Wer derzeit an Wahlen auf dem Balkan denkt, der oder die schaut dieser Tage gen Belgrad. In Serbiens Hauptstadt gehen Tausende gegen mutmaßlichen Wahlbetrug auf die Straße. Der Grund: Die regierende Fortschrittspartei des Präsidenten Aleksandar Vučić steht im Verdacht, sich bei den Parlamentswahlen am 17. Dezember den Sieg in der Hauptstadt erschlichen zu haben. Während sich in Serbien die Frage stellt, ob die Wahl aus dem alten Jahr wiederholt werden muss, stehen in den Nachbarländern ebenfalls Urnengänge an.
Kein Staat auf dem Balkan wartet so lange auf den Beginn von EU-Beitrittsgesprächen wie das kleine Nordmazedonien. Das 1,8 Millionen-Einwohnerland hat dafür nach einem Veto Griechenlands sogar seinen Staatsnamen geändert. Es kostete die regierenden Sozialdemokraten viel Überzeugungsarbeit, die eigene Bevölkerung von diesem unpopulären Schritt zu überzeugen. Was hat Skopje damit gewonnen?
Nichts. Nach Griechenland blockiert mit Bulgarien der nächste Nachbar. Sofia will erst dann Beitrittsgesprächen zustimmen, wenn die rund 3.000 Bulgaren als ethnische Minderheit in der Verfassung Nordmazedoniens aufgenommen werden.
Für die Verfassungsänderung braucht es eine Zweidrittelmehrheit im Parlament. Die nationalkonservative Opposition „VMRO DPMNE“ stellt sich quer und warnt, dass Bulgarien die Geschichte Nordmazedoniens umschreiben wolle. Das stimmt insofern, als Sofia in der Tat bestreitet, dass das Nachbarland eine eigene Sprache besitzt. Ein Streit um die nationale Identität ist entbrannt.
Die Opposition könnte bei den Wahlen im Mai wieder stärkste Kraft werden, prognostiziert der Polit-Beobachter Rainier Jaarsma aus Skopje. Die VMRO werde damit Stimmung machen, dass Nordmazedonien zum Spielball seiner Nachbarn geworden sei. „Ohne die Opposition wird es keine Verfassungsänderung geben. Sie wird in Zukunft noch mehr Sitze im Parlament haben“, so Jaarsma.
Die Leidtragenden der Hinhaltetaktik Brüssels sind die pro-europäischen Sozialdemokraten. An ihr Versprechen, nur noch diese allerletzte Verfassungsänderung durchzuboxen, glaubt niemand mehr. Und so zeigt sich im kleinen Nordmazedonien das Grundproblem einer wachsenden EU. Für die Aufnahme neuer Mitglieder braucht es Einstimmigkeit. Und immer häufiger spielen nicht Reformen eine Rolle, sondern bilaterale Streitigkeiten.
Bosnien: Werden die Ethno-Nationalisten abgestraft?
Es gibt da eine Sache, in der Bosnien-Herzegowina Weltmeister ist. Die Wahlen in dem ethnisch fragmentierten Land gelten als die kompliziertesten der Welt. 2024 finden Wahlen auf Lokalebene statt.
Entsprechend der Formel „Ein Staat, zwei Entitäten und drei Völker“ hat der Vertrag von Dayton aus dem Jahr 1995 einen Bundesstaat mit zwei konstitutiven Landesteilen geschaffen: die muslimisch-kroatische Föderation von Bosnien und Herzegowina mit dem Zentrum Sarajevo und die serbische Republika Srpska mit der Hauptstadt Banja Luka.
Etwa die Hälfte der Bevölkerung sind muslimische Bosnier, ein Drittel orthodoxe Serben und rund 15 Prozent katholische Kroaten. Als Staatsoberhaupt und Zentralregierung fungiert ein dreiköpfiges Staatspräsidium, bestehend aus jeweils einem Vertreter der kroatischen Bosnier, der muslimischen Bosnier sowie der serbischen Bosnier.
Bei den vergangenen Wahlen im Jahr 2022 zeigte sich ein interessanter Trend. Die nationalistischen Parteien der drei Volksgruppen, besser bekannt als Troika, fuhren Verluste ein. Sowohl der Sitz der Bosniaken als auch der Kroaten im Staatspräsidium ging an moderate Kandidaten. Nur der Sitz der bosnischen Serben ging an eine Vertraute des Nationalistenführers Milorad Dodik.
Dieser unterhält enge Beziehungen zur Führung in Russland und Serbien. Er droht seit Jahren damit, die Republika Srpska vom Zentralstaat abzutrennen. Die kroatische HDZ versucht wiederum, eine eigene ethnische Entität aus dem Gesamtstaat zu lösen. Bosniens Ethno-Nationalisten haben den Staat zum Teil unregierbar gemacht.
