zittern vor allem um zwei Staaten, die umschwenken könnten: Kentucky und Georgia. Momentan stellen die Demokraten mit 53 Sitzen die Mehrheit in der oberen Kammer des Parlaments, die Republikaner halten 45 Sitze, zwei gehen an Unabhängige. Letztlich reicht es also für eine Mehrheit, wenn die Republikaner den Demokraten mindestens sechs Sitze abnehmen – dann stünde es 51 zu 49 für die GOP.

Albtraum 3: Obama ist noch unbeliebter als die Republikaner

Zwar versuchen die Republikaner verbissen, ihren Ruf als erzkonservativer Haufen weißer, älterer Männer loszuwerden, bis dato bekommen sie jedoch weiterhin keinen Fuß auf den Boden, wenn es darum geht, außerhalb dieser Gruppe nach Wählern zu fischen. Im Umgang mit dem Internet beispielsweise tun sich Republikaner noch immer schwer: Mit der Kampagne, die unter dem Slogan „Republicans are People, too“ in den sozialen Netzwerken lief, sollten Anhänger dazu animiert werden, Selfies ins Netz zu stellen, um sich als vielfältige Partei zu präsentieren. Blöd nur, dass sich herausstellte, dass die Bilder der afro-amerikanischen, „New York Times“-lesenden und Hybrid-Auto-fahrenden angeblichen GOP-Mitglieder aus dem Fundus einer Bildagentur für lizenzfreie Fotos stammten.

Allerdings brauchen sie diese Bevölkerungsschichten bei dieser Wahl gar nicht. Midterms locken jeweils nur ein Drittel der Wahlberechtigten an die Urne, 2010 waren es 37,8 Prozent. Und eines liegt den Republikanern ziemlich gut: die Mobilisierung der eigenen Wähler. Die Demokraten hingegen haben zusehends Schwierigkeiten damit, ihr Elektorat zur Urne zu locken. Die Massen, die Obama 2012 zum Sieg verholfen haben, sind wahlmüde geworden: Frauen, Junge, Hispanics, Afro-Amerikaner. Genau diese aber gehen in der Regel weniger enthusiastisch an die Urne als ältere, weiße Männer, die die Kernschicht der GOP-Wähler stellen. Außerdem dienen die Midterm-Wahlen den Amerikanern traditionell meist dazu, den Mann im Weißen Haus abzustrafen. Und nicht nur die Republikaner, auch Obama leidet unter einem veritablen Imageproblem: Obama ist so unpopulär wie kein Präsident vor ihm seit 16 Jahren, und ganz besonders unbeliebt ist er bei den Bürgern des republikanisch-geprägten Südens, und damit ausgerechnet in jenen Bundesstaaten, in denen der Kampf um den Senat entscheidend ist.

Albtraum 4: Selbst die Demokraten machen Wahlkampf gegen Obama

Beispiel Iowa: 2008 begann Präsident Obama mit seinem dortigen Sieg in den Vorwahlen seinen Triumph, der ihn schließlich ins Weiße Haus führte. Und heute, vom „Hühner-Vorfall“ geschwächt, will ihn Bewerber Braley dort nicht sehen. Der unbeliebte Präsident soll in den entscheidenden Wochen möglichst nirgendwo aufscheinen, weshalb unter anderem die demokratischen Senatoren in Colorado, North Carolina und Virginia Wahlkampfauftritte mit Obama abgelehnt haben. Und auch zu Wort melden soll Obama sich nicht, wenn es um die Zwischenwahlen geht. Lange hat er sich daran gehalten. Einmal nur machte Obama eine Ausnahme: Als er Anfang Oktober in seinem Heimatstaat Illinois bei einer Rede vor Studenten sagte, dass mit der Wahl auch seine Politik zur Abstimmung stehe, stürzten sich die Republikaner umgehend auf die Aussage. Die Demokraten gingen auf Distanz zum Präsidenten, und Obamas langjähriger Berater David Axelrod musste im Fernsehen einräumen, dass diese Bemerkung „ein Fehler“ gewesen sei.

Der einst so messianisch gefeierte Obama hängt den Demokraten wie ein Mühlstein am Hals. Von seiner ehemaligen Außenministerin Hillary Clinton – die die anfängliche Zurückhaltung des Präsidenten im Syrien-Konflikt als „dumm“ und „einen Fehler“ bezeichnet hat – bis hin zu seinem ehemaligen Verteidigungsminister Leon Panetta, der Obama in seiner Autobiografie für den Aufstieg der IS-Miliz mitverantwortlich macht. Die Querschüsse aus den eigenen Reihen auf den Präsidenten häufen sich. Politische Kommentatoren witzelten angesichts der im vergangenen Monat ans Tageslicht gelangten Sicherheitsmängel im Weißen Haus, der Präsident sei durch das „Friendly Fire“ aus der eigenen Partei stärker gefährdet als durch Eindringlinge von außen. Die demokratische Kandidatin für den Senat Alison Lundergran ließ gar einen Werbespot senden, der sie mit Gewehr und Schussweste zeigt, während sie folgende Worten sagt: „Ich bin nicht Barack Obama. Ich stimme mit ihm nicht überein, wenn es um Waffen, Kohle, Umweltschutzbehörde geht.“

