Was Trump als US-Präsident tatsächlich ausrichten kann
Woche eins nach der US-Wahl. Noch ist das Ende der Welt nicht gekommen - nur die 46. Straße in Manhattan endet neuerdings an einer Reihe von Betonblöcken. Wer die in der Sperrzone gelegene Gucci-Filiale oder Starbucks besuchen will, muss das erst einmal kantigen Polizisten erklären. Denn beide Geschäfte sind im Trump Tower eingemietet. Und über ihnen, in einem mehr als 1000 Quadratmeter großen Gold-Glitzer-Glitter-Penthouse, residiert der Mann, der vor rund zehn Tagen zum nächsten US-Präsidenten gewählt wurde.
Seither sind Börsenkurse rund um den Globus abgestürzt und haben sich verblüffend schnell wieder erholt. Tausende Bürger gingen auf die Straßen, um gegen ihren neuen Präsidenten zu demonstrieren. In den Zeitungen, TV-Sendungen und sozialen Netzwerken herrschen Sorge, Wut, Endzeitstimmung, aber auch Triumph, Freude und Genugtuung.
Dabei hat Donald J. Trump die Regierungsarbeit noch gar nicht aufgenommen.
Im Wahlkampf versprach er lauthals alles Mögliche, sollte er gewinnen. "Ich würde eine Mauer bauen, und niemand baut Mauern besser als ich“, kündigte er als Maßnahme gegen die illegale Einwanderung aus Mexiko an. "Wir können nicht zulassen, dass China unser Land vergewaltigt“, sagte er über den Handel mit der zweitmächtigsten Nation der Welt. "Ich werde das Waterboarding zurückbringen, und ich bringe verdammt viel Schlimmeres als Waterboarding“, drohte er mit der Rückkehr verpönter Foltermethoden.
Jetzt ist er nicht mehr nur Kandidat, sondern bald tatsächlich der mächtigste Mann der Welt. Donald J. Trump, von dem niemand weiß, wie rational er handeln wird, hat nicht nur weitreichende Befugnisse als Präsident der größten Volkswirtschaft der Erde, er befehligt auch die größte Militärstreitkraft. Entsprechend groß ist die Sorge, was er mit seiner Machtfülle anstellen wird.
Pessimisten beschwören bereits den Untergang der Zivilisation herauf. Optimisten hoffen, dass das Checks-and-Balances-System der amerikanischen Verfassung oder professionelle Berater, Juristen und Politiker das Schlimmste verhindern.
Was kann der 45. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika tatsächlich nach eigenem Gutdünken entscheiden? Und wo stößt er an die Grenzen seiner Macht?
Am Morgen des 20. Jänner 2017 wird Donald J. Trump auf einen Kaffee ins Weiße Haus fahren. Dann wird er gemeinsam mit seinem Vorgänger Barack Obama in eine schwarze Limousine steigen und, wie das Magazin "The New Yorker“ recherchiert hat, auf der linken Seite Platz nehmen. Die Fahrt geht zum Kapitol, wo der 70-Jährige gegen Mittag für vier Jahre als Präsident angelobt wird. Danach bezieht er offiziell das Weiße Haus.
Dort will Trump sofort an die Arbeit gehen und bis zum Abend das Land verändert haben. So steht es im "Donald-J.-Trump-Vertrag mit dem amerikanischen Wähler“, den er im September in einer Rede in Gettysburg im Bundesstaat Pennsylvania vorstellte. 18 Punkte, gegliedert nach drei Bereichen, sind darin auf drei Seiten aufgelistet.
"First Day Project“ nennt Trumps Umfeld den Plan, gleich am ersten Tag eine Vielzahl von Maßnahmen zu lancieren. Der Gettysburg-Vertrag ist bislang das einzige öffentlich zugängliche Strategie-Dokument, das Trump vorgelegt hat. Darin enthalten sind auch zehn große Gesetzesvorhaben, die nach den ersten 100 Tagen abgehakt sein sollen.
Gemeinsam mit dem Salzburger Politikwissenschafter und Amerika-Experten Reinhard Heinisch und auf Basis amerikanischer Quellen hat profil die Trump’sche Wunschliste Punkt für Punkt durchgearbeitet.
Kann er das durchziehen? Wer könnte ihn daran hindern? Und wie? Über all dem steht die Frage, wie viel Macht ein US-Präsident tatsächlich hat. Die folgenden Zitate wurden aus dem Gettysburg-Vertrag übersetzt. Sie betreffen die Agenda von Trumps erstem Tag im Amt.
