Titelgeschichte

Wer sind die Frauen des rechten Lagers, und wofür kämpfen sie?

Rechtsaußen-Politik ist keine Männerdomäne mehr. Nach der Wahl an diesem Sonntag könnte die Populistin Giorgia Meloni Italiens erste Ministerpräsidentin werden.

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Im Sommer 2002 findet am Wörthersee ein Treffen statt, über das halb Europa diskutieren wird. Hochrangige Vertreter europäischer Rechtsparteien sind im sonnigen Kärnten zusammengekommen, um über eine mögliche Kooperation auf EU-Ebene zu beraten. Geladen hat der damalige FPÖ-Landeshauptmann Jörg Haider, gekommen sind unter anderen der Chef des belgischen Vlaams Blok, Filip Dewinter, und der Europaabgeordnete der italienischen Lega Nord, Mario Borghezio. „Meine Burschen“, so bezeichnet Haider die illustre Runde damals. Zwar steht mit Parteichefin Susanne Riess-Passer eine Frau an der Spitze der FPÖ, doch die Vizekanzlerin erfährt erst im Nachhinein von der Runde. Eingeladen ist sie nicht.

Die allerlängste Zeit waren Europas Rechtspopulisten und Rechtsextreme regelrechte Männerparteien. Männer hatten nicht nur intern das Sagen, sie machten auch den überwältigenden Großteil der Wähler aus. „Far Right Gender Gap“ nennt sich dieses Phänomen, auf Deutsch etwa „Geschlechterkluft der Rechten“.

Eine Erklärung dafür findet sich im Image dieser Parteien: bis zur klischeehaften Überhöhung maskulin und militant, autoritär und aggressiv. Für die meisten Frauen sind das offenbar keine attraktiven Attribute.

In den vergangenen 20 Jahren haben etliche europäische Rechtsparteien dieses Problem erkannt – und versucht, die Geschlechterlücke zu schließen. Sie stellten Frauen an die Parteispitzen oder setzten sie in hohe Positionen, um sich ein „freundlicheres Gesicht“ zu verpassen. Am eindrücklichsten zeigt sich der Erfolg dieser Strategie in Frankreich, wo mittlerweile fast genauso viele Frauen Marine Le Pen wählen wie Männer.

Die Chefin des Rassemblement National hat auch international Erfolg: Als sich Europas rechte Elite knapp 20 Jahre nach dem Treffen in Kärnten Ende 2021 in Warschau versammelt, steht die 54-jährige Französin im Zentrum des Geschehens. Marine Le Pen ist längst zur Galionsfigur der europäischen Rechten geworden.
Davon haben sich andere inspirieren lassen.

In Italien führt Giorgia Meloni ein starkes Rechtsbündnis an, in Deutschland verpasste Alice Weidel der AfD ein freundlicheres Gesicht; und auch in Polens PiS und Ungarns Fidesz machten Frauen Karriere. „Rechtsextreme und Rechtskonservative sind dem Ruf nach Frauen in der Politik gefolgt“, sagt die österreichische Rechtsextremismus-Expertin Judith Goetz. „In den letzten 20 Jahren haben sich die Partizipationsfelder von Frauen in der extremen Rechten erweitert – von rechtsextremen Aktivistinnen bis hin zu Frauen, die in den Parteien Karriere machen.“

Der Männerüberhang in den Parteien ist zwar geblieben, doch immerhin ist der Anteil der Wählerinnen gestiegen. Für die männlichen Stammwähler ist das kein Problem, im Gegenteil. Laut einer kürzlich im „European Journal of Political Research“ veröffentlichten Studie hat das Plus an Wählerinnen einen Pull-Effekt auf männliche Stimmberechtigte: Sie wählen dann noch häufiger rechts. Für die Parteien hat sich die Frauenförderung an der Spitze somit doppelt ausgezahlt.

Ist der Feminismus im rechten Lager angekommen? Immerhin sind Marine Le Pen, Giorgia Meloni, und Alice Weidel starke, selbstbewusste Frauen, die sagen, was sie sich denken. Rechtspopulismus und Feminismus, geht das zusammen?

Lea Lochau

„Feminismus von rechts“ bedeutet die Instrumentalisierung von Frauenthemen. 

