Wie die Demokraten in die Krise schlitterten
Von Siobhán Geets
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Es war der Jetlag, die vielen Reisen, er sei auf der Bühne fast eingeschlafen – so erklärt US-Präsident Joe Biden im Nachhinein das Debakel bei der ersten Fernsehdebatte gegen Donald Trump. Biden wirkte dabei wie ein tattriger Greis, er starrte lange ins Leere und verlief sich in den Sätzen. Einige Male war unklar, was Biden überhaupt sagen wollte. In einer Blitzumfrage des Senders CNN erklärten 67 Prozent Trump zum Gewinner. Unter den Demokraten herrscht seither blanke Panik. Und die Debatte darüber, ob Biden nicht doch einem jüngeren Kandidaten Platz machen sollte, ist in der Mitte der Partei angekommen. Etliche Parteifreunde fordern ihn dazu auf, auch die „New York Times“ bat Biden in einem Leitartikel, auf eine erneute Kandidatur zu verzichten.
Doch einen vernünftigen Plan B für eine Alternative zum ältesten US-Präsidenten aller Zeiten scheinen die Demokraten nicht zu haben. Wie konnte es so weit kommen?
Endlich Präsident
Jahrzehntelang stand Joe Biden in der zweiten Reihe – zuerst als Senator für Delaware (1973 bis 2009), dann als Vizepräsident unter Barack Obama (2009 bis 2017). Bereits 1988 und 2008 hatte er sich um die Nominierung der Demokraten für das Präsidentenamt beworben, im Jahr 2020 war es dann so weit – und Biden schlug Amtsträger Donald Trump mit 51,3 Prozent der Stimmen.
Joe Biden als „Brücke“
Gegenüber seinen Beratern sagte Biden vor der Wahl von 2020, er würde nur eine Amtszeit dienen – als eine Art „Brücke“, bis ein jüngerer Kandidat übernehmen könne. „In vier Jahren ist Biden 82 Jahre alt, er wird nicht erneut kandidieren“, sagte ein Insider damals gegenüber dem US-Magazin „politico“. Als seine natürliche Nachfolgerin platzierte Biden Vizepräsidentin Kamala Harris.
Die unsichtbare Vizepräsidentin
Mit Harris hat Joe Biden eine (relativ) junge, schwarze Frau an seiner Seite. Sie half im Match gegen Trump bei der Mobilisierung von Wählern. Doch Harris blieb weit hinter den Erwartungen zurück, mittlerweile ist sie sogar noch unbeliebter als Biden. Harris ist kaum sichtbar, und tritt sie doch einmal auf, wirken ihre Reden einstudiert. Den Demokraten ist es nicht gelungen, die 59-Jährige als Nachfolgerin Bidens aufzubauen.
Zwischensieg
Bei den Zwischenwahlen im November 2022 bleibt der erwartete Durchmarsch der Republikaner aus. Zwar übernehmen sie die Kontrolle im Repräsentantenhaus, doch im Senat können die Demokraten ihre Mehrheit halten. Es ist das beste Ergebnis für die Partei eines amtierenden Präsidenten bei einer Zwischenwahl seit mehr als 20 Jahren. Der Erfolg wird in erster Linie Biden zugeschrieben, für sein Team ist es ein Zeichen dafür, dass der Kurs stimmt – und seine parteiinternen Kritiker verstummen, zumindest vorerst.
Kritiker unerwünscht
Doch im Hintergrund schwelen die Zweifel wegen Bidens fortgeschrittenem Alter weiter. Zwar sind die „Biden gaffes“, seine Ausrutscher, schon lange berühmt. Doch während seiner Präsidentschaft treten sie immer häufiger auf. In den vergangenen Jahren forderten Kongressabgeordnete und Berater, darunter der ehemalige Chefstratege Obamas David Axelrod, Biden dazu auf, vor den Wahlen von 2024 Platz für einen jüngeren Kandidaten zu machen. In den sozialen Medien ergießt sich eine Welle der Empörung über sie, hochrangige Demokraten werfen den Kritikern fehlende Loyalität vor.
Keine Herausforderer
Immer mehr demokratische Wähler wollen vor den Wahlen von 2024 einen neuen Kandidaten sehen – Mitte 2022 halten 64 Prozent Biden für zu alt für eine zweite Runde. Potenzielle Kandidaten gibt es genug, darunter Gavin Newsom, Gouverneur von Kalifornien, und Gretchen Whitmer, Gouverneurin von Michigan (Bild). Im Jahr 2022 tritt Dean Phillips, Kongressabgeordneter aus Minnesota, der sich offen gegen eine erneute Kandidatur Bidens ausspricht, an Whitmer und andere mögliche Kandidaten heran. Er will sie überzeugen, es zumindest zu versuchen. Doch keiner will Biden bei den Vorwahlen der Demokraten herausfordern.
Sieg ohne Gegner
Im Februar 2024 gewinnt Biden die parteiinternen Vorwahlen der Demokraten mit rund 99 Prozent der Stimmen – ernst zu nehmende Konkurrenten waren nicht angetreten. Damit ist es nahezu unmöglich geworden, Biden als Kandidaten der Demokraten bei den Präsidentschaftswahlen zu ersetzen. Nur er selbst kann sich jetzt noch dazu entscheiden.
Die Pension kann warten
Doch der Präsident denkt gar nicht daran, sich in seine Heimat Delaware zurückzuziehen. Offenbar haben seine Erfolge ihn von den ursprünglichen Pensionsplänen abgebracht. Lob erhält Biden vor allem für seine billionenschweren Investitionspakete. Unter den Demokraten hält sich die Meinung, dass nur er Trump ein zweites Mal besiegen kann.
Joe im Kokon
Der engste Kreis um Joe Biden ist denkbar klein: einige wenige langjährige Berater sowie Bidens Familie. In den vergangenen Jahren haben sie einen regelrechten Kokon um Biden gesponnen, um ihn von der Außenwelt abzuschirmen – und so seine Schwächen vor der Öffentlichkeit zu verbergen. Kein US-Präsident hat weniger Medieninterviews gegeben als Biden, und auch die Kontakte zu seiner Partei sind abgekühlt: So hat er sich laut dem Sender NBC in der Woche nach der Fernsehdebatte weder beim demokratischen Mehrheitsführer im Senat Chuck Schumer noch beim Führer der Demokraten im Repräsentantenhaus Hakeem Jeffries gemeldet.
Jill Biden
Laut Insidern drängt vor allem Bidens Ehefrau Jill darauf, weiterzumachen. Sie hat stets eine passende Ausrede für die Aussetzer Bidens – er war verkühlt, die Fragen waren falsch gestellt, seine Berater sind schuld – und kontrolliert angeblich sogar den Terminkalender des Präsidenten. Die Zeitschrift „Vogue“ ließ Jill Biden nach der Debatte zwischen Biden und Trump wissen: „Wir werden nicht zulassen, dass diese 90 Minuten seine vier Jahre als Präsident definieren.“ Offenbar will Jill Biden First Lady bleiben: „Wir werden weiterkämpfen.“
Siobhán Geets
ist seit 2020 im Außenpolitik-Ressort.