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"Erstens: einen neuen Verfassungszusatz vorschlagen, um die Amtszeiten aller Kongressabgeordneten zu begrenzen.“
Vorschlagen kann Trump. Die Verfassung am Ende tatsächlich zu ändern, würde aber wohl einige Jahre dauern. Der Vorschlag müsste erst durch den Kongress und danach auch noch von einer qualifizierten Mehrheit der Bundesstaaten angenommen und ratifiziert werden.
"Zweitens: Einstellungsstopp für alle Bundesbeamten, außer im Bereich Verteidigung, öffentliche Sicherheit und Gesundheitswesen.“
Das kann Trump tatsächlich verordnen. Der Präsident ist der Vorgesetzte von rund vier Millionen US-Bundesbeamten - vom Justizministerium über die Nationalparks bis zum Militär.
"Drittens: Für jede neue Bundesverordnung müssen zwei existierende abgeschafft werden.“
Das ist möglich. Ausnahme: Verordnungen oder Gesetze, die den Kongress betreffen.
"Viertens: Wartefrist von fünf Jahren für alle Amtsträger von Kongress und Weißem Haus vor dem Wechsel zu Lobbying-Jobs.“
Dazu müsste der Kongress einem entsprechenden Gesetz zustimmen. Dort haben aber selbst Trumps Parteigenossen signalisiert, dass sie wenig davon halten. Das Gesetz könnte außerdem angefochten werden, da es in die Freiheiten eingreift.
"Fünftens: Lebenslanges Verbot für Amtsträger des Weißen Hauses, als Lobbyisten für ausländische Regierungen tätig zu werden.“
Muss durch den Kongress.
"Sechstens: Komplettes Verbot für ausländische Lobbyisten, Geld für US-Wahlen zu spenden.“
Muss ebenfalls durch den Kongress.
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Eine der mächtigsten Hürden, an der Trumps Pläne scheitern können, ist der US-Kongress. Er besteht aus Repräsentantenhaus (435 Mitglieder) und Senat (100 Mitglieder). Das System, mit dem er Gesetze erlässt, ist im Detail kompliziert und bietet viel Raum für politische Intrigen. Zwar stellen die Republikaner in beiden Häusern die Mehrheit, doch die Partei ist selbst in drei Flügel zersplittert: die Revolutionäre der Tea-Party, die Wirtschaftsliberalen und die Establishment-Fraktion. Viele von ihnen haben sich im Wahlkampf gegen Trump ausgesprochen, und nur sehr wenige haben ein Faible für hohe Staatsausgaben und teure Subventionsprogramme.
Wie man gegen den Kongress regieren kann, zeigten in den vergangenen acht Jahren Barack Obama. Er bediente sich exzessiv der sogenannten "Executive Order“. Damit kann der Präsident seine Beamten anweisen, bereits bestehende Gesetze auf eine bestimmte - auch grenzwertige - Weise auszulegen. Das umstrittenste Beispiel ist wohl der Einsatz von Drohnen gegen Terrorverdächtige, der unter Obama stark ausgeweitet wurde. "Executive Orders“ gelten jedoch nur für die jeweilige Amtszeit des Präsidenten und müssen von seinem Nachfolger erneuert werden, um gültig zu bleiben.
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Die folgenden sieben Punkte des Gettysburg-Papiers zeigen, in welchen Bereichen der US-Präsident über reale Macht verfügt.
"Erstens: Ich werde die Absicht verkünden, NAFTA neu zu verhandeln oder aus dem Vertrag auszusteigen.“
Ein US-Präsident kann ohne den Kongress internationale Verträge verhandeln und auch aus ihnen aussteigen. George W. Bush zog sich im Jahr 2002 aus zwei internationalen Verträgen zurück: jenem zum Abbau von Raketen-Abwehrsystemen und jenem zum Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag. Ein neu verhandeltes NAFTA-Abkommen müsste dem Senat vorgelegt werden. Steigt Trump ganz aus dem Freihandelsvertrag aus, ist nicht ganz klar, was passiert: Strafzölle auf beiden Seiten sind möglich, Unternehmen könnten beispielsweise vor internationalen Schiedsgerichten klagen.
"Zweitens: Ich werde unseren Ausstieg aus TTP ankündigen.“
Ein einfacher Brief reicht, um China sowohl den Handel als auch die wirtschaftliche Vormachtstellung in Asien zu überlassen. Das Abkommen ist noch nicht ratifiziert.
