Albanien

Vögel oder Touristen: Wer darf hier landen?

Jahrhundertelang segelten Pelikane und Flamingos in die Narta-Lagune in Südalbanien. Jetzt baut Behgjet Pacolli, einer der reichsten Unternehmer auf dem Balkan, einen Flughafen. Ein erbitterter Kampf zwischen Mensch und Natur hat begonnen.

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Das Café von Milika ist leer, kein einziger Tisch besetzt. Nur ihr Nymphensittich Çipi kreischt und klackert mit dem Schnabel gegen die Stäbe seines Käfigs. Der gelbe Papagei leistet Milika in der Langeweile Gesellschaft. „Ich habe heute nur zehn Kaffee verkauft“, klagt sie.

Milika, eine Frau um die fünfzig Jahre, lebt in Pojan, einem kleinen Dorf in Südalbanien, wenige Kilometer von der Adriaküste entfernt. Ihr Café hat sie nach ihrem Sohn „Ylli“ benannt, der wie so viele in dem Dorf, ins Ausland migriert ist. „Sie gehen nach Deutschland, in die Niederlande oder nach England“, seufzt seine Mutter.

Milika ist zurückgeblieben und wartet auf Touristen. Wenige Minuten von ihrem Café entfernt liegt „Apollonia“, eine Ausgrabungsstätte aus der Antike, benannt nach dem gleichnamigen, griechischen Gott. Trotz dieses Schatzes bleibe ihr Dorf arm. „Hier gibt es keine Arbeit“, sagt sie.

Jetzt kommt ein Flughafen

Doch unweit von Milikas Café entsteht etwas, dass der Frau Hoffnung macht. Behgjet Pacolli, Kosovos ehemaliger Außenminister und einer der reichsten Geschäftsmänner auf dem Balkan, ist dabei, einen hochmodernen Flughafen zu errichten. Pacolli, ein Kosovo-Albaner mit Schweizer Pass, hat mit seiner Firma „Mabetex Group“ Großbauten auf der ganzen Welt errichtet und unter anderem den Kreml in Moskau renoviert. Sein Flughafen in Albanien soll 27.000 Jobs schaffen und neue Touristen in das kleine Land mit knapp drei Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern locken.

Die Café-Besitzerin Milika findet das gut. Albanien habe wunderschöne Flüsse und Berge, schwärmt sie, aber es fehle an der Infrastruktur. Kroatien im Norden hat acht Flughäfen, Griechenland im Süden über 30. Albanien hat einen Großflughafen. Reicht das?

Nein, glaubt die albanische Regierung. Premierminister Edi Rama hat sich zum Ziel gesetzt, aus seinem Land einen „Tourismus-Champion“ auf dem Balkan zu machen. Der Flughafen ist eines seiner Wahlversprechen. „Wir sind optimistisch, dass die ersten Flugzeuge Ende 2024 landen können“, kündigte Rama an.  

Eine natürliche Tankstelle für Vögel

Doch Edi Rama hat sich auf ein schwieriges Terrain begeben. Der Flughafen entsteht mitten in einem Vogelschutzgebiet, bekannt unter dem Namen: Narta-Delta. Ein Delta ist der Übergang zwischen einem Fluss und dem Meer. Durch dieses Wechselspiel entstehen einzigartige Lebensräume: Dünen, Lagunen, Brackwasserteiche. Das Narta-Delta gilt als eines der wichtigsten Küstenfeuchtgebiete an der Adria. Über 200 verschiedene Vogelarten wurden hier dokumentiert, darunter Rosaflamingos, die im seichten Wasser ideale Bedingungen finden, um Krebse und Garnelen zu fressen. Dazu kommt der extrem seltene Krauskopfpelikan, der in Europa nur noch in einer Handvoll Ländern vorkommt.

Fragt man Milika in ihrem Café nach den Vögeln, winkt sie ab. Die seien weit weg vom Flughafen, sagt sie vage. Ihrem Papagei im Käfig wirft sie Kussmünder zu, über die frei fliegenden Vögel vor der Haustüre hat sie kaum Informationen.

