Wie Polens Armee zur Feuermauer Europas wird - und Putin abschrecken soll
Warschaus Pläne sind ambitioniert: neue Panzer, neue Flugzeuge, neue Raketenwerfer und eine Verdoppelung der Truppenstärke auf 300.000 Mann. Das Land will bis 2035 die stärkste Landarmee Europas stellen. “Wir wissen woher die Bedrohung kommt und müssen fähig sein, jegliches Aggressionspotential abzuwenden, damit kein Fleck polnisches Territorium besetzt werden kann”, gibt sich der polnische Verteidigungsminister Mariusz Blaszczak vor Kurzem selbstbewusst in einem Interview mit dem Wochenmagazin Siece.
Und diese Bedrohung ist aus der Sicht Warschaus eindeutig - und seit einem Jahr auch omnipräsent. Polen grenzt im Süden an die Ukraine, im Osten an das Putin-treue Belarus und teilt sich im Norden eine Grenze mit der russischen Exklave Kaliningrad.
Erst am Mittwoch gab Russlands Präsident Wladimir Putin in seiner Rede zur Lage der Nation dem Westen die Schuld an der Eskalation in der Ukraine und gießt weiter Öl ins Feuer: “Es ist unmöglich, Russland auf dem Schlachtfeld zu besiegen.“
Aus polnischer Sicht ist die Bedrohung aus dem Osten daher immanent - und die Einkaufsliste des Verteidigungsministeriums lang. Warschau ordert über 360 teils gebrauchte Abrams Panzer aus den USA, 1000 Südkoreanische K2 Panzer (Black Panther), 80 Kampfflugzeuge der Sorte F-50 und F35, Hubschrauber und knapp 600 Panzerhaubitzen. Die ersten Lieferungen sollen bereits 2024 die Weichsel erreichen.
“Polen ist auf dem besten Weg, eine militärische Großmacht zu werden. Zur Supermacht wird es aber nicht reichen”, ist Günter Hofbauer, Generalmajor beim Österreichischen Bundesheer, überzeugt. “Dafür fehlen einige Elemente, die eine globale strategische Machtprojektion ausmachen, wie es beispielsweise bei den US-amerikanischen Streitkräften der Fall ist.”
Mehr Panzer für Polen
“Wir wissen woher die Bedrohung kommt und müssen fähig sein, jegliches Aggressionspotential abzuwenden", sagt Polens Verteidigungsminister Mariusz Blaszczak.
Die Frage der Finanzierung
Die Einkaufsliste der polnischen Armee ist nämlich nicht nur lang, sondern auch teuer. Mehr als 100 Milliarden Dollar soll die Regierung in Warschau für die Anschaffung von Waffen und Gerät einkalkuliert haben. “Es muss hier aber genauestens beobachtet werden, wie und ob Polen die langfristige Finanzierung dieser Aufrüstung stemmen kann, um die militärische Stärke beizubehalten”, ergänzt Generalmajor Hofbauer. “Die Ausrüstung zu kaufen ist das eine, das Personal langfristig zur Verfügung zu haben und zu finanzieren, das andere." Premierminister Mateusz Morawiecki ließ deshalb das Verteidigungsbudget von bisher 2,6% auf 4% des Bruttoinlandsprodukts anheben. “Der Krieg in der Ukraine hat dazu geführt, dass wir uns schneller bewaffnen müssen, deshalb setzen wir diesen noch nie dagewesenen Schritt”, erklärte der Premier vor Reportern. Um diese Ausgaben zu stemmen, will Polen auch auf 35 Mrd. Euro an Corona-Finanzhilfen der EU zurückgreifen, die Brüssel wegen Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit eingefroren hatte. Ein erster Schritt in diese Richtung wurde bereits gesetzt. Die Regierung in Warschau verabschiedete zwei Gesetze zur Überarbeitung der umstrittenen Justizreform.
“Der Krieg in der Ukraine hat dazu geführt, dass wir uns schneller bewaffnen müssen.”
Polens Premierminister Mateusz Morawiecki Anfang Februar
Europas Rüstungsindustrie geht leer aus
Polen rüstet seine Armee massiv auf - und Europas große Rüstungshersteller in Deutschland und Frankreich gehen dabei leer aus. “Die Europäische Rüstungsindustrie ist derzeit nicht in der Lage, so rasch so viel Großgerät zur Verfügung zu stellen”, ist Hofbauer überzeugt. Man habe die Produktion 30 Jahre lang auf Friedenszeiten ausgerichtet. Es dauert einfach zu lange, um die Rüstungsstätten auf eine höhere Produktionsrate hochzufahren. Deshalb orientiere sich Polen dorthin, was der Markt verfügbar mache. Die ersten rund 120 Abrams Panzer stammen aus US-Beständen, danach sollen weitere 250 einer moderneren Version folgen.
Polen vertraut somit auf seinen langjährigen NATO-Partner in Washington, D.C.. Beim Besuch von US-Präsident Joe Biden in Warschau wurde diese Woche aber nicht nur über den enormen Waffendeal diskutiert, sondern auch über die mögliche Stationierung von weiteren US-Truppen im Land. “Wir sind mitten in den Gesprächen mit der Biden-Administration, um die Truppenpräsenz zu erhöhen”, sagte Polens Premier Morawiecki dem Fernsehsender CBS kurz vor dem Besuch des US-Präsidenten. Derzeit sind rund 10.000 US-amerikanische Soldat:innen in Polen nach dem Rotationsprinzip stationiert.
Ob der Wunsch des polnischen Premiers nach mehr Truppen erfüllt wird, bleibt laut Günther Hofbauer fraglich. “Wir können aber jedenfalls davon ausgehen, dass die Rotationen von US-amerikanischen Soldaten weiterhin zumindest auf dem derzeitigen Niveau bleiben werden.”
Polen zählt - neben den USA - auch zu den wichtigsten Unterstützern der Ukraine. Warschau lieferte bisher Waffen und militärische Hilfe in der Höhe von rund 2 Mrd. Dollar, darunter über 240 Panzer. Gleichzeitig hat Polen über 1,5 Millionen Flüchtlinge aus der Ukraine aufgenommen, so viele wie kein anderes Land.
Die Aufrüstung der polnischen Armee verfolgt vor allem ein Ziel: die Abschreckung von möglichen Aggressoren - im konkreten Fall: Russland. “Putin hat derzeit wenig Interesse an einer Konfrontation mit Polen - und in weiterer Folge einer direkten Konfrontation mit der NATO”, sagt Generalmajor Hofbauer. Dies sei durchaus eine Versicherung, welche die NATO ihren Mitgliedstaaten offenlege. “Polen hat allerdings stark aus seiner Geschichte gelernt. Das Land wurde immer wieder zwischen den Großmächten zerrieben. Mit einer klaren militärischen Positionierung will man dem zukünftig entgegenwirken.”