"Drittens: Ich werde meinen Finanzminister anweisen, China als Währungsmanipulator zu qualifizieren.“
Dazu reicht ein einfaches präsidiales Dekret (die "Executive Order“). Nicht ganz klar ist, welche Konsequenzen ein solcher Schritt hätte und wie China auf den Affront reagieren würde.
"Viertens: Ich werde den Handelsminister und die US-Handelsvertreter anweisen, alle Außenhandelsverstöße, die nachteilige Auswirkungen auf amerikanische Arbeitskräfte haben, ausfindig zu machen und jedes nationale wie auch internationale Rechtsmittel zu ergreifen und sie sofort zu beenden.“
Dies wäre sofort möglich, wobei nicht klar ist, was es konkret bedeuten würde. Bush erließ im Jahr 2002 gegen China und andere Länder Zölle für den Stahlhandel. Diese wurden zwar von der Welthandelsorganisation für illegal erklärt, doch Trump könnte das ignorieren.
"Fünftens: Ich werde die Einschränkungen für die 50 Billionen Dollar schwere, Jobs produzierende amerikanische Energieproduktion inklusive Schiefergas, Erdöl, Erdgas und sauberer Kohle aufheben.“
Trump müsste nur die betreffenden "Executive Orders“ Obamas auslaufen lassen. Er könnte sie durch neue ersetzen, die US-Umweltgesetze laxer und freier interpretieren.
"Sechstens: die von Obama und Clinton geschaffenen Hindernisse für lebensnotwendige Energie-Infrastrukturprojekte wie die Keystone-Pipeline beseitigen.“
Ebenfalls sofort möglich.
"Siebtens: Milliardenzahlungen an Klimawandel-Projekte der Vereinten Nationen stoppen und das Geld verwenden, um die amerikanische Wasser- und Umweltinfrastruktur wieder instandzusetzen.“
Geht es um Geld, muss der Kongress zustimmen. Die Mehrheit der republikanischen Abgeordneten glaubt aber wie Trump nicht an den Klimawandel. Also leichtes Spiel.
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Die Macht des US-Präsidenten wird wieder schwächer, je mehr er sich mit dem eigenen Land befasst. Innerhalb der Staatsgrenzen steht ihm nicht nur der Kongress im Weg sondern auch noch eine andere Institution: der oberste Gerichtshof mit neun Richtern, die darüber entscheiden, ob Gesetze oder Verordnungen mit den Gründungsdokumenten der USA vereinbar sind. Da die Parteien ideologisch weiter auseinanderdriften und viele Gesetze angefochten werden, gewinnen die Höchstrichter mehr Gewicht in Grundsatzfragen: darunter zum Beispiel auch die Homo-Ehe oder Abtreibungsgesetze.
Am Ende schränkt die Verfassung den Wirkungsradius von Trumps Vorschlägen vor allem in Bereichen ein, für die er die Kooperation der Bundesstaaten benötigt.
"Erstens: alle verfassungswidrigen Erlässe, Memoranden und Anordnungen von Präsident Obama außer Kraft setzen.“
Sofort möglich.
"Zweitens: den Prozess zur Auswahl eines Nachfolgers für Richter Scalia aus einem von 20 Kandidaten auf meiner Liste in Gang setzen.“
Der Verfassungsrichter Antonin Scalia starb im Februar, er wurde noch in den 1980er-Jahren von Ronald Reagan nominiert. Trump kann nun seinen Nachfolger wählen, der Senat muss allerdings zustimmen. Die Richter werden auf Lebenszeit ernannt, die Entscheidung wird also aller Voraussicht nach eine oder zwei Generationen prägen. Noch dazu sind drei der in Vollbesetzung neun obersten Richter bereits in hohem Alter.
"Drittens: sämtliche Bundesfinanzierungen für Sanctuary Cities stoppen.“
Einige US-Städte lassen Migranten ohne Papiere unbehelligt. Trump möchte das verbieten, kann es aber nicht, da die regionalen Polizei-und Einwanderungsbehörden nicht unter seiner Aufsicht stehen. Mit einem Subventionsstopp will er den Druck erhöhen. Dazu brauchte er jedoch ein Gesetz, also den Kongress. Wegen der bundesstaatlichen Autonomie würde dieses aller Voraussicht nach höchstgerichtlich angefochten werden.
