Experte zur Wiederwahl Trumps: „Es kann sehr schnell zu Gewalt kommen“
Von Siobhán Geets
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In Ihrem Buch „It Can Happen Here“ (2021) – Es kann hier passieren – warnen Sie angesichts wachsender Sympathien für „White Supremacy“ – der rassistischen Theorie von der vermeintlichen Überlegenheit Menschen weißer Hautfarbe – vor großflächiger Gewalt gegen Minderheiten und sogar vor einem Genozid in den USA. Übertreiben Sie da nicht maßlos?
Alexander Hinton
„Es“ kann jedenfalls hier geschehen, es ist bereits geschehen, nämlich gleich mehrmals in der Geschichte Amerikas. Es gab Massengewalt, Genozide, Gräuelverbrechen und Vertreibungen. Bis zur Bürgerrechtsbewegung in den 1950ern und 1960ern hatten wir Jim Crow (System der Rassenhierarchie in der US-Gesellschaft, Anm.), das ist nicht lange her. So etwas kann wieder geschehen. Wir müssen wachsam bleiben.
Gegen wen könnte sich die politische Gewalt diesmal richten?
Hinton
Immigranten, die Trump als „illegal aliens“ bezeichnet und die er massenhaft deportieren will, könnten rasch zum Ziel werden. Trumps Kampagne hat klug agiert und klar zwischen illegalen und legalen Migranten unterschieden. So konnte er auch Menschen mit Migrationshintergrund überzeugen: Die Kriminellen müssen aus der Gesellschaft entfernt werden. Im Unterschied zu den Wahlen von 2016 und 2020 hat diesmal auch eine Mehrheit der Latino-Männer für Trump gestimmt. Es wird zunehmend schwieriger, seine Anhänger als Rassisten zu brandmarken.
Trump ist einzigartig. Er ist manipulativ und weiß, wie man Botschaften für die Massen formuliert.
Welche Gruppen sehen Sie noch gefährdet?
Hinton
Die queere Community, allen voran die Trans-Community, sowie Frauen, deren Rechte in Gefahr sind. Der Post des rechtsextremen Aktivisten Nick Fuentes auf X, „Your Body, My Choice“ (Eine Umkehrung des Slogans der Frauenrechtsbewegung „My Body, My Choice“, Anm.) wurde Zehntausende Male geteilt und geliked. Die Normalisierung von Sexismus und Diskriminierung kann zu mehr realer Gewalt gegen Frauen führen.
Das ist nachvollziehbar, aber wo sehen Sie die Gefahr eines Genozids?
Hinton
Solche Gräuel können schnell geschehen, wir dürfen uns da nichts vormachen. Aber ja: Genozid ist ein Element des „es“, zu dem es kommen kann. Die anderen sind Gewalt, demokratische Rückschritte, ein Kippen ins Autoritäre. Es ist alarmierend, dass sich Trump offenbar Ungarns Regierungschef Viktor Orbán zum Vorbild gemacht hat.
Gewaltbereite Gruppen wie jene beim Aufmarsch Rechtsextremer in Charlottesville 2017 und dem Sturm aufs Kapitol 2021 sind eine Minderheit. Haben Sie kein Vertrauen in die Institutionen und Sicherheitskräfte der USA?
Hinton
Doch, aber es kommt darauf an, wer die politische Macht ausübt. Befiehlt der Präsident die rasche Durchführung von Massendeportationen, kann es schnell zu Gewalt kommen. Wir reden hier nicht von Genozid, sondern vom potenziellen Bruch mit Menschenrechten in großem Stil und von demokratischen Rückschritten in den USA. Auch Trumps Vorbild Orbán hat sich langsam, Schritt für Schritt, die Medien und das Justizsystem einverleibt.
Wird Trump versuchen, politische Gegner zu verfolgen?
Hinton
Etwas in diese Richtung wird er wohl tun müssen, um sich nicht dem Vorwurf auszusetzen, ein Schwätzer zu sein. Trump 2.0 ist erfahrener, und seine Leute sind es auch. Sie werden so schnell wie möglich versuchen, zumindest großangelegte Deportationen zu organisieren.
Wird es in Trumps Kabinett „Erwachsene im Raum“ geben?