„Die Lokalwahlen 2024 werden ein Test für die Bildung einer neuen Koalition bei den Parlamentswahlen 2026 sein“, glaubt der Politikwissenschafter Jasmin Mujanović. Er prognostiziert einen weiteren Rückgang der nationalistischen Troika-Parteien. Der Trend, dass Wähler eine Partei außerhalb ihrer ethnischen Gruppe wählen, könnte sich damit fortsetzen.
Rückt Rumänien nach rechts?
Auch Rumänien tritt im März 2024, gemeinsam mit Bulgarien, dem grenzkontrollfreien Schengenraum bei. Bukarest wartet seit über zehn Jahren auf diesen Beschluss, der lange am Widerstand Österreich scheiterte.
Es gibt eine Partei, die im Vorfeld der Parlamentswahlen mit dem Wiener Veto Stimmung gegen die EU macht. Gemeint ist die rechtsextreme und fremdenfeindliche „Allianz für die Vereinigung der Rumänen“ (AUR), die Parallelen zur FPÖ aufweist. Die AUR ist eine neue Partei. 2020 trat sie zum ersten Mal an. Umfragen zufolge hat sie sich seitdem mehr als verdoppelt. Bei den Wahlen könnte sie zweitstärkste Kraft werden. Claudiu Tufis, Politikwissenschafter an der Universität Bukarest, bezweifelt dennoch, dass die AUR die nächste Regierung stellt. Ihr Programm wird aber präsenter werden – auch in Brüssel.
Die AUR wird eine große Gruppe von Abgeordneten ins Europäische Parlament schicken
Claudiu Tufis, Politikwissenschafter an der Universität Bukarest
„Die AUR wird eine große Gruppe von Abgeordneten ins Europäische Parlament schicken und sich wohl einer rechtspopulistischen Allianz anschließen“, so Tufis. Schon jetzt sucht die Partei den Schulterschluss mit euroskeptischen Parteien in Europa. Ihr Vorsitzender George Simion vergleicht den Führungsstil der EU mit jenem der Sowjetunion, und er meint das ernst. Schafft er es in die Regierung, dann könnte Rumänien in die Fußstapfen von Viktor Orbáns Ungarn treten.
Seit dem Krieg in der Ukraine kommt Rumänien laut dem Polit-Beobachter Tufis außerdem eine geostrategische Schlüsselrolle zu: „Rumänien ist der Außenposten von EU und NATO im Osten, ein Nachbar der Ukraine und ein Schwarzmeerland. All das macht Rumänien zum zentralen Ziel des russischen Einflusses.“ Der wachsende Einfluss der AUR könnte Rumänien „zu einem weiteren schwierigen Fall an der Ostgrenze machen“. Wladimir Putin dürfte das freuen.
Kroatien: Bleibt alles wie zuvor?
Kroatien, seit 2013 in der EU und seit vergangenem Jahr Teil des Euro,- und Schengenraums, hält dieses Jahr gleich zwei Wahlen ab. Parlamentswahlen im Frühjahr und Präsidentschaftswahlen im Dezember. Bis 2020 hielt die „Kroatische Demokratische Gemeinschaft“ (HDZ) – derzeit stärkste Kraft im Parlament – beide Ämter.
Ihre Kandidatin Kolinda Grabar-Kitarović, die dem nationalistischen Flügel der HDZ angehört, wurde bei den letzten Präsidentschaftswahlen überraschend von dem Sozialdemokrat Zoran Milanović abgelöst. Er warf der Präsidentin unter anderem vor, „patriotische Scheindebatten“ über die Vergangenheit zu führen. Kroatien müsse die Jugoslawienkriege endlich hinter sich lassen.
Die Rolle des Staatsoberhauptes ist in Kroatien weitgehend repräsentativ und damit weniger bedeutend. Die Regierungsgeschäfte führt weiterhin der HDZ-Politiker Andrej Plenković. Seine Wiederwahl gilt als sehr wahrscheinlich, meint Tena Prelec, Professorin an der Universität Rijeka. Der Premier werde im Wahlkampf vor allem damit punkten, dass Kroatien in seiner Amtszeit dem Schengenraum beigetreten ist sowie den Euro als Währung eingeführt hat. Was Plenković laut der Beobachterin Prelec allerdings unbeliebt mache, ist, dass seine Minister in eine Reihe von Korruptionsfällen und Skandalen verwickelt waren. Dennoch: Der Regierungschef verfügt über ein gutes Image im Ausland und über enge Kontakte nach Brüssel. Die HDZ ist Teil der Europäischen Volkspartei (EVP), der größten Fraktion im EU-Parlament.