„Nicht wirklich“, sagt Lea Lochau von der Amadeu Antonio Stiftung in Berlin. Die Sozialwissenschafterin weist darauf hin, dass sich an der inhaltlichen und antifeministischen Ausrichtung der rechten Parteien kaum etwas geändert hat. Zwar suchten sie vereinzelt Anknüpfungspunkte zur zweiten Welle der Frauenbewegung, in der es ab den 1960er-Jahren vor allem um den Kampf gegen Diskriminierung ging. Lea Lochau: „Der dritten Welle des Feminismus (eine Phase ab den 1990er-Jahren, als auch ethnische Herkunft und Klassenzugehörigkeit in das Konzept des Feminismus integriert wurden, Anm.) wird vonseiten der Rechten jedoch jegliche Legitimation abgesprochen. Es heißt, die Gleichstellung der Geschlechter sei längst erreicht.“
Der Erfolg einzelner Frauen rüttelt nicht an den erzkonservativen Werten der europäischen Rechten. Als „natürliche Keimzelle“ der Gesellschaft gilt nach wie vor die heterosexuelle Kernfamilie; die konservative Geschlechterteilung ist geblieben: Idealerweise geht der Mann arbeiten und versorgt die Familie, während sich die Frau um Kinder und Haushalt kümmert. Daran ändert auch das durchaus emanzipatorische Frauenbild an der Parteispitze – Meloni macht als Mutter einer kleinen Tochter Karriere, Weidel lebt in einer lesbischen Beziehung – wenig.

„Rechte sowie Rechtspopulistinnen und Rechtspopulisten sind nach wie vor antifeministisch gepolt“, sagt auch Rechtsextremismus-Expertin Goetz, „es geht nicht um die individuelle Förderung von Frauen“. Am wichtigsten sei immer noch der „Schutz“ der heterosexuellen Kleinfamilie. Frauen wie Marine Le Pen mögen vom Feminismus profitiert haben; nun bekämpfen sie ihn.

Das gilt auch für ihre Wählerinnen. „Frauen wählen nicht wegen vermeintlich feministischer Inhalte rechts, sondern weil sie rassistische und rechtsextreme Haltungen vertreten“, sagt Lochau. „Feminismus von rechts“, darunter sei eher eine Instrumentalisierung von Frauenthemen zu verstehen, eine Strategie, um Wählerinnen zu lukrieren.

Judith Goetz

„Rechtspopulisten sind nach wie vor antifeministisch gepolt.“

Frauenpolitik ist das freilich nicht. Das gilt auch für finanzielle Leistungen für kinderreiche Familien, wie sie viele Rechtsparteien propagieren. Was hier geschehe, sei rechtskonservative Familienpolitik, so die Expertinnen. Unter Frauenpolitik verstehen sie Maßnahmen, die auf die Gleichstellung der Geschlechter abzielen.

Ein Programm zur Frauenförderung sucht man bei Rechtspopulisten tatsächlich umsonst. „Frauen engagieren sich nicht der Frauenpolitik wegen in Rechtsparteien, sondern weil sie deren Werte teilen“, sagt auch Goetz. Frauenrechte würden dann ausgegraben, wenn sie sich rassistisch instrumentalisieren lassen. So nutzten Rechte die Migrationskrise, um sich als Schützer autochthoner Frauen vor vermeintlich gewalttätigen muslimischen Einwanderern zu inszenieren. Das beste Beispiel dafür sind die Reaktionen nach der Kölner Silvesternacht von 2016. Migranten, vornehmlich aus Nordafrika, hatten in der Kölner Innenstadt Frauen belästigt – und rechte Parteien nutzten die Angelegenheit, um einmal mehr Stimmung gegen Muslime zu machen. „Patriarchat und Frauenverachtung“, sagt Goetz, „werden stets nur bei den anderen geortet, vornehmlich bei muslimischen Zuwanderern.“ 

Giorgia Meloni – das freundliche Gesicht des italienischen Postfaschismus

Giorgia Meloni ist siegessicher. Lächelnd betritt sie die Bühne, winkt der Menge zu, bevor sie dem versammelten Publikum an der Piazza Roma im mittelitalienischen Ancona erklärt, wie es jetzt weitergehen soll. „Wir brauchen eine Regierung von Menschen, die nicht erpressbar sind“, ruft sie – und erklärt auch gleich, wen sie damit meint: „Ich kann die Regierung führen!“
Applaus.

