Streit mit dem Nachbarn

Serbien und Kosovo: Streit mit dem Nachbarn

Warum ein Gebietstausch zwischen Serbien und Kosovo unrealistisch ist.

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Im Streit zwischen Serbien und dem Kosovo geht die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini von einer Lösung "in den nächsten Monaten" aus. Mit einem rechtlich bindenden Abkommen sollen "alle offenen Fragen" gelöst werden. Vor wenigen Tagen ließen der serbische Präsident Aleksandar Vučić und sein kosovarischer Amtskollege Hashim Thaçi aufhorchen, als die beiden Präsidenten eine neue Grenzziehung zwischen beiden Staaten ins Auge fassten. Dabei soll ein kleines Gebiet im Norden des Kosovo zu Serbien kommen, im Gegenzug ein Gebiet im Süden Serbiens an den Kosovo angeschlossen werden.

Belgrad lehnt es nach wie vor ab, die im Februar 2008 ausgerufene Unabhängigkeit des Kosovo anzuerkennen. Fünf EU-Mitglieder (Griechenland, Spanien, Rumänien, Zypern und die Slowakei) haben den Kosovo ebenfalls noch nicht anerkannt. Vučić und Thaçi treffen am Freitag die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini in Brüssel, um den Stand der Verhandlungen zu besprechen. profil hat mit dem Politikwissenschafter Vedran Dzihic über einen möglichen Gebietstausch, die Rolle der EU und die Zukunft des Balkans gesprochen.

Interview: Stephan Wabl

profil: Seit kurzem steht ein möglicher Gebietstausch zwischen Serbien und Kosovo im Raum. Was halten Sie von diesem Plan? Vedran Dzihic: Das Ganze ist mehr ein Mysterium als ein Plan. Es gibt viel Rhetorik, unterschiedliche Papiere und Begleitmusik aus der EU und den USA. Aber einen konkreten und realistischen Plan sehe ich nicht. Für mich geht es bei diesem vermeintlichen Deal eher darum, dass Vučić und Thaçi einen neuen Spin in die Debatte bekommen und in ihren Ländern politisches Kapital daraus schlagen wollen. Vučić will das Bild vermitteln, dass er das Heft noch in der Hand hat und aktiv ist. Thaçi auf der anderen Seite steht innenpolitisch stark unter Druck. Aber es gab rund um diese Idee keine Debatte in den beiden Gesellschaften oder ernsthafte Überlegungen, was ein solcher Gebietstausch bedeuten würde. Daher bin ich auch überzeugt, dass dieser nicht kommen wird.

profil: Mittlerweile hat die Debatte aber eine Eigendynamik entwickelt. Bundespräsident Alexander van der Bellen oder EU-Kommissar Johannes Hahn sehen den Vorschlag positiv. Dzihic: Ich bin mir sicher, dass Van der Bellen und Hahn wussten, welchen Ton Vučić und Thaçi beim öffentlichen Auftritt beim Forum Alpbach anschlagen werden. Die Europäische Union sitzt da, befürchte ich, einem vorgeschobenen Pragmatismus und Friedensgezwitscher auf. Der Grund ist klar: Der von der EU initiierte Dialog ist derart festgefahren, dass sie nun jede Möglichkeit nutzen möchte, um wieder Bewegung in die Verhandlungen zu bringen. Vučić herrscht in Serbien zwar fast autoritär, beherrscht den öffentlichen Diskurs sowie fast alle politischen Institutionen und kann im Gleichschritt mit seinem Außenminister Ivica Dačić das Tempo vorgeben. Aber wenn man die Medienberichte der letzten Tage liest, erkennt man schon, dass Vučić zurückrudert. Er würde gerne als großer Serbe, der etwas Historisches geschaffen hat, in die Geschichte eingehen. Auf der anderen Seite gibt es im Kosovo viel Widerstand gegen den Vorschlag. Präsident Thaçi hat selbst gesagt, dass die Grenzen seit 1999 unverrückbar sind. Zudem sind die Opposition, das Parlament und die Bevölkerung mehrheitlich dagegen. Thaçi könnte diesen Deal also gar nicht durchbringen.

