"Ich habe Hillary nicht gewählt"
profil: Sind die USA bereit für Sozialismus? Ramos Rios: Die USA sind vielleicht nicht so bereit für einen "-ismus", aber sie sind es für die tatsächliche Politik, die damit gemeint ist. Ich bin mir sicher, dass die Menschen in den USA für eine Politik zu haben sind, die sich um die Schwächsten kümmert. Ich weiß nicht, ob sie bereit sind für den Begriff, der das bezeichnet.
profil: Also sollte es wohl besser nicht "Sozialismus" heißen? Ramos Rios: Es gibt seit Jahren so viel Desinformation darüber, was mit diesen Worten gemeint ist - auf beiden Seiten. Leute verbeißen sich darin, wie es heißt, und beschäftigen sich weniger damit, was es sein soll. Wir sollten die Dinge tun, die wir gemeinsam für richtig halten. Und wenn wir anschließend sagen: Übrigens, das war jetzt Sozialismus - dann werden die Leute es lockerer nehmen.
profil: Sie sind Mitglied der Demokratischen Sozialisten Amerikas (DSA). Die heißen aus gutem Grund "Sozialisten", nicht? Ramos Rios: Natürlich. Wir arbeiten aktiv daran, zu erklären, was Sozialismus ist. Aber wenn es weniger darum geht, dass etwas passieren soll, und mehr darum, wie die akademische Definition lautet, dann wird es heikel.
profil: Die DSA hat einen Solidaritätsaufruf für das Volk von Venezuela veröffentlicht, in dem sie sich gegen Sanktionen wendet. Ist das eine gute Sache? Ramos Rios: Ich finde, die Leute in Venezuela sollten entscheiden, was passiert.
profil: Sie sind gegen jegliche Sanktionen? Ramos Rios: Sanktionen treffen Leute, die bereits unter der Situation leiden. Die Reichen und Mächtigen werden nicht getroffen.
Mir ist es nicht wichtig, wie weit nach links sie gehen, mir ist wichtig, dass sie auf die Leute hören.
profil: Wie weit nach links sollten die US-Demokraten vor den Präsidentschaftswahlen 2020 gehen? Ramos Rios: Mir ist es nicht wichtig, wie weit nach links sie gehen, mir ist wichtig, dass sie auf die Leute hören.
profil: Aber auf welche? Manche Demokraten sagen, wir müssen die Krankenversicherung "Medicare for all" fordern. Andere sagen, das sei nicht finanzierbar. Ramos Rios: In Umfragen sagen mehr als die Hälfte aller befragten Amerikaner, sie wollen eine allgemeine Krankenversicherung. Unter den Demokraten liegt der Wert bei 70,80 Prozent. Da geht es nicht mehr um links oder rechts, da geht es darum, was die Leute wollen.
profil: Wie kommt es dann, dass die Demokraten sich nicht längst einig sind? Ramos Rios: Wer finanziert sie denn?
profil: Sagen Sie es uns. Ramos Rios: Die großen Konzerne. Sie finanzieren sowohl die Demokraten als auch die Republikaner. Aber ich konzentriere mich auf die Leute, die das Volk hinter sich haben.
profil: Die kalifornische Demokratin Dianne Feinstein ist eine gewählte Abgeordnete und ist skeptisch in Bezug auf Medicare for all. Ramos Rios: Sie ist gewählt, aber wer finanziert sie? Viele junge Leute sind unzufrieden mit ihr. Sie steht auch nicht hinter dem Green New Deal.
profil: Sie beschreiben damit den aktuellen Konflikt innerhalb der Demokratischen Partei. In welche Richtung wird sie gehen? Ramos Rios: Das kann ich nicht vorhersagen. Wir kämpfen für unsere Ziele. Wir müssen die Leute aufwecken.
profil: Im Moment gibt es in den USA einen tiefen Riss zwischen den beiden großen Lagern der Demokraten und der Republikaner Ramos Rios: Wir haben keine geteilten Lager. Wenn Sie Demokraten und Republikaner ansehen, dann haben die Demokraten noch nicht mal einen Vorschlag eingebracht. Sie sagen: "Oh, wir können das nicht einmal vorschlagen, denn die andere Seite wird das ablehnen!" Wir müssen als Gemeinschaft zusammenkommen und die richtigen Dinge tun.
profil: Wann hat so etwas schon mal funktioniert? Ramos Rios: In den 1950er-Jahren! Wir hatten damals in den USA einen Höchststeuersatz von 90 Prozent!
profil: Sie waren Wahlkampfleiterin von Alexandria Ocasio-Cortez, die vergangenen November als jüngste Frau aller Zeiten in den Kongress gewählt wurde. Wie wurde sie ein Superstar? Ramos Rios: In ihrem Bezirk in der Bronx und Queens leben viele junge Linke. Die sind raus und haben mit allen gesprochen. Und der Amtsinhaber hat den Fehler gemacht, bloß zu sagen, dass er in Washington gegen Trump kämpft. Das reichte den Leuten nicht.
profil: Das Magazin "Time" schrieb, über niemanden in der Politik außer Donald Trump werde so viel debattiert wie über Ocasio-Cortez. Woher kommt ihre Ausstrahlung? Ramos Rios: Sie ist authentisch. Bevor sie redet, hört sie zu. Sie sagt nicht immer das Gleiche. Sie reagiert auf die Leute. Sie ist echt. So wurde sie für viele ein Leuchtfeuer und für andere der Teufel.
profil: Sie kritisieren das amerikanische politische System, das angeblich vom Geld korrumpiert sei. Aber Ocasio-Cortez hat es geschafft, aus dem Nichts zum Medienstar zu werden. Auch Bernie Sanders' Aufstieg im Vorwahlkampf der Demokraten 2016 war ein kleines Wunder. Wenig Geld zu haben, kann auch ein Vorteil sein. Medien lieben die Underdogs. Ramos Rios: Ja, aber sehen Sie, was die großen Medien jetzt versuchen? Sie machen Beto O'Rourke (einen moderaten texanischen Kandidaten der Demokraten, Anm.) zum neuen Star! O'Rourke hat mehr Geld gesammelt als Bernie im ersten Jahr. Aber woher kommt das Geld? Bernie hat Einzelspenden gesammelt. Er bekommt kaum oder gar kein Geld von Versicherungen, Pharma-Konzernen, Ölkonzernen Hingegen könnte es wohl sein, dass sie für O'Rourke spenden. Er hat sich nicht für Medicare for all ausgesprochen.
profil: Würden Sie für jeden Demokraten stimmen, der 2020 gegen Trump antritt? Ramos Rios: Mein Staat New York wird demokratisch wählen, er ist kein Swing State. Ich fühle mich also frei, nach meinem Gewissen zu wählen. So wie ich es auch 2016 getan habe.
Ich habe Hillary nicht gewählt. Ich wusste, dass New York ohnehin an sie geht.
profil: Nämlich? Ramos Rios: Ich habe Hillary nicht gewählt. Ich wusste, dass New York ohnehin an sie geht. Hätte ich in Florida gewählt, hätte ich für sie gestimmt.
VIRGINIA RAMOS RIOS, 46 Nach dem Erfolg von Alexandria Ocasio-Cortez' Wahlkampf organisiert die New Yorkerin jetzt die Kampagne einer Staatsanwalts-Kandidatin in Queens.