Mensch des Jahres

Wolodymyr Selenskyj: Comedy Challenges

Können Komiker Politiker im Krieg sein?, fragt Dirk Stermann und malt sich bange aus, wer hierzulande nicht das Zeug dazu hätte.

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von Dirk StermannDer Stand-up-Comedian Anton Tymoshenko tritt regelmäßig in Luftschutzkellern in Kiew auf, während seine Stadt bombardiert wird. "Bist du ein guter Comedian in den USA, bekommst du eine Late-Night-Show, bist du ein guter Comedian in der Ukraine, kannst du Russland zerstören", sagt er.

In Wien und dem Rest der westlichen Welt führen Komiker ein anderes Leben, und es ist unmöglich, sich in die Kolleginnen in der Ukraine hineinzuversetzen. Wenn nicht darüber gejammert wird, dass Kabarettbühnen schlechter besucht sind als vor Corona, sondern weil das Publikum geflüchtet, gefallen oder schwer verletzt wurde.

Wie kann man von hier Wolodymyr Selenskyj beurteilen? Einen Komiker, der Kriegspräsident wurde. Humor, so sagt man, sei Trotz gegen eine feindliche Wirklichkeit. Groucho Marx, der Jude war und dem deshalb die Aufnahme in den Santa Monica Beach Club verweigert wurde, antwortete dem Chef des Clubs auf den Absagebrief: "Und darf meine Tochter, die 'Halbjüdin' ist, dann vielleicht bis zur Hüfte in den Pool?"

Selenskyj, der auch Jude ist, hätte Putin in einer anderen Situation vielleicht auch einen so klugen und komischen Brief geschrieben, aber die russische Armee ist kein Beach Club, und was am Dnepr geschieht oder am Schwarzen Meer ist für Pointen zu schlimm.

Zappt man durch unsere Kanäle und schaut sich Comedy-Formate an, was eine wirkliche Challenge ist, weshalb der Titel der neuesten ORF-Show ja durchaus passend war, dann wird es schwerfallen, geeignete Komikerinnen für ein Präsidentenamt zu finden.

Mario Barth? Mich? Eben. Die Auswahl ist trist, und man will es sich nicht ausmalen. Nicht einmal Hazel Brugger oder Stefanie Sargnagel traue ich es zu, ein Land gegen Putin im Krieg zu führen. Auf der anderen Seite: Hätte Sargnagel im Kreml das Sagen und Brugger nach einem Reisepasswechsel in Österreich, der Krieg wäre sofort beendet. Doch leider bekommen Ausländer so schwer die österreichische Staatsbürgerschaft, und der klein gewachsene Putin wird sich gegen Sargnagel wehren und sie wahrscheinlich zu Nawalny in den Gulag stecken.

Können Komiker Politiker im Krieg sein? Loriot war Soldat im Krieg, aber nicht als Präsident. Der deutsche Nachkriegshumorist Heinz Erhard("Ich heiße Heinz Erhard und Sie herzlich willkommen")war Soldat, aber auf Bühnen, um die Wehrmachtssoldaten zu unterhalten. Sammy Davis Jr. war Soldat. Tony Curtis, viele andere, aber als Kriegspräsident? Da steht Selenskyj ganz einsam da. Im grünen Camouflage-Leiberl, ernst, entschlossen.

Der in Berlin auftretende britische Comedian Johnny Armstrong endet seine Auftritte immer mit den Worten: "Das war englischer Humor. Wenn er euch nicht gefallen hat, hättet ihr den Krieg gewinnen sollen."

Krieg und Humor gehören auf Bühnen und Krieg ins Museum, wie es richtig auf den Werbeplakaten des Heeresgeschichtlichen Museums heißt.

Der afghanische Komiker Nazar Mohammad wurde von den Taliban ermordet. Die Taliban sind wie Putin. Sie spaßen nicht.

Jón Gnarr war Bürgermeister von Reykjavík. Nach der isländischen Finanzkrise, die das Land erschütterte, gründete er die "Beste Partei",und weil die "Beste Partei" als einzige nicht in Skandale verwickelt war, wurde er gewählt, und siehe da: Er war ein sehr guter Bürgermeister. Der Komiker führte die Stadt zurück auf die Erfolgsspur und trat nach vier Jahren nicht mehr an, weil es mehr im Leben gibt, als Politiker zu sein, wie er fand. (Haben Sie, Herr Sobotka, diesen Satz gelesen? Ja? Und verstanden?)

Es heißt, Selenskyj habe Putin 2019 bei ihrem ersten Treffen verärgert, weil er lustig mit Merkel herumgealbert habe. Und in Paris auf einem gemeinsamen Foto hinter Putins Kopf Hasenohren gemacht habe. Tatsächlich ist das Foto montiert. Selenskyj ist ja nicht sechs Jahre alt. Aber dass er nicht wie Putin mit versteinerter KGB-Visage neben Merkel saß, empfand Rasputin als ungehörig.

Im Gegenzug verschickten russische Bots Fotos, die Selenskyj 1991 auf der Gay Parade in New York zeigten. Denn das ist aus Moskauer Sicht das Schlimmste: Schwule. Aber auch die Bilder entpuppten sich als Fake. Selenskyj war damals erst 13 Jahre alt und sah noch nicht aus wie der heutige Wolodymyr.

Der Vater des heutigen ukrainischen Präsidenten hat seinem Sohn einen Rat gegeben: "Tu nicht so, als seist du besser, als du in Wirklichkeit bist. Zeig Menschen deine Schwächen genauso wie deine Stärken. Zeig ihnen, dass du einer von ihnen bist."

Ich weiß nicht, was Putins Vater dem kleinen Wladimir mit auf den Weg gegeben hat. Wahrscheinlich nichts.

Dirk Stermann, geboren 1965 in Duisburg, ist Kabarettist, Fernsehmoderator und Buchautor. Bekannt wurde er durch die gemeinsam mit Christoph Grissemann moderierte Satire-Radiosendung "Salon Helga", seit 2007 haben die beiden mit "Willkommen Österreich" ihre wöchentliche Fernsehshow. Zuletzt erschien von Stermann der Roman "Maksym" über einen ukrainischen Türsteher, Kampfsportler und Babysitter.