Serbiens Präsident Aleksandar Vucic und Bundespräsident Alexander van der Bellen beim Forum Alpbach in Tirol.

profil: Welchen Ausweg aus diesem Dilemma sehen Sie? Dzihic: Man muss den Dialog auf eine höhere Stufe heben. Erstens muss ein Deal besser und umfassender vorbereit sein. Dabei müssen neben der EU die USA und Russland eingebunden sein und am Ende zustimmen. Sonst drohen die Akteure wieder in alte Streitmechanismen zu fallen. Zweitens müssen die Zivilgesellschaften der beiden Länder stärker beteiligt sein. Denn die Bevölkerungen müssen einen Deal langfristig tragen – und nicht vermeintlich starke Männer. Das muss besonders der EU klar sein. Für Serbien ist es fast unmöglich, den Kosovo offiziell anzuerkennen. Aber vielleicht können sich beide Staaten zumindest dulden. Dadurch wäre der Weg für Serbien in die EU frei und jener für den Kosovo in die UNO.

Kosovos Präsident Hashim Thaci beim Forum Alpbach

profil: Welche konkreten Interessen müssten beide Staaten berücksichtigen? Dzihic: Die Kosovo-Albaner müssten so etwas wie eine Autonomie der serbischen Heiligtümer im Süden akzeptieren. Die serbische Minderheit im Süden des Kosovo muss Beziehungen zu Serbien aufrechterhalten können. Da geht es auch um eine Durchlässigkeit der Grenzen, soziale, wirtschaftliche und kulturelle Beziehungen. Es wäre auch möglich, einen Verband der serbischen Gemeinden im Kosovo zu bilden. Da spielen auch Fragen bezüglich der Kompetenzen der Polizei oder der Bildungseinrichtungen eine Rolle. Aber all das muss unter dem Dach der kosovarischen Institutionen stattfinden. Zudem müssten die Serben im Kosovo einen relevanten Platz in der Regierung und im Parlament haben. Auf der anderen Seite müsste Serbien vom eigenen stark nationalistischen Narrativ zum Kosovo abrücken und sich dann in Fragen des Handels, der Telekomunikation oder der Infrastruktur dem Kosovo öffnen.

Autoritär agierende Politiker am Balkan haben längst gemerkt, dass sie sich auf einem freien Marktplatz der Mächte bewegen.

profil: Welche Rolle sehen Sie hier für die EU bzw. die österreichische Ratspräsidentschaft? Dzihic: Die EU hat in den letzten 15 Jahren ihre dominante Rolle am Balkan verloren. Vor allem autoritär agierende Politiker am Balkan haben längst gemerkt, dass sie sich auf einem freien Marktplatz der Mächte bewegen und schauen, wie sie das Beste für sich herausholen können. Neben der EU, den USA und Russland sind auch die Türkei und China weitere Player. Diese Verschiebung war möglich, weil es die EU in den letzten Jahren nicht geschafft hat, bei schwierigen Fragen am Balkan etwas weiterzubringen. Da spielt die Union häufig auf Zeit – auch deshalb, weil sie mit sich selbst beschäftigt ist. Natürlich gibt es das Bekenntnis, diese Länder näher an die EU zu führen. Das ist auch unter der österreichischen Ratspräsidentschaft der Fall. Aber wenn diesem Bekenntnis in den nächsten Jahren nicht Taten folgen, wird es schwer. Derzeit gleicht der Zustand der Annäherung einem Dornröschenschlaf. Ein positives Beispiel ist allerdings die Entwicklung in Mazedonien. Hier hat die EU – vor allem bei der Beilegung des Namensstreites mit Griechenland – eine gute Rolle gespielt. Mazedonien könnte also als Vorbild dienen.

