Robert Stein: „Stimmzettel haben kein ‚Mascherl‘“
Von Elena Crisan
Wer wird das Land in den kommenden fünf Jahren regieren? Diese Frage dürfen 6,35 Millionen Wahlberechtigte am Sonntag entscheiden. Falls Sie noch unentschlossen sind, nutzen Sie gerne unser Wahlkabinchen, durchwühlen alle Artikel zu den Nationalratswahlen 2024 und lesen unsere Reportagen aus den Wahlzentralen der Parteien. Vielleicht wählen Sie heuer auch zum ersten Mal, wie der 16-jährige David Salami. „Es bedeutet mir viel, dass ich über das politische Geschehen in Österreich mitbestimmen darf“, sagt er.
Wie das genau geht, und welche Falschinformationen im Netz kursieren, darüber chattet heute Robert Stein. Er war lange Zeit der oberste Wahlleiter des Landes, gilt als offenes Lexikon für alles rund um Wahlen und wird gerne – auch jetzt noch in seinem Ruhestand – als „Mister Wahl“ bezeichnet.
Im Chat mit profil verrät er, was er an seinem ersten freien Nationalratswahl-Sonntag seit Langem vorhat, und erklärt, was man in der Wahlkabine lieber vermeiden sollte.
Es ist die erste Nationalratswahl seit Ihrer Pensionierung. Was machen Sie diesen Sonntag?
Gerade am Sonntag habe ich keine konkreten Aufgaben.
Ich werde zu Mittag auf einer Geburtstagsfeier sein und danach u.U. auf der Wahlparty der SPÖ gehen, da habe ich eine Einladung
In der Früh werde ich wählen gehen
Zum ersten Mal wieder in ein Wahllokal?
Nein, zum wiederholten Mal. Mein Wahllokal ist nur ca. 100 m von der Wohnung entfernt, ein Kindergarten der Stadt Wien, zuletzt habe ich immer dieses Wahllokal aufgesucht, im Aktivstand gleich um 7.00 Uhr
Über drei Jahrzehnte lang haben Sie danach die Wahlen im Innenministerium beobachtet. Was macht ein ehemaliger Leiter der Wahlabteilung, wenn keine Wahlen anstehen?
Ich hatte 2023 und 2024 noch einen Beratervertrag beim BMI und konnte meine Fachabteilung immer wieder unterstützen.
Sonst bin ich oft an meinem Zweitwohnsitz an der Ostsee, so 35 % des Jahres
Ich unterrichte auch an einer VHS Recht und Politikwissenschaften, für Beurfsmaturanten
18 Abende zu je vier Unterrichtsstunden
Was war die absurdeste Falschinformation über Wahlen, die Sie jemals gehört haben?
In sozialen Netzwerken gab es einmal die Information, dass eine Wahl abgesagt worden ist, bzw. – noch absurder – dass die Wählerinnen und Wähler der Partei X an diesem Sonntag, die Wählerinnen und Wähler der anderen Parteien an einem darauffolgenden Tag ihre Stimme abgeben sollten
Da kursiert gerade auch, dass man den Wahlzettel unterschreiben solle. Wird er dadurch ungültig?
Er wird dadurch nicht ungültig, es sei denn, dass man die Unterschrift so positioniert, dass man mit der Unterschrift noch eine andere Partei „kennzeichnet“
Darf man sich in dem Fall einen neuen Stimmzettel holen?
Wenn man sagt, man habe sich verschrieben, wird man von der Wahlleiterin oder vom Wahlleiter eingeladen, den Stimmzettel vor einem zu vernichten, dann bekommt man einen neuen Stimmzettel
Also auch kein Problem, wenn man das Kreuz unabsichtlich falsch gesetzt hat.
Definitiv nicht.
Hingegen bewirkt man mit dem Versuch einer „Korrektur“ immer einen ungültigen Stimmzettel.
„Korrigierte“ Stimmzettel sind sogar als Faksimile in die Judikatur der VfGH eingeflossen, als ungültige Stimmzettel.
Mit „korrigiert“ meinen Sie in dem Fall durchgestrichen oder Kästchen schwarz angemalt?
Es gibt gleich zwei konkrete Fallbeispiele:
1x wurde das Kreuzerl bei einer Partei, in etwa wie beschrieben, total durchgestrichen
1x wurde ein kleines Stricherl gesetzt und dann ein sattes Kreuzerl bei der „richtigen“ Partei – beide Stimmzettel waren ungültig
Gut zu wissen.
Darf man die eigene Wahl auf TikTok livestreamen? Selfies in der Wahlkabine sind ja erlaubt.
Diese Frage bin ich noch nie gestellt worden, aber:
Nachdem das Wahlrecht geheim ist, darf niemand nachsehen, was die Wählerin oder der Wähler in der Wahlzelle so treibt. Somit ließen sich auch Livestreams via TikTok oder andere soziale Medien nicht verhindern, aber
Wir nähern uns deshalb dem Strafrecht, weil das Anstiften zu einer solchen Handlung, womöglich durch eine Partei, u.U. die Verwirklichung eines Straftatbestandes betreffend das Wahlgeheimnis darstellen würde
Also lieber nicht
Es wäre sicher abzuraten.
Bei der Nationalratswahl 2019 waren 1,2 Prozent der Stimmen ungültig. Ist Wählen zu kompliziert?
Stimmzettel haben kein „Mascherl“
Man erfährt nie, ob die Wählerin oder der Wähler überfordert war oder ob er oder sie absichtlich ungültig wählen wollte
Vieles spricht dafür, dass die überwiegende Zahl der ungültigen Stimmen absichtlich so vergeben wurden, weil in der Praxis als ungültige Stimmen fast nur „leere“ Stimmzettel sowie vollständig 1x durchgestrichene Stimmzettel auftauchen
Rechte Parteien zweifeln gerne die Briefwahl an – es gebe nicht genug Sicherheitsvorkehrungen, um sicherzustellen, dass die Stimme geheim und unbeeinflusst abgegeben wird. Haben sie einen Punkt?
Die Diskussion gibt es seit Einführung der Briefwahl.
Sie ist durch die Bundesverfassung als ein zulässiges „Voting channel“ unter den gesetzlich vorgegebenen Bedingungen garantiert
In den Raum gestellten aber nie bewiesenen Vorwürfen der Manipulation nach Einführung der Briefwahl im Jahr 2007 wurde mit dem Wahlrechtsänderungsgesetz 2011 mit gesetzlichen Vorgaben treffsicher entgegnet.
z.B. müssen Post-Zustellerinnen und Zusteller in Pflegeeinrichtungen die Wahlkarte den Klientinnen und Klienten an das Krankenbett bringen
mit dem Wahlrechtsänderungsgestz 2023 sorgt der QR-Code für eine zusätzliche Sicherheit bei der Bewegung der Wahlkarten
Seit 2008 gab es aber keine konkreten Beweise für Manipulationen bei der Briefwahl
Übrigens: Auch Donald Trump ist Beweise für Manipulationen beim postal voting bislang schuldig geblieben
Dann habe ich noch eine letzte Frage. Sie haben so einige Wahlreformen mitgestaltet: Was könnte sich Österreich als nächstes von anderen Ländern abschauen?
Eigentlich können sich rundum andere Staaten etwas von Österreich abschauen.
Konkretes Beispiel: man vergleiche die Wahlzellen in Budapest oder in Brandenburg mit unseren Wahlzellen.
Dennoch: Mich beeindruckt manchmal die grafische Aufbereitung von Informationen im Ausland
Herr Stein, danke für den Chat!
Gerne, hat mich sehr gefreut!