Für Meloni ist es ein Heimspiel. Ancona ist Hauptstadt der Marken, eine traditionell linke Region, in der Melonis Partei, die postfaschistische Fratelli d’Italia (FdI), vor zwei Jahren zum ersten Mal die Regionalwahlen gewann. Ein guter Ort, um die Kampagne für die Neuwahlen am 25. September zu eröffnen. Bei Fertigstellung dieses Textes am vergangenen Freitag zitterte die EU noch, ob demnächst in Rom Postfaschisten regieren.

In der FdI hatten lange ausschließlich Machos und polternde Rechtsextreme das Sagen. Nun haben die „Brüder Italiens“ mit Meloni eine vergleichsweise junge Frau an der Spitze, die sich als kämpferische Mutter der Nation inszeniert. Das funktioniert: Die 45-Jährige hat ihrem Konkurrenten Matteo Salvini von der rechten Lega längst das Wasser abgegraben.

Dabei sind die Positionen gar nicht so unterschiedlich: Auch Meloni spricht von der Gefahr, die von Migranten ausgeht, von „Genderwahn“ und internationalen Verschwörungen. Auch sie kämpft für erzkonservative Werte, ist gegen Schwangerschaftsabbrüche und die Rechte Homosexueller. In ihrer vor einem Jahr erschienenen Autobiografie „Io sono Giorgia“ (Ich bin Giorgia) verbreitet Meloni nicht nur die rechtsextreme Verschwörungstheorie, wonach Afrikaner nach Italien geschickt würden, um die Bevölkerung zu „durchmischen“. In einem Zug verurteilt sie auch Sterbehilfe, Legalisierung von Drogen, die multikulturelle Gesellschaft, Kopftücher und das „Gender-Komplott gegen natürliche Familien“. Das ist alles nichts Neues, und doch hat Meloni es geschafft, sich als frisches Gesicht der italienischen Rechten zu etablieren.

Meloni in Ancona

Schwangerschaftsabbrüche sind „eine Niederlage“.

Ihre Partei, die FdI, verbindet eine direkte Linie mit dem faschistischen Diktator Benito Mussolini. Bis heute feiern Parteimitglieder seine Machtübernahme, den Marsch auf Rom vor 100 Jahren. Sie habe ein „entspanntes Verhältnis“ zum Faschismus, hat Meloni einmal gesagt. Später fügte sie erklärend hinzu, sie wolle nicht über die Vergangenheit sprechen, sondern lieber über die Zukunft. Damals war Meloni noch Anführerin einer kleinen Oppositionspartei. Heute führt sie ein mächtiges Rechtsbündnis in einem wichtigen EU-Mitgliedstaat an. Mit ihrer klaren Sprache erreicht Meloni Menschen, denen der scheidende Ministerpräsident, der Technokrat Mario Draghi, stets fremd blieb.

Von ihren Aussagen aus der Vergangenheit hat sich Meloni nie richtig distanziert, nur vor den Wahlen hielt sie sich mit scharfen Worten zurück. Die EU wird nach wie vor kritisiert, aber nicht mehr infrage gestellt. Vom Austritt ist keine Rede mehr.

Meloni schließt eine Regierung mit der Linken aus, deren Positionen zu Familie und Abtreibung seien mit den ihren unvereinbar: „Ich sage Ja zur natürlichen Familie, Nein zur LGBT-Lobby, Ja zur sexuellen Identität, Nein zur Gender-Ideologie, Ja zum Leben, Nein zur Kultur des Todes“, donnerte Meloni im Juni während eines Auftritts bei der rechtsextremen Vox in Spanien.

Viele ihrer Positionen dürften sich aus ihren eigenen Lebenserfahrungen ergeben. Sie verteidige die Familie aus Mann, Frau und Kindern, gerade weil sie ohne Vater aufgewachsen sei, sagte Meloni unlängst in einem Fernsehinterview. So ist auch ihre Forderung für mehr Kindergartenplätze zu verstehen: Meloni setzt sich für arbeitende Mütter ein, weil sie selbst eine ist.
Es ist die einzige Neuheit im Programm der FdI.