Dabei kommen Wissenschaftler aus aller Welt in das Delta, um die Vielfalt zu dokumentieren. Einer von ihnen ist der österreichische Zoologe Peter Sackl, der seit über zwanzig Jahren Küstenfeuchtgebiete auf dem Balkan erforscht. „Es hat mich immer interessiert, wohin unsere Vögel verschwinden, wenn sie im Herbst fortziehen und beispielsweise den Neusiedlersee verlassen“, sagt er.

Die Antwort hat der Forscher ausgerechnet auf jenem Stückchen Land gefunden, wo der Flughafen entstehen soll. Was in Albanien geschehe, gehe die ganze Welt etwas an: „Vogelpopulationen zwischen dem russischen Eismeer und der westafrikanischen Küste werden unter dem Flughafen zu leiden haben.“ Die Gründe dafür liegen im Vogelzug. Vögel migrieren und das oft über tausende Kilometer hinweg.

Im Wechsel der Jahreszeiten überqueren sie Kontinente und Zeitzonen, fliegen von Westafrika über die Sahara und ziehen weiter bis nach Sibirien oder Russland. „Die Narta-Lagune an der Adria ist ein Ort, an dem sie sich von ihren weiten Wanderungen erholen, um sich Reserven anzufressen“, sagt Peter Sackl. Aus seiner Sicht liegt in dem Gebiet bereits ein Flughafen, nur eben nicht für Menschen, sondern für Vögel.  

Vogelpopulationen zwischen dem russischen Eismeer und der westafrikanischen Küste werden unter dem Flughafen zu leiden haben

Peter Sackl, Zoologe aus Österreich

„Die Narta Lagune ist eine Art natürliche Tankstelle“, sagt auch Joni Vorpsi, „Vögel nutzen diesen Ort seit Jahrhunderten.“ Vorpsi, 28 Jahre alt, arbeitet für „PPNEA“, die älteste und größte Umweltorganisation in Albanien. Der junge Mann aus Tirana ist zum Gesicht des Widerstands gegen den Flughafen geworden. Er ist ein ruhiger Typ, der Stunden damit verbringt, Nester zu suchen oder seltene Vogelarten zu fotografieren. Diese ruhigen Zeiten sind vorbei. Heute hat Vorpsi gemeinsam mit anderen Umweltschützern seine eigene Regierung sowie einen der einflussreichsten Geschäftsmänner auf dem Balkan verklagt.

Die Narta Lagune ist eine Art natürliche Tankstelle

Joni Vorpsi, Vogelschützer aus Albanien

Die Landebahn ist schon da

An einem Freitagnachmittag Ende Juli brettern im Minutentakt tonnenschwere LKWs über die unbefestigte Straße in Richtung Küste, mitten in das Delta hinein. Die Fahrzeuge wirbeln viel Staub auf, der auf den Feldern links und rechts als feine Schicht liegen bleibt. Trotz der Verschmutzung und des Lärms gibt es unter den Bewohnerinnen und Bewohnern, die rund um die Lagune leben, kaum Widerstand gegen das Projekt. Ackerbau ist harte Arbeit. Das Salz im Boden macht die Erde wenig ertragreich. Noch hat der Bau der Terminals nicht begonnen. Fertig ist lediglich die drei Kilometer lange Landebahn. Laut dem Umweltaktivisten Joni Vorpsi liegt sie nur wenige hundert Meter von Nestern entfernt. Vögel, die zu den nahegelegenen Salzsalinen segeln wollen, drohen, mit ankommenden Flugzeugen zu kollidieren.

Hinter dem Bau steht die Firma „Mabco Constructions SA“, eine Tochter der „Mabetex Group“ mit Sitz in der Schweiz. Mabetex wiederum gehört Behgjet Pacolli, dem kosovarischen Geschäftsmann.

Pacollis Wirtschaftsberater hat sich bereiterklärt, einige Fragen zu beantworten. Profil ließ ihm diese per Mail zukommen. Was sagt Pacolli zu den Vorwürfen? Hat er Bedenken, dass die Vögel den Flugverkehr gefährden könnten?

Bis zu Redaktionsschluss kam keine Antwort. 

