Zensur in China: Epidemie der Wut

Chinas Regierung geht nicht nur mit beispielloser Härte gegen die Ausbreitung des Coronavirus vor - sondern auch gegen die Verbreitung von Informationen darüber.

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Fast 50.000 Infizierte allein in der zentralchinesischen Provinz Hubei und 1300 Tote weltweit verzeichneten Behörden - zumindest offiziell - im Kampf gegen das Coronavirus (offizieller Name mittlerweile: Covid-19) bis Donnerstag vergangener Woche. Schon jetzt hat die Krankheit damit mehr Tote gefordert als die SARS-Pandemie vor 17 Jahren, die ebenfalls von China ausging. Inzwischen haben Trotz und Wut, mit denen die Bevölkerung auf das Versagen und die Zensur der Machthaber reagiert, die chinesische Führung in die größte Krise seit den Studentenprotesten am Platz des Himmlischen Friedens 1989 gestürzt. In einem weltweiten Ranking der Pressefreiheit liegt China auf Platz 177; nur Eritrea, Turkmenistan und Nordkorea schneiden schlechter ab. Seit Ausbruch des Virus aber bedient sich die Regierung einer Zensur der Medien, die selbst für China beispiellos ist - und trotzdem versagt.

Online-Aufschrei

Der Aufschrei nach freier Meinungsäußerung vereint das Volk online. Li Wenliang gibt der Online-Revolte ein Gesicht. Als einer der Ersten warnte der 34-jährige Arzt und Familienvater aus Wuhan bereits im Dezember vor dem Virus. Für seine Vorsicht wurde er, wie in China üblich, von der Staatspolizei abgeholt, verhört und gezwungen, ein Gelöbnis zu unterschreiben, in dem er verspricht, kein Wort mehr über einen möglichen Ausbruch zu verlieren. Auf seinen eigenen Online-Accounts berichtete Li später über das Verhör und wurde für seinen Mut prompt zum Helden. Nun ist aus ihm ein Märtyrer geworden. Als er vergangene Woche am Virus starb, berichteten chinesische Zeitungen zwar darüber, schon wenige Stunden später jedoch waren sämtliche Informationen über seinen Tod verschwunden.

Die Nachricht hatte sich aber längst verbreitet. Millionen von Chinesen posteten auf privaten Accounts die Nachricht von Lis Tod, veröffentlichten Petitionen und offene Briefe an die Regierung oder Videos von Protestliedern. Seither kämpft die Regierung mindestens so erbittert gegen "falsche Nachrichten" wie gegen das Virus selbst. Private Nachrichten und Posts in Chatgruppen werden gelöscht, Algorithmen suchen nach Keywords und blockieren Nachrichten, bevor sie sich überhaupt senden lassen. Bewohner der Stadt Wuhan berichten, dass ihre Accounts auf WeChat - einer beliebten chinesischen App, die Bankomatkarte, WhatsApp, Facebook und Instagram zugleich ist - plötzlich gesperrt wurden. Wer Kritik übt, bekommt schnell Besuch von den Behörden.

Auch ein bekannter Anwalt und ein Unternehmer, die auf ihren Social-Media-Kanälen über die Lage in Wuhan informierten, sind spurlos verschwunden. Bereits seit vergangenem Jahr steht der 88-jährige Arzt Jiang Yanyong, der das Vertuschen der SARS-Epidemie publik gemacht hatte und damit zum Nationalhelden wurde, unter Hausarrest.

Die Härte, mit der die chinesische Regierung vorgeht, zeigt: Sie hat vor der Coronavirus-Epidemie nicht mehr Angst als vor einer Epidemie der Wut.