„Frauen wie Meloni können in Rechtsparteien Karriere machen, weil sie die männerdominierte Ausrichtung nicht infrage stellen“, sagt Goetz. „Im Gegenteil: Die Tatsache, dass sie sich aus eigenen Stücken durchgesetzt haben, gilt als Beweis dafür, dass es keine Diskriminierung gibt.“

Meloni konnte Karriere machen, weil sie die Männerdomäne nicht infrage stellte.

Frauenrechte haben ihre Daseinsberechtigung in diesem Weltbild längst verloren, bereits Erreichtes wird infrage gestellt und, wo möglich, rückgängig gemacht.
So haben die FdI in den Marken das Recht auf Schwangerschaftsabbrüche massiv eingeschränkt. Möglich sind sie dort nur noch bis zur siebten Woche, davor ist eine Woche Bedenkzeit vorgeschrieben. Auch die Ausgabe der Abtreibungspille wurde weitgehend verboten.

Meloni bezeichnet Schwangerschaftsabbrüche als „Niederlage“, immerhin geht es darum, die Geburtenrate im Land zu erhöhen. Erreicht werden soll das auch mit finanziellen Zuschüssen für werdende Mütter. Mehr Kinder sollen freilich vor allem autochthone Italienerinnen bekommen.

Meloni und die FdI sind ein gutes Beispiel dafür, wie wenig sich in rechten Parteien durch eine weibliche Führung ändert. Andere Frauen in hochrangigen Positionen sucht man bei den „Brüdern Italiens“ vergeblich. An den Inhalten hat sich nichts verändert, wenn auch Melonis Rhetorik zuletzt an Schärfe verloren hat. Beim Wahlkampfauftritt in Ancona kam sie weitgehend ohne die üblichen Feindbilder aus. Auch das Islam-Thema fehlte bei ihrer Rede zum Wahlkampfauftakt.

Und dennoch reckt sich nach Melonis Auftritt an der Piazza Roma die eine oder andere rechte Hand zum faschistischen Gruß.

Marine Le Pen – Galionsfigur der europäischen Rechten

Glaubt man Marine Le Pen, dann begann ihre Politisierung im wahrsten Sinne des Wortes mit einer Explosion. Als jüngste von drei Töchtern des rechtsextremen Politikers Jean-Marie Le Pen wächst Marine in einem äußerst rechten Umfeld auf. Als sie zehn Jahre alt ist, detoniert in der Pariser Wohnung ihres Vaters eine Bombe. Verletzt wird bei dem Attentat zwar niemand, doch von nun an steht für Marine fest: Sie wird für ihren Vater einstehen.

Daran hält sie sich vorerst auch. Im Jahr 2011 setzt sie sich gegen ihre männlichen Konkurrenten durch und folgt ihrem Vater an die Spitze des Front National. Was in der Zeit danach geschieht, wird von vielen – allen voran von Marine Le Pen – gern als „Entdämonisierung“ der Partei beschrieben. Le Pen ändert nicht nur den Namen (aus dem Front National wird 2018 der Rassemblement National), sie distanziert sich auch vom polternden Antisemitismus ihres Vaters und wird zum neuen, freundlicheren Gesicht ihrer Partei.

Die Image-Politur geht auf: Bei den Präsidentschaftswahlen von 2012 erhält Le Pen fast 14 Prozent der Stimmen – ein Plus von knapp neun Prozentpunkten im Vergleich zu 2007.
Wenig später eskalieren die Spannungen zwischen Marine Le Pen und ihrem Vater. Jean-Marie hatte den Holocaust mehrmals als „Detail der Geschichte“ bezeichnet und damit potenzielle Wähler aus dem bürgerlichen Lager vergrault. Im April 2015 entmachtet Le Pen ihren Vater und wirft ihn kurzerhand aus der Partei, die er gegründet hat. Nun hat sie endgültig das Sagen.

Marine Le Pen (r) und ihr Vater, Jean-Marie Le Pen (l)

Der Bruch mit dem Vater lohnt sich: Ende 2015 erhält der Front National bei Regionalwahlen mehr als 27 Prozent der Stimmen und wird in sechs von 13 Regionen stärkste Partei. Bei den Präsidentschaftswahlen von 2017 kommt Le Pen auf 21,3 Prozent – und schafft es zum ersten Mal in die Stichwahlen gegen Emmanuel Macron. Fünf Jahre später, im April 2022, fährt sie mit 23 Prozent im ersten und 41,5 Prozent im zweiten Wahlgang ihr bislang bestes Ergebnis ein. Diesmal haben ihr sogar mehr Frauen als Männer ihre Stimme gegeben. Le Pen hat die Männerpartei ihres Vaters für Frauen wählbar gemacht.