Albtraum 5: Der 4. November ist für Obama der Anfang vom Ende

„Den Demokraten dämmert es allmählich, dass Obamas Präsidentschaft so gut wie gelaufen ist, und nun benehmen sie sich auch so“, resümiert die Tageszeitung „Washington Post“. Seit vier Jahren schon arrangiert sich Obama mit dem sogenannten Divided Government, einer Art Minderheitsregierung, die nur mehr im Senat über eine Mehrheit verfügt. Gewinnen die Republikaner den Senat, müsste Obama gegen beide Häuser regieren. Seine Agenda hat Obama in den vergangenen Jahren vor allem gegen die Opposition und nicht mit ihr durchgebracht. Die Stimmung zwischen Obama und den republikanischen Abgeordneten ist seit Jahren derart unterkühlt, dass im Kongress kaum bedeutende Gesetze mehr zustande kommen. Der derzeitige, 113. Kongress gilt als der unproduktivste aller Zeiten: Gerade einmal 108 maßgebliche Gesetze haben die Abgeordneten seit Beginn dieser Legislaturperiode im Jänner 2013 bis vergangenen Juli verabschiedet. Das ist ein Drittel weniger als das, was in den vergangenen acht Legislaturperioden im Durchschnitt vom Parlament beschlossen wurde.

Von seinem Veto-Recht machte der Präsident bisher nur zwei Mal Gebrauch, was vor allem daran liegt, dass die meisten Gesetzesanträge der Republikaner, die aus dem Unterhaus kamen, es nicht einmal bis an Obamas Schreibtisch schafften, da sie bereits vom Senat abgeschmettert wurden.

Verlieren die Demokraten die Mehrheit im Senat, sind größere Gesetzesprojekte in den letzten beiden Jahren im Amt ausgeschlossen. Die von Obama als zentrales Projekt seiner zweiten Amtszeit bezeichnete Einwanderungsreform etwa, die bisher zwar eine Kompromissmehrheit im Senat hatte, aber nicht durchs Repräsentantenhaus kam, müsste er wohl begraben. Zwar kündigte Obama an, wegen der Blockadehaltung der oppositionellen Republikaner seine Vorhaben durchaus so oft wie nötig und womöglich per Verfügung – sprich: am Kongress vorbei – zu verwirklichen. Dass der Präsident damit seine Befugnisse übertrete und die Verfassung missachte, kritisieren dabei aber nicht nur Republikaner.

Albtraum 6: Das Kapitel Obama fällt in den Geschichtsbüchern wenig schmeichelhaft aus

Es sind zwei Szenarien, die politische Beobachter aufzeigen, wenn sich die Frage nach Obamas politischem Vermächtnis stellt. Entweder er erleide dasselbe Schicksal wie Ex-Präsident Harry Truman oder wie jenes von Jimmy Carter. Carter stolperte über eine Reihe von Desastern, von der Geiselnahme im Iran bis hin zur sowjetischen Intervention in Afghanistan – und gilt bis heute als einer der schlechtesten Präsidenten in der Geschichte Amerikas. Truman hingegen schied als unbeliebtester US-Präsident aller Zeiten aus dem Amt – und gilt dennoch dank wichtiger, langfristig gesetzter Entscheidungen wie dem Marshallplan, dem großen Wirtschaftswiederaufbau-Programm der USA in Westeuropa, als einer der besten Präsidenten im 20. Jahrhundert.

Inzwischen ist klar, dass Barack Obama die Kriege im Mittleren und Nahen Osten nicht wie angekündigt beenden wird, sondern seinem Nachfolger oder seiner Nachfolgerin auch noch das Monstrum „Islamischer Staat“ hinterlassen wird. Der Kampf gegen die IS-Terroristen erhöht nicht eben die Chancen, in der zweiten Amtszeit noch etwas Geschichtsträchtiges zu erreichen.
Vielleicht muss man die Frage nach Obamas Platz in den Geschichtsbüchern mit etwas mehr Weitsicht stellen: 40 Millionen Amerikaner waren bei Obamas Amtsantritt ohne Gesundheits-Versicherungsschutz – einzigartig für ein westliches Industrieland. Mehrere Präsidenten waren seit den 1940er-Jahren an diesem Vorhaben gescheitert. Die Gesundheitsreform war das Prestigeobjekt seiner ersten Amtszeit, doch aus dem erhofften großen Wurf wurde eine politische Bürde, die dazu führte, dass die Demokraten 2010 die Mehrheit im Repräsentantenhaus verloren. Zwar setzen die Republikaner weiterhin alles daran, das Gesetz zu zerlöchern, immerhin aber meldeten sich sieben Millionen Amerikaner bis zum Ende der Frist für die „Obamacare“ genannte Versicherung an, was knapp über den Erwartungen lag.

Vielleicht also wird Obama einmal das Schicksal von Ex-Präsident Lyndon Johnson teilen: Johnsons Umfragewerte waren so mies, dass er sich gegen eine zweite Kandidatur entschied – doch mit seiner Unterschrift im „Civil Rights Act“ von 1964, das die Rassentrennung in den USA beendete, ist ihm ein Platz in der Geschichte sicher. Obama ist nicht nur selbst das Symbol der Emanzipation der Afro-Amerikaner in den USA. Er könnte vor allem dank der Gesundheitsreform auf ein historisches Vermächtnis spekulieren.