Hinton
Absolut. Dazu gehören der als Außenminister gehandelte Marco Rubio sowie Stabschefin Susie Wiles. Nur: Trump hat ein Mandat für die Deportationen, sie sind keine Randidee, sondern ein Versprechen. Er wird auch seine Mauer an der Grenze zu Mexiko fertig bauen.
Was erwarten seine Wähler sonst noch, was wird Trump sofort tun?
Hinton
Er will die „Wirtschaft reparieren“ und den Krieg in der Ukraine beenden. Es soll massiv dereguliert, die Klimainitiativen Bidens gestrichen werden.
Donald Trump hat neben den Wahlmännern auch die Mehrheit aller abgegebenen Stimmen gewonnen. Sein Sieg ist die Folge der Radikalisierung der Republikaner und ihren Wählern seit den 1990ern. Wie kann Amerika zurückfinden zu einer normalen politischen Kultur, zur Überwindung der Polarisierung?
Hinton
Das ist einfach: In vier Jahren ist Trump weg, und mit ihm wird auch die MAGA-Bewegung verschwinden.
Glauben Sie wirklich, der Trumpismus wird mit Trump enden?
Hinton
Der erfolgreiche Trumpismus, ja. Trump ist einzigartig, er ist manipulativ und weiß, wie man Botschaften für die Massen formuliert. Ich war bei vielen seiner Veranstaltungen und habe gesehen, wie die Menschen auf ihn reagieren. Sie mögen auch JD Vance, aber er ist eben nicht Trump. Trump vermag an einem Tag an drei verschiedenen Orten aufzutreten und jedes Mal Tausende Menschen anzulocken. Vor zwei Wochen war ich in Wisconsin, ich kam sieben Stunden vor Beginn und schon war alles voll. Die Menschen warten in der Kälte, um Trump zu sehen.
Radikalisierung geht schnell, Deradikalisierung ist ein schwieriger Prozess. Können die Republikaner über Nacht wieder zur Partei Ronald Reagans werden?
Hinton
Nicht über Nacht. Aber die Menschen lieben Reagan immer noch. Sobald Trump weg ist, ist der Weg frei für eine Rückkehr zur Normalität. Er wird bald 80 sein, es gibt keinen Nachfolger. Es wird nicht genauso werden, wie es vor Trump war, doch nach ihm werden traditionelle Konservative auftauchen – vorausgesetzt, es kommt nicht zu massiven demokratischen Rückschritten.
Wie können die Demokraten ehemalige Stammwähler zurückgewinnen?
Hinton
Widmen sich die Demokraten wieder den Anliegen der Arbeiterklasse und lassen die Identitätspolitik hinter sich, werden sie wieder bessere Ergebnisse einfahren.
Ironischerweise hilft der Faschismusbegriff Trump. Er sagt: Sie nennen euch Abschaum, sie nennen euch Faschisten und Rassisten.
Seine Anhänger sehen Trump als Retter, nach dem Attentat in Butler als von Gott auserwählt. Ein Führerkult ist, neben Nationalismus sowie rechtsradikalem und antidemokratischem Gedankengut, ein Merkmal von Faschismus. Aber war der Faschismus-Vorwurf, den Kamala Harris im Wahlkampf gegenüber Trump erhob, gerechtfertigt?
Hinton
Der Begriff wird zu inflationär genutzt. Sein Ursprung, der italienische Faschismus Mussolinis, hat wenig mit den Gefahren zu tun, die von Trump ausgehen oder von Orbán. Ironischerweise hilft der Faschismusbegriff Trump. Er sagt: Sie nennen euch Abschaum, sie nennen euch Faschisten und Rassisten. Das macht die Menschen wütend, und es spaltet, weil schon wieder von „uns“ und „ihnen“ die Rede ist. Diese Sprache der Spaltung spielt eine große Rolle bei Trumps Veranstaltungen, seine Anhänger meinen etwa, „sie“ hätten versucht, ihn zu töten. Trump einen Faschisten zu nennen, hilft auch nicht dabei zu verstehen, was in Amerika geschieht.
Sie haben die vergangenen neun Jahre viel Zeit auf Trump-Veranstaltungen verbracht und mit seinen Anhängern gesprochen. Was war deren Hauptmotiv, ihn zu wählen?
