Ballhausplatz 28

EU-Diplomat Bogensberger nervt „dass Ukraine & EU als Kriegstreiber verunglimpft werden“

Der Leiter der Vertretung der EU-Kommission in Wien, Wolfgang Bogensberger, chattet über nervige Wahlkampfthemen, fehlende Klimapläne und österreichische Besonderheiten.

Drucken

Schriftgröße

In einer Woche wird gewählt. Am 9. Juni bestimmt Österreich seine 20 Abgeordneten für das Europäische Parlament. Sie werden Österreich in Europa vertreten, gemeinsam mit dem Europäischen Rat EU-weit geltende Gesetze beschließen und die Europäische Kommission kontrollieren. Direkt betroffen: Wolfgang Bogensberger. Der gelernte Jurist leitet die Vertretung der Europäischen Kommission in Österreich und ist somit sozusagen Brüssels Botschafter in Wien. 

Bogensberger war Richter am Jugendgerichtshof, Staatsanwalt und Leiter der Straflegistiksektion des Justizministeriums bevor er zur Europäischen Kommission nach Brüssel wechselte. 2016 kehrte er als Stellvertreter von Martin Selmayr zurück nach Wien. Der gebürtige Deutsche Selmayr hatte letztes Jahr für diplomatische Verstimmungen gesorgt als er erklärte, Österreich schicke „Blutgeld mit der Gasrechnung nach Russland“. Mit 1. Februar übernahm Bogensberger die Leitung der Vertretung. 

Der Österreicher agiert zwar auf heimischem diplomatischen Parkett und zählt beim Stiegensteigen jede Stufe, schreibt im Chat aber offen darüber, warum Österreich beim Klimaplan länger braucht als alle anderen EU-Staaten, was sich im Umgang mit der EU ändern sollte und welche Themen ihm im österreichischen EU-Wahlkampf auf die Nerven gehen:

Max Miller

Herr Bogensberger, sind Sie eigentlich froh, dass der EU-Wahlkampf bald wieder vorbei ist?

Wolfgang Bogensberger

Nein, Wahlkampf gibt die Gelegenheit, darauf hinzuweisen, wie wichtig die EU-Mitgliedschaft ist und wie wir alle Europas Zukunft mitgestalten können. Es könnte durchaus länger dauern, gerne mit stärkerem Fokus auf Sachthemen.

Max Miller

Auf welches konkrete Sachthema würden Sie mehr Fokus wünschen?

Wolfgang Bogensberger

Wie wir mit den Folgen des russischen Angriffskriegs umgehen sollen – auch mit Blick auf unsere europäische Friedensordnung – und wie es uns gelingen kann, auf die Klimaerhitzung adäquat zu reagieren.

Max Miller

Im Kampf gegen die Klimakrise sollen die EU-Staaten einen Nationalen Energie- und Klimaplan an die EU-Kommission schicken. Als einziges Land blieb Österreich bisher säumig. Wie erklären Sie das Ihren Kolleg:innen in Brüssel?

Wolfgang Bogensberger

Das muss Österreich erklären. Unsere Aufgabe ist eher, hierzulande daran zu erinnern, dass die Deadline im Juni 2023 abgelaufen ist. Und darauf hinzuweisen, dass Österreich mittlerweile das einzige Land ist, das noch keinen Entwurf übermittelt hat.

Max Miller

Aber fragt Sie in Brüssel niemand, was da in Wien eigentlich los ist?

Wolfgang Bogensberger

Schon. Wir werden häufig gefragt, wo denn das Problem liege, in einem Land, das bereits 2040 klimaneutral sein möchte – also 10 Jahre früher als die EU insgesamt.

Max Miller

Und was antworten Sie dann?

Wolfgang Bogensberger

Wir bieten eine positive Interpretation an. Offenbar arbeitet Österreich an einem besonders ambitionierten Plan – und das braucht ein bisserl länger 😉.

Max Miller

Das ist wirklich sehr optimistisch! Auf welche andere österreichische Eigenheit werden Sie besonders oft angesprochen?

Wolfgang Bogensberger

Wie es denn sein kann, dass ein Land, das nachweislich so stark von der EU und ihrem Binnenmarkt profitiert, bei Umfragen über die EU-Begeisterung stets im hinteren Drittel liegt.

Max Miller

Und was ist Ihr Rezept gegen den österreichischen EU-Frust?

Wolfgang Bogensberger

Wir müssen aufhören, Erfolge zu nationalisieren bzw. zu regionalisieren und Misserfolge zu europäisieren. Es braucht ein viel stärkeres Bewusstsein, dass die EU kein fremdes Wesen namens Brüssel ist, sondern dass wir alle die EU sind und sie auch mitgestalten – zum Beispiel bei der Europawahl. Wir haben gemeinsame Erfolge und wenn etwas ausnahmsweise 😉 nicht gelingt, sind wir auch meist gemeinsam dafür verantwortlich.

Max Miller

Das wäre eigentlich ein schöner Schlusssatz, aber eine Frage habe ich noch: Welches Thema geht Ihnen im österreichischen EU-Wahlkampf auf die Nerven?

Wolfgang Bogensberger

Wir haben in Europa einen Kriegstreiber, der heißt Russland. Wir haben ein Land, das überfallen wurde, das heißt Ukraine. Wir haben die Europäische Union, die der Ukraine auf vielen Ebenen solidarisch hilft & beisteht. Dass im Wahlkampf ausgerechnet das überfallene Land & die EU als Kriegstreiber verunglimpft werden, geht mir – sehr höflich formuliert – auf die Nerven.

Max Miller

Herr Bogensberger, danke für den Chat!

Wolfgang Bogensberger

Ich danke auch, es war mir eine Freude!

Korrektur

In einer vorangegangenen Version dieses Artikels stand fälschlicherweise, dass Österreich 19 EU-Abgeordnete wählt. Aufgrund der Erhöhung der gesamten Mandatszahl nach der EU-Wahl am 9. Juni gibt es aber künftig 20 EU-Abgeordnete aus Österreich.

Max Miller

Max Miller

ist seit Mai 2023 Innenpolitik-Redakteur bei profil. Schaut aufs große Ganze, kritzelt gerne und chattet für den Newsletter Ballhausplatz. War zuvor bei der „Kleinen Zeitung“.