Auf der Webseite der Firma heißt es nur: „Der Flughafen markiert für Albanien einen unglaublich wichtigen Weg zur Entwicklung seiner geostrategischen Position in der Region und seiner Bestrebung, die Tourismusbranche zu entwickeln.“

Um mehr herauszufinden muss man sich mit den Dokumenten zufriedengeben, die Anwälte zusammengetragen haben. In Tirana kämpft ein ganzes Team von Juristen gegen den Flughafen. Bezahlt werden sie von der Naturschutzorganisation „Euronatur“. Einer der Anwälte ist der Albaner Dorian Matlija. Er sagt: „In einem funktionierenden Rechtsstaat würden wir gewinnen.“

Laut Anwälten ist der Bau illegal

Aus Sicht des Anwalts ist der Bau rund um die Lagune illegal. Das EU-Parlament und die EU-Kommission haben den Flughafen wiederholt kritisiert. Albanien ist EU-Beitrittskandidat. Im letzten Fortschrittsbericht der Kommission heißt es, dass der Flughafen „die Umwelt, sowie die Lebensräume von Zugvögeln und anderen Arten“ bedrohe. Auch die Berner Konvention, eines der wichtigsten Naturschutzübereinkommen zum Schutz der Biodiversität in Europa, hat den Flughafenbau im März 2023 scharf kritisiert. 

Für den Anwalt Matlija ist der Flughafen ein Paradebeispiel dafür, wie sich die albanische Regierung über Verwaltungsabläufe, nationale Gesetze und internationale Konventionen hinwegsetze. Eben diese Rechtsstaatlichkeit spielt im EU-Beitrittsprozess eine zentrale Rolle. Der Flughafen ist also, wenn man so will, höchst politisch.

„Als Rama und Pacolli die Baustelle am 28. November 2021 eröffneten, gab es noch gar keine Baugenehmigung“, sagt Matlija, „diese kam erst im Februar diesen Jahres.“ Das bedeutet, dass über ein Jahr lang illegal gebaut wurde. Das zweite Problem: Der Flughafen entsteht in einem Schutzgebiet. Also ließ die Regierung per Verordnung die Grenzen neu ziehen. Mitten im Delta klaffen zwei Löcher, die – wie mit dem Lineal gezogen – aus der Schutzzone herausgeschnitten wurden.

Der Anwalt Matlija hat im Namen zweier Umweltorganisationen, darunter „PPNEA", zwei Klagen eingereicht. Sie richten sich gegen mehrere Ministerien sowie die Firma von Behgjet Pacolli. Doch die Gerichte schieben die Klage hin und her wie eine heiße Kartoffel. Jeder Richter und jede Richterin wisse, wie hochpolitisch der Fall sei, meint Matlija.

In einem funktionierenden Rechtsstaat würden wir gewinnen

Dorian Matlija, Anwalt

Der Masterplan: Yachten, Weinfelder und Strände

Es gibt einen Grund, warum Rama das Projekt so wichtig ist. Es liegen bereits Pläne vor, die eine touristische Nutzung der gesamten Lagune im Blick haben: Strände, Hotels, Weinfelder und ein eigener Yacht-Hafen. Im Entwicklungsplan, der profil vorliegt, ist von einem „einzigartigen“ und „privaten“ Ressort die Rede.  

All das ist in der albanischen Öffentlichkeit kaum Thema. Die Regierung muss sich nicht rechtfertigen und dafür gibt es einen Grund: Der Flughafen ist populär.

„Der Flughafen in Tirana ist schon jetzt überfüllt“, sagt Ismail Hoxha, der eine Tourismus-Agentur gegründet hat und unter anderem Musik-Festivals an der Küste organisiert. Seine Gäste landen auf Korfu, erzählt er, und nehmen dann die Fähre ans albanische Festland. „Es ist an der Zeit, neue Wege in das Land zu öffnen. Der Flughafen wird Menschen bringen, die nur ein paar Tage oder eine Woche bleiben möchten.“