Doch es bleibt nicht bei nationalen Erfolgen. Le Pen will mehr. Anfang 2017 steht sie auf einer Bühne im deutschen Koblenz, die Musik dröhnt, neben Le Pen lächelt die damalige Chefin der AfD in die Kameras. Frauke Petry bekennt sich zum ersten Mal öffentlich zur neuen europäischen Rechtsallianz, doch der wahre Star ist in diesen Tagen jemand anderer. Es ist Marine Le Pen, die als Europaabgeordnete in anderen Mitgliedstaaten nach Gleichgesinnten gesucht und im Lauf der Jahre verschiedene Bündnisse geschmiedet hat. Mit Le Pen auf der Bühne stehen an diesem Tag auch Harald Vilimsky von der FPÖ, der niederländische Rechtspopulist Geert Wilders und Matteo Salvini von der Lega Nord. Ihr gemeinsames Ziel: das Ende der EU, wie wir sie kennen.

Die Forderung nach dem EU-Austritt ist seither in den Hintergrund gerückt, das gilt auch für Le Pen. Bei den vergangenen Präsidentschaftswahlen hat sie sich um Stimmen aus der Mitte bemüht und aktiv um die Gunst der Wählerinnen geworben. Le Pen gab sich als mutige Kämpferin, die Frankreichs Frauen vor Gewalt, Unterdrückung und muslimischen Migranten beschützen und sich, einmal Präsidentin, um die Gleichstellung kümmern würde. Alleinerziehenden versprach Le Pen, die selbst drei Kinder ohne Vater großgezogen hat, die finanziellen Hilfen zu verdoppeln. Punkten konnte sie damit vor allem bei jungen Frauen aus den unteren Einkommensschichten. Ist Le Pen zur Feministin geworden? Sie als solche zu bezeichnen, wäre zynisch.

Marine Le Pen machte eine Männerpartei für Frauen wählbar.

Klare Maßnahmen zur Gleichberechtigung der Geschlechter nennt sie nicht, und ihre Nähe zu „starken Männern“ wie Wladimir Putin, Viktor Orbán und Donald Trump, allesamt ausgesprochene Antifeministen, lassen Zweifel an der Ernsthaftigkeit ihrer Versprechen aufkommen.

Als sich mit #MeToo in den sozialen Netzwerken eine starke Frauenbewegung formierte, verunglimpfte Le Pen deren Protagonistinnen als „Männerhasser“, die „ungerechte“ Beschuldigungen verbreiten. Auch im französischen und im Europäischen Parlament stimmte sie stets gegen Maßnahmen zur Stärkung von Frauenrechten. Zuletzt votierten die Abgeordneten des Rassemblement National im EU-Parlament gegen die Istanbuler Konvention zum Schutz von Frauen gegen Gewalt sowie gegen ein EU-weites Recht auf ein Minimum an Mutterschutz nach der Geburt eines Kindes. Dazu meinte Le Pen, sie habe den Maßnahmen nicht zustimmen können – immerhin hätten davon auch Ausländer profitiert.

Alice Weidel – jung, neoliberal, lesbisch

Als Alice Weidel das Rednerpult des Bundestags betritt und gegen die Regierung losdonnert, verlassen Abgeordnete den Saal, andere schauen auf ihre Handys oder plaudern mit Kollegen. Es ist Anfang September, und die Fraktionsführerin der „Alternative für Deutschland“ (AfD) nutzt die Generaldebatte über den Bundeshaushalt für einen Rundumschlag gegen die Regierung, wettert gegen den „von einem Virus besessenen Gesundheitsminister“, eine „Innenministerin, die beim Islamismus wegschaut“, einen „Justizminister, der willkürlich Grundrechte einschränkt“.

Es ist schwer vorstellbar, dass Alice Weidel einmal zu den gemäßigteren Stimmen in der AfD gehört hat. Es war Weidel, die Angela Merkel für die Vergewaltigung und Ermordung einer jungen Frau durch afghanische Flüchtlinge mitverantwortlich machte, die politische Korrektheit auf den „Müllberg der Geschichte“ wünscht und den Brand in der Pariser Kathedrale Notre-Dame mit einer Verschwörung gegen Christen erklärt hat. 