Wenn die EU das in den nächsten Jahren nicht schafft, dann wird es sie in dieser Form auch nicht mehr geben.

profil: Für wie realistisch halten Sie es, dass die Länder am Balkan in absehbarer Zeit der EU beitreten? Dzihic: Derzeit ist die EU nicht für eine Erweiterung bereit. Dafür braucht es eine Revitalisierung, um zu neuer Entscheidungskraft zu finden. Aber wenn die EU das in den nächsten Jahren nicht schafft, dann wird es sie in dieser Form auch nicht mehr geben. Dann zerbricht sie an der Migrationsfrage. Dabei ist gerade der Balkan in der Migrationsfrage zentral für die EU. Aber sollte die EU in den nächsten Jahren in der Lage sein, Beitrittsverhandlungen wieder offensiv zu führen, dann wäre es möglich, dass Länder wie Mazedonien, Serbien, Albanien oder Montenegro der EU beitreten. Kosovo und Bosnien-Herzegowina sind sicherlich weiter entfernt.

Milorad Dodik, Präsident der Republika Srpska in Bosnien-Herzegowina, hat traditionell gute Beziehungen zu Wladimir Putin

profil: Wie schätzen Sie die Lage in Bosnien-Herzegowina ein? Dzihic: In Bosnien wird der politische Stillstand von der Politik selbst produziert und gewollt. Die politischen Eliten nähren sich vom aktuellen politischen System. Würden die Blockademechanismen aus der Welt geschafft werden, wäre das der Verlust der Existenzberechtigung der politischen Akteure. Milorad Dodik, der Präsident der Republika Srpska, braucht Bakir Izetbegović, den Vorsitzendem des Staatspräsidiums von Bosnien-Herzegowina, als Bezugsperson und umgekehrt. Obwohl beide Gegenspieler sind. Zudem ist die internationale Gemeinschaft in Bosnien völlig ratlos. Innenpolitisch braucht es eine neue Verfassungsdebatte, die das aktuelle Regierungsprinzip umdreht. In Zukunft müsste die momentane Form der auf die Blockade hinauslaufenden Kooperation zwischen den Eliten negative Auswirkungen für die Akteure haben und eine andere Form der konsens- und sachorientierten Kooperation den Akteuren etwas bringen. Vielleicht könnte man damit das negative Spiel der kommunizierenden ethnonationalistischen Gefäße beenden. Aber vor allem in Bosnien geht das nicht ohne eine revitalisierte EU, den USA, Russland und der Türkei. In Bosnien gibt es momentan leider kaum Vorstellungen und Ideen für eine gemeinsame Zukunft. Dieser Stillstand produziert Krisen, die auf die Region und Europa ausstrahlen.

Bakir Izetbegovic, Vorsitzender des Staatspräsidiums von Bosnien-Herzegowina, steht dem türkischen Präsidenten Erdogan sehr nahe.

profil: Der britische Historiker Christopher Clark hat in seinem Buch „Die Schlafwandler“ die Interessenskonflikte zwischen den Großmächten und regionalen Akteure am Balkan beschrieben. Am Ende stand der Erste Weltkrieg. Sehen Sie Parallelen zu heute? Dzihic: Historische Parallelen zu ziehen ist immer schwierig. Aber was sich durchaus ähnelt, ist, dass der Zukunftsoptimismus einem negativen Gefühl gewichen ist. Es herrscht eine Art Dämmerzustand, der die politische Vernunft vernebelt. Dieser Zwischenzustand produziert pathologische Erscheinungen. Lösungen für Probleme der Gegenwart werden in der Vergangenheit gesucht. Rechtspopulismus und Angst spielen wieder eine Rolle. Viktor Orbán zum Beispiel propagiert einen homogenen Nationalstaat in einer globalisierten Welt. Der Glaube an die Demokratie und ihre Prozesse ist nicht mehr so stark ausgeprägt wie vor 15 Jahren. Auf der anderen Seite hat die EU immer wieder Krisen überstanden. Zudem gibt es auch am Balkan zivilgesellschaftliche Bewegungen, die für eine Weiterentwicklung der Demokratie eintreten. Natürlich ist nicht alles gut – weder am Balkan noch in der EU. Aber hoffnungslos ist die Situation auch nicht.

Zur Person Vedran Dzihic (42) forscht am Österreichischen Institut für Internationale Politik (OIIP) und lehrt an der Universität Wien zum Schwerpunkt Westbalkan und Internationale Politik.

Vedran Dzihic