"Viertens: damit beginnen, mehr als zwei Millionen kriminelle illegale Migranten abzuschieben und Visa für Länder zu streichen, die sie nicht zurücknehmen.“
Trump kann die Bundespolizeibehörden dazu veranlassen, Gefängnisinsassen abzuschieben (es ist aber nicht klar, ob es tatsächlich zwei Millionen illegal eingewanderte Häftlinge gibt). Dazu wäre zusätzliches Geld nötig - das beschließt der Kongress. Je nach Quelle und Aufgabe geht es dabei um ein paar Dutzend bis mehrere oder gar Hunderte Milliarden US-Dollar. Will Trump auch noch straffällig gewordene illegale Migranten von der Straße holen, ist er auf die Polizei in jedem Bundesstaat angewiesen. Die Polizei von Los Angeles hat jedoch bereits angekündigt, dass sie Trumps Regierung nicht darin unterstützen wird, Migranten festzunehmen, zu kontrollieren oder abzuschieben.
"Fünftens: Einwanderung aus terroranfälligen Regionen aussetzen, wenn Sicherheitskontrollen dort nicht durchgeführt werden können. Jede Sicherheitskontrolle von Einwanderern soll als extreme Sicherheitskontrolle betrachtet werden.“
Trump kann als US-Präsident ganze Klassen von Fremden definieren, die "nachteilig für die Interessen der Vereinigten Staaten“ sind. Ronald Reagan sperrte auf diese Weise im Jahr 1981 die Haitianer aus. Will Trump Muslime verbannen, wie er es versprochen hat, wird es schwierig: Die Verfassung verbietet die Diskriminierung wegen Religionszugehörigkeit, eine entsprechende Verordnung wäre anfechtbar. Er könnte aber verschiedene muslimische Länder auf eine Art schwarze Liste setzen. Nicht-muslimische Einwanderer aus diesen Ländern wären dann aber ebenfalls ausgesperrt.
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Es gibt also Hürden, die zwischen Donald Trump und seinen Wünschen stehen: vom Kongress über den Verfassungsgerichtshof bis zu den Bundesstaaten und ihren Beamten. Acht der zehn im Gettysburg-Vertrag erwähnten Reformen für die ersten 100 Tage müssen den Kongress passieren, weil sie Geld kosten oder bestehende Gesetze verändern: Steuern senken, den Abbau von Produktionsstätten verhindern, Energie und Infrastrukur ausbauen (für viele Republikaner ein Tabu), Obamacare beenden, leistbare Kinderbetreuung, illegale Einwanderung beenden (darunter fällt auch die teure Grenzmauer, sollte Trump Mexiko nicht dazu bringen, sie zu bezahlen), nationale Sicherheit wiederherstellen, Korruption in Washington beenden.
Der Anti-System-Kandidat wird sich mit dem System beschäftigen müssen, wenn er seine ganze Liste abarbeiten will. Vielleicht reicht es ihm aber schon, es probiert zu haben. Oder er vergisst seinen Vertrag mit dem Wähler genauso schnell wie seine Wahlversprechen, von denen er in nur wenigen Tagen einige öffentlich relativiert hat.
Zumindest die freie Schulwahl und die Arbeitsgruppe gegen Kriminalität könnte Trump im Alleingang beschließen - wenn er seine Worte sorgfältig wählt. Gelingt ihm das, könnte er weitaus beängstigendere Versprechen wahrmachen. Die Folter zurückbringen? Wenn er sie wie George W. Bush als "erweiterte Verhörtechniken“ legitimiert, ist das denkbar. Politische Gegner verfolgen? Direkt geht das nicht, aber Trump kann die Justiz anweisen, bestimmte Tatbestände bevorzugt zu verfolgen. Unliebsame Journalisten wegsperren? Das wäre wohl selbst einem US-Präsidenten Trump zu viel.
Die wenigsten Grenzen sind ihm bei außenpolitischen und militärischen Vorhaben gesetzt. Das Atomabkommen mit dem Iran aufzukündigen, würde Donald Trump nur einen Federstrich kosten, aber möglicherweise desaströse Folgen nach sich ziehen. Dasselbe gälte für einen Handelskrieg mit China.
Und nicht zuletzt könnte Donald J. Trump im Alleingang die Zivilisation auslöschen. Über gesicherte Telefonleitungen erreicht er jedes Atom-U-Boot und jedes Raketensilo der US-Streitkräfte. Die Codes, um den Einsatz von Nuklearwaffen zu befehlen, trägt er ab 20. Jänner bei sich.
Um Erlaubnis fragen muss er dafür nicht.