Hinton
Inflation. Ohne die hohe Teuerung unter Biden wäre das Ergebnis anders ausgefallen.
Biden hat Inflation und Arbeitlosigkeit erfolgreich bekämpft, wieso ist das nicht bei den Menschen angekommen?
Hinton
Während Trumps Präsidentschaft war alles billiger, das ist die tägliche Realität der Menschen, die Trump aufgreifen konnte. Ich habe von Trumps Anhängern immer wieder gehört, dass Bidens Administration die Inflation durch seine Investitionspolitik weiter angeheizt hat. Die meisten Menschen interessieren sich nicht für Politik, wichtig ist die Botschaft, und die war klar: Make Amerika Great Again. Die Slogans waren sehr effektiv: Trump steht für niedrige Preise, Harris für Teuerung. Trumps steht für niedrige Steuern, Harris für hohe. Trump steht für geschlossene Grenzen, Harris für offene. Was war die Botschaft der Demokraten? Das war unklar.
Trump gilt seinen Anhängern als Kämpfer gegen eine verrückte linke Woke-Politik. Ein Schwerpunkt waren die Rechte von Trans-Personen: Geschlechtsangleichende Maßnahmen für Kinder, Transfrauen im Sport,… Was haben die Demokraten falsch gemacht?
Hinton
Es war die Rede vom „Trans-Wahnsinn“. Der Fokus der Demokraten auf Gleichberechtigung und Chancengleichheit führt ironischerweise dazu, dass sich Trumps Anhänger ausgeschlossen fühlen. Vor allem junge weiße Männer sehen sich in ihrer Meinungsfreiheit eingeschränkt. Die Auseinandersetzung mit den Privilegien der Weißen und mit der Schuldfrage hat bei ihnen zu Zorn und Ressentiments geführt. Das Trans-Thema ist ein Bestandteil dessen, was Trumps Anhänger als radikale linke Agenda verstehen.
Die Debatte über Transfrauen im Frauensport und in Umkleidekabinen hat vor allem weiße Frauen mit Collegeabschluss gegen die Demokraten aufgebracht.
Hinton
Die Transdebatte wurde ab 2023 zum dominanten Thema. Am meisten Applaus bekam Trump, wenn er vom „Trans-Wahnsinn“ sprach. Er behauptete, dass Eltern nicht mehr über ihre Kinder entscheiden dürfen, dass der Staat über ihr Geschlecht entscheidet, und dass als Männer geborene Personen im sportlichen Wettbewerb gegen Frauen antreten.
Die Demokraten müssen ihr Konzept von sozialer Gerechtigkeit überdenken.
Letzteres ist tatsächlich der Fall...
Hinton
Bei den typischen Wählern in den Suburbs, den Vororten großer Städte, kommt das alles nicht gut an, dort hat Trump dazugewonnen. Die Demokraten müssen ihr Konzept von sozialer Gerechtigkeit überdenken. Sie dürfen es nicht aufgeben, aber sie müssen ihre Botschaften überarbeiten, denn viele Menschen empfinden ihre Forderungen als ideologische Gehirnwäsche.
Chancengleichheit für Schwarze zu fordern ist doch etwas anderes als Transfrauen, die eine männliche Pubertät durchlebt haben, im Sport gegen Frauen antreten zu lassen.
Hinton
Es ist nicht wirklich etwas anders, zumindest nicht für Trumps Anhänger. Das Konzept von Diversität, Chancengleichheit und Inklusion (Diversity, Equity und Inclusion, DEI), dem etwa Schulpsychologen folgen und das auf Universitäten gelehrt wird, wird als Bedrohung und Zensur empfunden. Trump hat das erkannt und sehr effektiv für sich genutzt.
Alexander Laban Hinton, 61,
ist Professor für Anthropologie mit Schwerpunkt Völkermord, Massengewalt, Extremismus, Übergangsjustiz und Menschenrechte. Er ist Direktor des Center for the Study of Genocide and Human Rights an der Rutgers University in New Jersey und Vorsitzender für die Prävention von Völkermord bei der Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur (UNESCO). Zuletzt erschien sein Buch „Perpetrators: Encountering Humanity’s Dark Side“ (Stanford, 2023).
Siobhán Geets
ist seit 2020 im Außenpolitik-Ressort.