Wer Weidels zornige Reden verfolgt, bekommt den Eindruck, ganz Europa befände sich in den Fängen dunkler Mächte. Dabei hätte Weidel der Partei ursprünglich ein weniger aggressives Image verpassen sollen. Unter Deutschlands Frauen waren die Beliebtheitswerte der AfD im Keller, bei der Bundestagswahl 2017 machten Männer fast zwei Drittel der Wähler aus. Im Jahr 2021 war der Stimmanteil der Männer immer noch doppelt so hoch wie jener der Frauen. Kein Wunder: Rund 80 Prozent der Parteimitglieder sind männlich, in der Bundestagsfraktion sind es sogar fast 90 Prozent.

Daran ändert auch eine Vize-Parteichefin Weidel nichts. „Rechtsparteien setzen Frauen nicht nur gezielt ein, um sich ein modernes, harmloseres Image zu verpassen“, sagt Expertin Goetz. „Auch soziale Belange werden über Frauen artikuliert. Sie werden zu authentischen Sprecherinnen, zu besorgten Müttern der Nation.“ Beschützerinnen wie Le Pen in Frankreich und Weidel in Deutschland werden offenbar eher soziale Kompetenzen zugetraut.

Dabei ist Weidel alles andere als sozial. Leistung steht bei der 43-Jährigen an oberster Stelle, das gilt auch für sie selbst. In einer Mittelschichtfamilie in Ostwestfalen aufgewachsen, studierte Weidel Wirtschaft und promovierte über das chinesische Pensionssystem. In China arbeitete sie für die Investmentbank Goldman Sachs, machte international Karriere.

Zur AfD ging sie bereits im Gründungsjahr 2013, Auslöser war die Kritik an der Euro-Politik. Weidel, anfangs eher dem neoliberalen Spektrum zuzuordnen, wurde schnell zur Scharfmacherin, punktete mit Attacken gegen Migranten, den Islam und Feminismus. Das Geschlechterbild der AfD entspricht nationalistischen völkischen Idealen, Frauen haben sich um die Kinder zu kümmern, Betreuung außerhalb der Familie dürfe nicht die Norm sein. Es ist nicht der einzige Widerspruch zwischen der Parteilinie und Alice Weidels Biografie.

Ihr Privatleben will nicht in das Familienbild der AfD passen, das sie selbst mitentwickelt hat. Weidel lebt in einer lesbischen Beziehung und zieht mit ihrer aus Sri Lanka stammenden Partnerin zwei Söhne groß. Homophobie innerhalb der Partei streitet sie ab – die AfD sei ein „Garant für die Rechte von Homosexuellen“. Klingt widersprüchlich? Ist es auch.

Die Kernfamilie, die es zu schützen gilt, das sind im Weltbild der AfD Mann, Frau und Kinder, autochthon deutsch, versteht sich. Alleinerzieherinnen und Homosexuelle passen da nicht hinein. Das Recht auf Adoption müsse heterosexuellen Ehepaaren vorbehalten bleiben, hieß es etwa 2016 von der AfD in Baden-Württemberg, für die Weidel damals zur Landtagswahl antrat.

Die meisten Parteikollegen halten Weidels sexuelle Orientierung wohl nicht für der natürlichen Ordnung entsprechend. Doch solange sie ihr Privatleben nicht nach außen kehrt, stört man sich nicht daran, im Gegenteil: Für die Partei birgt der Widerspruch einen gewissen Nutzen. Als Frau, noch dazu als Lesbe, deren Partnerin nicht weiß ist, kann sie als Schutzschild der AfD herhalten: Weidel kann so gut wie alles sagen, ohne als sexistisch oder gar homophob zu gelten.

Die Widersprüche muss ohnehin sie selbst ertragen.

Beata Szydło  – eine Frau nach Kaczyńskis Geschmack: loyal und bescheiden

Beata Szydło ist, wie Frauen in den Augen von Polens Nationalkonservativen zu sein haben: loyal, bescheiden und zurückhaltend. Die ehemalige Premierministerin und heutige Europaabgeordnete vertrat stets die Parteilinie der „Prawo i Sprawiedliwość“ („Recht und Gerechtigkeit“, kurz PiS). Zuletzt bedeutete das eine Erhöhung des Kindergeldes, eine Steuersenkung für Geringverdiener und mehr Geld für das Gesundheitssystem.

