Vorwahlen der Republikaner: Ein Strohhalm namens Nikki
Von Siobhán Geets
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Am vergangenen Dienstagabend steht Nikki Haley in New Hampshire auf einer Bühne und strahlt, als hätte sie die Vorwahlen in dem Bundesstaat gewonnen. „Dieses Rennen ist noch lange nicht vorbei“, ruft sie ihren Anhängern zu. „Wir sind auf dem Vormarsch!“ – Jubel. „You go, Nikki!“ ruft jemand aus dem Publikum.
Soeben sind die Ergebnisse der Vorwahlen bekannt gegeben worden, und Nikki Haley liegt mit 43,2 Prozent deutlich hinter Donald Trump (54,3 Prozent). Der Strohhalm, an den sich die „Never Trumper“ klammern (so nennen sich die wenigen in der Partei verbliebenen Gegner des ehemaligen Präsidenten), ist mit den Vorwahlen in New Hampshire noch kürzer geworden.
Dieses Rennen ist noch lange nicht vorbei. Wir sind auf dem Vormarsch!
Doch Haley will nicht aufgeben. In gerade einmal zwölf Jahren ist es ihr gelungen, von der Buchhalterin des elterlichen Unternehmens zur Gouverneurin von South Carolina und schließlich zur Botschafterin bei den Vereinten Nationen aufzusteigen. Heute ist die 52-Jährige Amerikas letzte Hoffnung, Trump als Präsidentschaftskandidaten zu verhindern.
Herkunft: die Außenseiterin
Es gibt eine Geschichte aus Nikki Haleys Kindheit, die sie immer wieder erzählt. Als kleines Mädchen machte sie bei einem Ausflug mit ihrem Vater an einem Obststand Halt. Der Verkäufer beäugte misstrauisch den Turban des Vaters, einem Sikh aus dem indischen Bundesstaat Punjab, und holte sein Telefon hervor. Wenige Minuten später kam die Polizei. „Auf dem Heimweg hat er kein Wort gesagt“, erinnert sich Haley im Interview mit der Tageszeitung „Politico“. „Er hoffte, dass ich nichts bemerkt hatte. Doch es hat mir an seiner Stelle wehgetan.“
Haley, geboren 1972 als Nimrata Nikki Radhawa, wuchs als Tochter indischer Einwanderer in Bamberg, South Carolina, auf. In dem kleinen Ort waren die Eltern die einzigen Inder – und überall zeigten die Menschen mit dem Finger auf den Mann mit dem Turban und die Frau im traditionellen Sari. Schon am Spielplatz rät die Mutter ihren vier Kindern, sich nicht zu beklagen und möglichst nicht aufzufallen, doch das ist nicht so einfach. Im Schultheater muss Nikki die Rolle der Pocahontas spielen, bei der Auswahl der Teams im Sportunterricht wollen ihre Kollegen wissen, was sie nun sein wolle: schwarz oder weiß?
Mit der Öffnung eines äußerst erfolgreichen Bekleidungsgeschäfts erlangt die Familie schließlich Ansehen, Nikki besucht eine Privatschule und übernimmt schon als 13-Jährige die Buchhaltung des elterlichen Unternehmens. Im College lernt sie Michael Haley kennen, die beiden heiraten und bekommen zwei Kinder.
Haleys Eltern sind an Politik nicht besonders interessiert, und lange gilt das auch für sie. Erst in ihren Dreißigern entdeckt Haley die Politik, engagiert sich in der örtlichen Wirtschaftskammer – und nähert sich den Republikanern an.
Der Weg nach oben: die Flexible
Haleys Weg in die Politik beginnt mit einer Rede Hillary Clintons vor Studenten in Birmingham, Alabama. Im Publikum ist auch Nikki Haley, die mit dem Gedanken spielt, sich als Abgeordnete für das Repräsentantenhaus von South Carolina zu bewerben. Ihr Umfeld rät der jungen Mutter ab, doch nun hört Haley Clinton sagen, dass genau diese Art von Widerstand umso mehr dafür spreche, sich als Frau in die Politik zu wagen.
Haley wagt es. Sie kämpft gegen die „Old Boys“ der Partei und deren Klüngelei an – und gewinnt. Als Abgeordnete in Columbia bleibt sie Außenseiterin, macht sich viele Feinde und wenige Freunde. Immer wieder ist sie rassistischen Beschimpfungen und Schmutzkübelkampagnen ausgesetzt.
