Zwischen OP-Tisch und Gefängniszelle: Eine Gynäkologin im Kampf um Polens Frauenrechte
Der 11.Dezember könnte für Maria Kubisa alles entscheiden. An diesem Tag soll ein Gericht darüber entscheiden, ob sie für drei Jahre ins Gefängnis muss. Im Kampf um das Recht auf Schwangerschaftsabbrüche in Polen ist Kubisa das prominenteste Gesicht. In Polen dürfen Frauen seit 2020 nur abtreiben, wenn sie vergewaltigt wurden, Inzest vorliegt oder ihr Leben in Gefahr ist. Trotz dieses restriktiven Gesetzes soll Doktor Kubisa ungewollt Schwangeren Abtreibungsmedikamente verschrieben haben – was sie bestreitet . Sollte sie schuldig gesprochen werden, drohen ihr bis zu drei Jahre Haft. Doch wer ist diese Frau? profil hat mit der Frau gesprochen, die nicht aufgibt, solange sich die Lage für Polinnen nicht deutlich verbessert.
Maria Kubisa ist Gynäkologin in Stettin, einer polnischen Hafenstadt mit fast 400.000 Einwohner:innen, nur 14 Kilometer entfernt von der deutschen Grenze. In der Perkoza Straße in Stettin befindet sich die gynäkologische Praxis von Doktor Maria Kubisa. Im Jänner vergangenen Jahres stürmten Uniformierte die Ordination und beschlagnahmten mehr als 6000 vertrauliche Patientinnenakten. Der Vorwurf: Beihilfe zum Schwangerschaftsabbruch in fünf Fällen. Dass Maria Kubisa Patientinnen Abtreibungspillen verschrieben hat, bestreitet sie.
Stettin-Deutschland und retour?
Wenn Maria Kubisa spricht, dann drückt sie sich präzise aus, sie bringt ihre Meinungen klar auf den Punkt und scheut nicht vor Kraftausdrücken – etwa, wenn sie im Gespräch mit profil über die rechtsnationalistische, klerikal-konservative PiS-Partei (Prawo i Sprawiedliwość, Dt.: Recht und Gerechtigkeit) oder die Kirche spricht. „Die Kirche ist in Polen die größte Plage. Sie ist der Grund, warum die PiS-Partei so groß ist.“ Die polnische Kirche ist formal zwar vom Staat getrennt, übt jedoch durch historische Verwurzelung und gesellschaftlichen Einfluss starke politische und kulturelle Macht aus – insbesondere auf die PiS und ihre Anhänger.
Für ihr Medizinstudium, das sie 1998 abschloss, verließ die gebürtige Stettinerin Polen, zog ins deutsche Rostock und später nach Tübingen. „Damals bereute ich fast, dass ich zurück nach Polen gekommen bin, auch, weil hier die Arbeitsverhältnisse – vor allem für junge Ärzte – viel prekärer sind“, erzählt sie. Mittlerweile kann sich Kubisa nicht mehr vorstellen, im Ausland zu leben – ihrer Patientinnen und Unterstützer:innen wegen. Ganz verlassen hat sie Deutschland aber nie. In der Brandenburger Stadt Prenzlau betreibt Kubisa eine zweite gynäkologische Praxis, in der sie vor allem polnische Patientinnen betreut: „Viele Deutsch-Polinnen und Frauen, die aus Polen anreisen, kommen zu mir, einige Deutsche sind aber auch dabei.“ In Prenzlau führt Kubisa – legal - Schwangerschaftsabbrüche und Sterilisationen durch. Zum Zeitpunkt des Videointerviews mit profil sitzt die Gynäkologin in ihrer Prenzlauer Ordination. Kubisa ist eine vielbeschäftigte Ärztin. Das Interview mit profil musste zweimal kurzfristig verschoben werden, weil die 58-Jährige spontan operieren musste.
Mir tun nur die Frauen leid. Im Wahlkampf wurde ihnen versprochen, dass sich etwas ändert, und sie wurden im Stich gelassen.