Das gefällt den traditionellen Stammwählern der PiS, die vor allem in ländlichen Regionen leben, weit weg von Warschau. So wie im südpolnischen Brzeszcze. Dort, in einem von getrimmten Hecken umrahmten Einfamilienhaus, lebt Beata Szydło, hier hat sie ihre beiden Söhne großgezogen.

Ihre Karriere bei der PiS beginnt die Tochter eines Bergmannes und einer Sozialarbeiterin als Abgeordnete ihres südpolnischen Wahlkreises. Fünf Jahre später wird sie Jarosław Kaczyńskis rechte Hand. Der „starke Mann Polens“, damals noch Oppositionsführer, schickt sie schließlich ins Rennen um den Posten der Premierministerin. Bei den Wahlen 2015 bringt Szydło die Nationalkonservativen wieder an die Macht – mit den Stimmen der Polinnen. Mehr Frauen als Männer stimmen für die PiS.

Kritische Medien gehen davon aus, dass Szydło ihr Amt nur als Platzhalterin ausübt. Das Sagen in der PiS hat ohnehin seit jeher Parteichef Kaczyński. Da könnte etwas dran sein: Bereits zwei Jahre nach ihrem Sieg muss Szydło dem neuen Premier Mateusz Morawiecki Platz machen – und wird zu dessen Vize herabgestuft.

Doch die PiS hat von ihrem Erfolg gelernt – und fördert in den kommenden Jahren rechtskonservative Hardlinerinnen in Politik, Medien und in Wissenschaft. Etliche Frauen kommen dank des rechtspopulistischen Gender-Mainstreamings in Machtpositionen, darunter Parlamentspräsidentin Elżbieta Witek und die Präsidentin des Verfassungsgerichts Julia Przyłębska.

 Szydło (mit Premier Morawiecki). Die Premierministerin hat ihre Schuldigkeit getan, sie durfte gehen.

Für Kaczyński und seine PiS bringen die Frauen keine groben Änderungen: Ihre Entscheidungen decken sich ohnehin stets mit seinen Interessen. Die PiS und die Frauen, das ist eine schwierige Angelegenheit.

In Polen wird die Politik fast ausschließlich von Männern bestimmt. Bei den letzten Präsidentenwahlen standen elf Kandidaten und keine einzige Frau zur Wahl. Die Wählerinnen scheint das nicht zu stören: Bei den Wahlen im Herbst 2019 haben die Frauen Polens häufiger PiS gewählt als jede andere Partei. Zwar sind viele junge Frauen nicht mehr bereit, das erzkonservative Geschlechterbild der PiS mitzutragen. Doch findet der Kampf vor allem auf der Straße statt.

Es sind besonders ältere Frauen, die den Nationalkonservativen die Stange halten. Neben der Hochachtung für erzkonservative Werte punktet die PiS vor 
allem mit einem großzügigen Sozialprogramm. Mit der Einführung des Kindergelds hat die Regierung die Armut von Familien deutlich gesenkt.

„Mit den finanziellen Leistungen sichert sich die PiS den Rückhalt der Bevölkerung für Maßnahmen wie die Aufweichung der Gewaltenteilung oder das Abtreibungsverbot“, sagt Expertin Lochau. Gleichberechtigung und Frauenrechte sind der Partei jedenfalls kein Anliegen, im Gegenteil: Bereits kurz nach ihrem Wahlsieg 2015 hat die PiS versucht, das ohnehin schon restriktive Abtreibungsrecht in Polen weiter zu verschärfen. Damals scheiterte die Regierung am massiven Widerstand der Zivilbevölkerung, doch schließlich fand sich eine andere Lösung: Ende 2020 entschied das Verfassungsgericht in Warschau, dass Frauen ihr Kind auch dann zur Welt bringen müssen, wenn der Fötus schwere und unheilbare Fehlbildungen aufweist.

Das Urteil, das viele Polinnen in Rage versetzte, verkündete damals ausgerechnet eine Frau: Julia Przyłębska, Präsidentin des Verfassungsgerichts – und eine gute Freundin Jarosław Kaczyńskis.

Siobhán Geets

Siobhán Geets

ist seit 2020 im Außenpolitik-Ressort.