Es ist ihr Verbündeter Mark Sanford, damals Gouverneur von South Carolina, der Haley als Nachfolgerin vorschlägt. Kaum jemand glaubt an sie oder weiß auch nur, wer Nikki Haley ist, doch am Ende gewinnt sie auch diese Schlacht – und wird 2010 völlig überraschend zur ersten weiblichen Gouverneurin ihres Heimatstaates gewählt. Es ist eine Sensation, immerhin ist Haley noch dazu die erste Nicht-Weiße auf dem Posten.
Unter Haley erlebt South Carolina einen wirtschaftlichen Aufschwung, sie lockt Unternehmen an und schafft mehr als 400.000 Arbeitsplätze. Zwar weiß Haley prominente Republikaner wie Jeb Bush, Mitt Romney und Sarah Palin hinter sich. Doch auch als Gouverneurin eckt sie an. Haley gilt als kompromisslos und krankhaft ehrgeizig. Bei Themen wie Steuern und Einwanderung verfolgt sie eine harte konservative Linie, bei Schwangerschaftsabbrüchen lässt sie abweichende Haltungen zumindest zu. In ihren politischen Positionen pendelt Haley zwischen moderat und konservativ, und nicht wenige fragen sich, ob sie überhaupt Werte vertritt oder ausschließlich nach Instinkt handelt.
Positionen: die Moderate
Doch dann kommt der 17. Juni 2015, und für Haley ändert sich alles. In der Küstenstadt Charleston erschießt ein weißer Rassist in einer Kirche neun Schwarze, darunter den Pastor, den Haley gut kennt. Vor den Morden hatte der Attentäter zum Rassenkrieg aufgerufen und mit einer Flagge der Konföderation posiert, dem Symbol der Sklaverei. Nun zieht Haley politische Konsequenzen – und setzt die Entfernung der alten Konföderiertenflagge vom wichtigsten Regierungsgebäude in South Carolina durch. In den Südstaaten bringt ihr das viel Kritik ein, landesweit aber steigt ihr Ansehen.
Einmal mehr hat Haley ihr politisches Talent bewiesen.
Wohl auch deshalb macht Donald Trump sie 2016 zur US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen. Bis heute vertritt Haley die alte außenpolitische Linie der Partei, spricht sich für die weitere Unterstützung der Ukraine und die Stärkung der NATO aus. Trumps Isolationismus lehnt sie ab. Bei den Traditionalisten in der Partei, die sie lange bekämpft hat, kommt sie damit gut an.
Mit ihrer für eine Republikanerin vergleichsweise offenen Haltung zu Schwangerschaftsabbrüchen spricht Haley wiederum moderate Wählerinnen und Wähler in den Großstädten an. Die harte Linie der Partei beim Thema Abtreibung hat sie bei den Zwischenwahlen von 2022 Stimmen gekostet. Haley war eine von wenigen, die das bereits im Vorfeld erkannte.
Ich bin eine Kämpferin. Ich bin rauflustig!
All das mag für sie sprechen. Doch am Ende geht es um die Parteibasis. Und die liebt Trump.
Haley und Trump: Es ist kompliziert
In ihrer Beziehung zu Trump balanciert Haley seit Jahren zwischen Ablehnung und Anbiederung. Sein Aufruf zum Sturm auf das Kapitol am 6. Jänner 2021 schockierte sie, Haley arbeitete damals schon seit zwei Jahren nicht mehr für Trump. Als eine von wenigen war es ihr 2018 gelungen, halbwegs unbeschadet aus dem Kabinett auszuscheiden. Das hilft ihr beim Eintreiben von Spendengeldern im Wahlkampf. Die Großspender, allen voran der milliardenschwere Koch-Konzern, stehen hinter ihr. Die Frage ist nur: Wie lange noch?
Nach ihren Niederlagen in Iowa und New Hampshire setzt Haley auf die Vorwahlen in South Carolina, ihrem Heimatstaat, in dem sie noch nie eine Wahl verloren hat. Um Trump zu schlagen, muss sie in den großen Bundesstaaten wie Kalifornien und New York siegen. Spätestens am Super Tuesday, dem 5. März, wird sich entscheiden, ob sich Haleys Durchhaltevermögen gelohnt hat.
„Ich bin eine Kämpferin, ich bin rauflustig!“, sagt sie auf der Bühne in New Hampshire. Die Botschaft: Das Land versinke im Chaos, und nur sie, Nikki Haley, könne für Ordnung sorgen.
„Wir brauchen eine Buchhalterin!“, ruft einer ihrer Fans aus dem Publikum.
Nikki Haley strahlt.
Siobhán Geets
ist seit 2020 im Außenpolitik-Ressort.