Polen, das bald kinderlose Land
Seit in Polen die Abtreibungsgesetze 2020 nochmals verschärft wurden, ist in Kubisas deutscher Praxis die Anzahl der Patientinnen, die sich sterilisieren lassen wollen massiv gestiegen: „Selbst Frauen mit Kinderwunsch trauen sich nicht mehr, schwanger zu werden. Sie haben Angst davor, dass es zu Komplikationen kommt und sie nicht abtreiben können, sollte ihr Embryo eine Fehlbildung aufweisen.“
In Polen ist Frauen, anders als Männern, die medizinische Sterilisation gesetzlich verboten. Polinnen fahren für den Eingriff ins Ausland – etwa zu Maria Kubisa nach Prenzlau. Die immense medizinische Benachteiligung hört bei restriktiven Abtreibungsgesetze und dem Verbot auf Sterilisation nicht auf; auch die „Pille danach“ ist in Polen, nicht wie in Österreich, rezeptpflichtig.
Die seit Ende 2023 regierende liberalkonservative Koalition unter Ex-EU-Ratspräsident Donald Tusk versprach Polinnen, das restriktive Abtreibungsgesetz zu lockern und, die „Pille danach“ rezeptfrei zu machen. Doch Präsident Andrzej Duda von der PiS-Partei blockierte die Gesetzesänderung.
Das andere Wahlversprechen, nämlich Schwangerschaftsabbrüche im Fall eines nicht überlebensfähigen Fötus zu legalisieren, konnte bisher ebenfalls nicht gehalten werden, da nicht nur Duda, sondern auch einige Abgeordnete dagegen sind und sich im Parlament keine Mehrheit findet.
„Frauen wurden im Stich gelassen“
Ein herber Schlag für polnische Frauen, aber auch für Maria Kubisa: „Ich habe mich mittlerweile an den Hass der PiS gewöhnt. Mir tun nur die Frauen leid. Im Wahlkampf wurde ihnen versprochen, dass sich etwas ändert, und sie wurden im Stich gelassen.“ Seit Jahren setzt sich Kubisa öffentlich für Frauenrechte in Polen ein. Es gibt kaum eine Person im Land, die ihren Gerichtsprozess, die Razzia ihrer Praxis und ihre klare Haltung nicht kennt.
Im April kandidierte Kubisa bei den Gemeinderatswahlen in ihrem Landkreis Stettin für die liberalkonservative Partei Koalicja Obywatelska (KO) von Premier Tusk. Sie bekam 11230 Stimmen und somit ein Mandat im Landtag. „Viele Frauen, die mich in den letzten Jahren unterstützt haben, haben mich zur Kandidatur überredet. Da wollte ich ihnen den Gefallen tun“, so die Gynäkologin. Auf Gemeindeebene möchte sich Kubisa für reproduktive Rechte einsetzen.
Unterstützerinnen hat die Polin jedenfalls genug. Frauen, denen sie geholfen hat, Frauen, die sie als Ärztin betreut hat, und Frauen, die sie unterstützen, weil sie sich klar und lautstark für längst überfällige reproduktive Rechte ausspricht. Vor der Wahl postete Kubisas Tochter, die die Facebook-Seite ihrer Mutter managt, Fotos von Polinnen, die ein Blatt Papier hochhalten. „Ich unterstütze Maria Kubisa“, steht darauf geschrieben, oder: „Am 7.April bekommt Maria Kubisa meine Stimme“.
Die wohl bescheidenste Frauenrechtskämpferin
Als Feministin bezeichnet sich die 58-Jährige trotzdem nicht. Dann schon lieber als Kämpferin: „Ich finde, dass alle Personen dieselben Rechte haben sollten. Egal, ob Frauen oder Menschen aus der LGTBQ-Community. Ich verstehe nicht, wieso sie in diesem Land nicht ernst genommen werden. Wir leben alle in diesem Land, zahlen Steuern und arbeiten.“
Rund zwanzig Minuten dauert das Videotelefonat mit Kubisa, danach muss sie zurück an den OP-Tisch. In wenigen Wochen erfährt die Frauenärztin, ob sie weiterhin praktizieren darf – oder hinter Gitter muss. Angst hat Kubisa keine: „Wovor? Ich habe doch nichts falsch gemacht und werde bis zum Ende kämpfen“, sagt sie gegenüber profil: „Ich freue mich sogar schon darauf. Dieser ganze Prozess zieht sich schon seit fast zwei Jahren und liegt mir wie ein Stein am Herzen.“ – Maria Kubisa einzuschüchtern, schafft nicht einmal eine drohende Haftstrafe.