Gewalt

Wie es zur Hetzjagd auf israelische Hooligans in Amsterdam kam

Randalierer machen in Amsterdam Jagd auf israelische Fußball-Fans. Experten skizzieren, wie es zur Gewalteskalation kommen konnte.

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Es sind brutale Bilder aus Amsterdam: Schon am Boden liegende Fußballfans kassieren noch weitere Tritte in den Bauch, bevor die Angreifer fliehen. Videos davon werden stolz in den sozialen Netzwerken gepostet. Ziel der plötzlichen Gewaltspitze: Fans der israelischen Fußballmannschaft Maccabi Tel Aviv, die in den Niederlanden bei einem Match der UEFA Europa League gegen den Verein Ajax Amsterdam spielten. Doch wie konnte es zu dem Gewaltexzess kommen?

Brennende Palästina-Flaggen

„F***t die Araber – Ole, ole“, riefen Maccabi-Hooligans einer Gegendemo entgegen. „In Gaza gibt es keine Schulen mehr, weil es keine Kinder mehr gibt“, hallte der Sprechchor weiter. Es sind derartige Rufe von Maccabi-Hooligans, die seit ihrer Anreise irritieren. „Israelische Hooligans sind schon immer stark politisiert. Es ist also nicht überraschend, dass der Konflikt seit dem Beginn des Gaza-Krieg in die Fußballszene übergeschwappt ist. Was man an den vielen anti-arabischen, teilweise sogar genozidalen, Sprechchören merkt“, erzählt der britische Hooligans-Experte James Montague, der das Buch „Unter Ultras“ über radikale Fußballfanszenen rund um den Globus geschrieben hat.

„Maccabi-Fans waren schon in der Vergangenheit mit ‚Tod den Arabern‘-Rufen auffällig, zum Beispiel in Athen“, sagt der Nahostexperte Robert Chatterjee, Autor eines Buchs über Fußball im Nahen Osten. Maccabi-Ultras gelten als gewaltbereit: In Athen wurde ein Ägypter krankenhausreif geschlagen, weil er mit einer Palästina-Flagge vor den Hooligans posierte. „Mich wundert, dass die Behörden nicht auf die Eskalation vorbereitet waren“, sagt Chatterjee.

Israels Hooligans

Israels Fanszenen seien „hochpolitisch“, erzählt Ultras-Experte Montague: „Das hat den Grund, dass viele Vereine aus politischen Gruppierungen heraus gegründet wurden.“ So wurde der Verein Beitar Jerusalem, dessen Fans als die nationalistischsten Israels gelten, von rechten Paramilitärs gegründet, während Hapoel Tel Aviv jahrelang im Besitz des Gewerkschaftsverband Histadrut war. „Fangruppen sind weit verbreitet und gut organisiert: Jeder Verein hat seine Hooligans“, sagt Montague weiter.

Folgt man Social Media-Videos, sollen Maccabi-Ultras in Amsterdam Palästina-Flaggen heruntergerissen und angezündet haben. Amsterdams Muslime, die 12 Prozent der Stadtbevölkerung ausmachen, fühlten sich angefeindet. 

Die Stimmung war allerdings schon vor den ersten Konfrontationen angespannt: Pro-Palästina-Protestierende riefen wegen Israels Kriegsführung im Gaza-Krieg zu einem Boykott der israelischen Fußballmannschaft auf. „Das hat alles reingespielt eine aufgeheizte Atmosphäre aufzubauen“, schätzt Chatterjee ein. Maccabi-Fans stechen in ein Hornissennest.

Mehrere vermummte Männer schlagen schließlich auf einen Taxifahrer ein bis dieser wehrlos auf dem Boden liegt. Die Täter, laut Berichten des niederländischen Fernsehsenders RTL Nieuws Maccabi-Ultras, verstecken sich nach einer Konfrontation in einem Hotel. Die Attacke, deren Aufnahmen in den sozialen Medien weit verbreitet wird, ist wohl der Katalysator für die Gewalt die folgen wird. In sozialen Medien schwadroniert man von „Rache“.

Hetzjagden

Es ist ein Gewaltexzess, der die israelischen Fans von Maccabi nach Match-Ende erwartet. Männergruppen lauern Stadionbesuchern am Heimweg in der Innenstadt Amsterdams auf, ein Fußballfan wird mit einem Auto umgefahren. Über zehn Menschen werden verletzt, über 60 Randalierer verhaftet. 

Doch die Gewalt trifft bei weitem nicht nur gewaltbereite Fußball-Hooligans. „Sie haben meinen Sohn ins Gesicht geschlagen“, erzählte ein Fan dem israelischen Fernsehsender Channel 13, der das Match mit seinem Sohn besuchte und sich nach der Attacke in seinem Hotel verbarrikadierte. 

Einige Täter waren gezielt auf der Suche nach israelischen Staatsbürgern. Videos in den Sozialen Medien zeigen, wie Passanten dazu gedrängt werden, ihre Pässe herzuzeigen.

International schockiert der Gewaltexzess. Der parteilose Premier der Niederlande Dick Schoof sprach von „inakzeptablem Antisemitismus“, die grünliberale Bürgermeisterin von Amsterdam Femke Halsema meinte, die Gewalt erinnere an ein „Pogrom“. 

Auch Österreichs Kanzler Karl Nehammer verurteilte die Mob-Gewalt. Israel wollte kurzzeitig zwei Flugzeuge schicken, um israelische Fußball-Fans zu evakuieren, stornierte das Rettungskommando aber wieder und rief Israelis auf mit ziviler Luftfahrt zurück in die Heimat zu fliegen.

Doch wer steckt dahinter?

Stecken hinter der Gewalt Hooligans aus der berüchtigten Fankurve des Verein Ajax, die sogenannte F-Side? „Für mich ist unklar, ob überhaupt jemand aus der Ajax-Szene bei den Angriffen involviert war“, räumt Chatterjee ein. „Das war keine Gewalt von Ajax-Fans“, sagt Montague, der die Online-Kanäle von Hooligans im Blick hat. „Bei den Angreifern handelt es sich viel mehr um Immigranten zweiter Generation“, schätzt er ein. Besonders türkische und arabische Niederländer seien laut Medienberichten beteiligt gewesen.

„Das war keine Hooligan-Gewalt, sondern politische Gewalt, die zufällig im Umfeld von Fußball stattgefunden hat“, so Montague weiter. Die zwei Vereine, Ajax Amsterdam und Maccabi Tel Aviv, gelten eigentlich als befreundet. „Im Shop von Ajax kann man Anstecker mit einem Davidstern kaufen“, so der Fußball-Experte.

Niederländische Medien berichten von marokkanischen Ajax-Fans, die schon vor der Nacht auf Freitag Israelis attackierten. „Die Ultra-Gruppen repräsentieren natürlich immer die Gesamtbevölkerung“, sagt Montague, der von der Gefahr warnt, dass der Konflikt durch rechtspopulistische Parteien instrumentalisiert wird. Mit rund zwei Prozent der Gesamtbevölkerung stellen Marokkaner die zweitgrößte Immigrantengruppe in den Niederlanden. 

Raphael  Bossniak

Raphael Bossniak

seit November 2024 Volontär im Digitalteam und im Ausland-Ressort.