Auch Menschen, die in der Diaspora leben, nehmen den Flughafen als Chance wahr. Unter ihnen ist Erjona, eine Albanerin, die vor wenigen Monaten nach Deutschland ausgewandert ist, um als Pädagogin zu arbeiten. „Der Flughafen ist eine Errungenschaft für Albanien“, sagt sie, „nicht nur für Touristen, sondern auch für Auswanderer wie mich, die ihre Familie besuchen wollen.“

Und die Vögel? Ismail, dem Touristiker, sind sie nicht egal:  „Wenn du mich fragst, ob wir einen Flughafen im Süden brauchen, dann sage ich definitiv Ja. Wenn du mich fragst, ob er in einer Schutzzone gebaut werden soll, dann ist meine Antwort Nein.“

 

Gab es keine Alternative? Doch.

Hätte man den Flughafen nicht auch wo anders bauen können? Die Antwort auf diese Frage führt ein letztes Mal in das Büro des Anwalts Dorian Matlija. Er hat Zugang zu allen, im Gerichtsprozess relevanten Dokumenten. Diese zeigen: Vor dem Baubeginn wurden mehrere Alternativen geprüft, die abseits der Schutzzone liegen, darunter die Orta Levan, Kaferaj und Risili. „Alle drei wären gute Optionen gewesen“, sagt der Anwalt, „aber der Knackpunkt waren die Eigentumsverhältnisse. Der Staat hätte die Besitzer entschädigen müssen.“ Matlija versteht nicht, warum das ein Problem sein sollte: „Der Preis für einen Quadratmeter liegt in Albanien bei drei bis vier Dollar.“

Am Ende geht es im Fall der Narta-Lagune um mehr als nur um Ökologie und das Verschwinden der letzten Vogelhabitate an der Adria. Es geht um die Frage, wie sich ein armes Land dem Tourismus öffnet. Noch liegen in Albanien die letzten, unbebauten Küstenabschnitte am Mittelmeer. Aber sie weichen mehr und mehr dem Bauboom.

Dabei hatte die Regierung unlängst eine Entscheidung zugunsten der Natur getroffen. Nach einem jahrelangen Kampf von Umweltaktivisten, dem sich auch der Schauspieler Leonardo di Caprio sowie die US-amerikanische Outdoor-Bekleidungs-Firma „Patagonia“ anschlossen, gab Edi Rama im vergangenen Sommer klein bei. Er willigte ein, aus der „Vjosa“, einem durch Südalbanien fließenden Wildfluss und der letzte seiner Art in Europa, einen Nationalpark zu machen (profil berichtete). Der Jubel war groß, aus der ganzen Welt kam Lob und Anerkennung.

Doch die Geschichte hat einen Haken.

Ursprünglich war das Ziel gewesen, die Vjosa in ihrer Gesamtheit zu schützen, also von der Quelle bis zum Delta. Und eben dieses Delta liegt an der Narta-Lagune. Hier mündet die Vjosa ins Meer und ausgerechnet dort entsteht jetzt der Flughafen.

Joni Vorpsi nennt das Greenwashing: „Die Regierung prahlt im Ausland mit dem letzten Wildfluss Europas und baut gleichzeitig Flughäfen in Naturschutzzonen.“

Edi Rama hat bei der Bekanntgabe des Wildfluss-Nationalparks angekündigt, dass der Flughafen ganz sicher gebaut werde und die Aktivisten nichts mehr tun können.

Dorian Matlija, die juristische Speerspitze der Umweltaktivisten, bleibt optimistisch. Bereits im Herbst könnte der Gerichtsprozess beginnen, die Gegenseite habe bisher keine stichhaltigen Beweise oder Argumente eingebracht. „Auch wenn der Flughafen am Ende gebaut wird, ist der Kampf noch nicht verloren. Was es am Ende zu verhindern gilt, ist seine Inbetriebnahme“, sagt er. Die größte Hoffnung von Matlija: Dass es dem Bauunternehmer Pacolli irgendwann zu unsicher wird und er resigniert aus der Lagune abzieht.

Franziska Tschinderle

Franziska Tschinderle

schreibt seit 2021 im Außenpolitik-Ressort. Studium Zeitgeschichte und Journalismus in Wien. Schwerpunkt Südosteuropa / Balkan.